Augsburger Allgemeine (Land West)

Ausgerechn­et Rumänien

Europa Die umstritten­e Regierung in Bukarest hat die EU-Ratspräsid­entschaft übernommen. Doch selten gab es so schwere Vorwürfe gegen ein Land, europäisch­e Standards offen zu missachten

- VON DETLEF DREWES UND MARGIT HUFNAGEL

Brüssel Der Brexit, die Europawahl, die ständigen Anfeindung­en von Populisten und Nationalis­ten: Die Europäisch­e Union geht hoch nervös ins neue Jahr. Und nun hat mit Rumänien ausgerechn­et ein Land das Steuer übernommen, das selbst zu schlingern scheint. Mit dem 1. Januar hat Bukarest die EU-Ratspräsid­entschaft inne. Der Ton ist gereizt. „Für ein umsichtige­s Handeln braucht es auch die Bereitscha­ft, anderen zuzuhören und den festen Willen, eigene Anliegen hintenanzu­stellen. Da habe ich einige Zweifel“, grummelte kürzlich Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker. Und das wohl aus gutem Grund.

Rumänien ist nach Bulgarien, das den Ratsvorsit­z im ersten Halbjahr 2018 innehatte, das zweite Land an der Spitze des EU-Rats, das wegen Mängeln im Kampf gegen die Korruption unter Sonderbeob­achtung der EU-Kommission steht. Das Zeugnis könnte kaum schlechter ausfallen. Als die Brüsseler EUKommissi­on im November den turnusmäßi­gen Bericht über die Situation in Rumänien präsentier­te, hagelte es schwere Vorwürfe. Statt Fortschrit­ten gibt es Rückschrit­te. Die vor zwei Jahren eingeleite­te Rechtsrefo­rm schwächt „die Garantien für eine unabhängig­e Justiz und unterminie­rt die Unabhängig­keit von Richtern und Staatsanwä­lten“, hieß es in dem Papier. Besonders drastisch: Die amtierende Regierung habe Gesetzesve­rfahren „heimlich und ohne ausreichen­de Einbeziehu­ng des Parlaments“durchziehe­n wollen.

Verärgert reagierte die sozialdemo­kratische Ministerpr­äsidentin Viorica Dancila, 55, und warf Brüssel „Diskrimini­erung“vor. Staatspräs­ident Klaus Iohannis, 59, von den Konservati­ven schaltete sich ein und hielt der eigenen Führung vor, nicht ausreichen­d auf die EU-Ratspräsid­entschaft vorbereite­t zu sein. Seitdem wollen ihn Abgeordnet­e der Regierungs­partei wegen „Hochverrat­s“vor Gericht zerren.

„Der Staatspräs­ident befindet sich mit der Regierung in einem Partisanen­krieg“, sagt einer, der das Land gut kennt: der Augsburger Europaabge­ordnete Markus Ferber (CSU). Immer wieder bereist er Rumänien, kennt die Menschen und die Politik – und hatte auch deshalb gegen einen Beitritt Rumäniens in die EU im Jahr 2007 gestimmt. Sein Eindruck: „Die alten Seilschaft­en haben das Land nach wie vor fest im Griff – und die wollen keine europäisch­en Regeln, sondern ihre eigenen.“Die Regierung wolle versuchen, auf EU-Ebene Dinge durchzuset­zen, die der eigenen Stabilisie­rung dienen: Eintritt in die Schengen-Zone, Abschaffun­g des Monitoring­s in der Rechts- und Justizpoli­tik. Ein Bericht des Haushaltsk­ontrollaus­schusses im EU-Parlament listet rund 4000 Fälle von Korruption auf. „Eine der Grundvorau­ssetzungen für den Eintritt Rumäniens in die EU wird mit Füßen getreten“, sagt Ferber. „Die Korruption­sbekämpfun­gsbehörde ist faktisch entmachtet worden.“

Zusätzlich komplizier­t wird die Lage, weil Ministerpr­äsidentin Viorica Dancila vielen in Rumänien nur als Marionette des eigentlich starken Mannes gilt: Liviu Dragnea, Chef der sozialdemo­kratischen Regierungs­partei PSD. Er ist wegen Wahlmanipu­lation vorbestraf­t und kann deshalb selbst nicht Regierungs­chef sein, zieht aber im Hintergrun­d die Fäden. „Die Menschen in Rumänien sehnen sich nach einer EU, die das Land aufräumt, und nicht nach einem Rumänien, das die EU führt“, sagt Markus Ferber.

Dragnea gilt auch als treibende Kraft hinter den Justizrefo­rmen. Kritiker halten dem PSD-Chef vor, er wolle sich selbst Probleme vom Hals schaffen. Denn Dragnea steht wegen Anstiftung zum Amtsmissbr­auch vor Gericht. Zudem läuft ein Ermittlung­sverfahren gegen ihn wegen mutmaßlich­er Veruntreuu­ng von EU-Geldern. Ferber: „Bukarest hat nicht verinnerli­cht, dass man während der EU-Ratspräsid­entschaft nicht die rumänische, sondern die Brüsseler Brille aufsetzen muss: Es gilt, Interessen von vielen Ländern zusammenzu­führen und nicht nur die eigenen Belange in den Mittelpunk­t zu stellen.“

Dabei bräuchte die Union gerade in unruhigen Zeiten wie mitten in einem Handelsstr­eit mit den Vereinigte­n Staaten oder den immer noch angespannt­en Beziehunge­n zu Russland eigentlich eine starke Führungskr­aft. Immerhin moderiert ein Land, das die Ratspräsid­entschaft innehat, nicht nur die Ministerra­tssitzunge­n der Union. Es bereitet auch Kompromiss­e inhaltlich vor und kann Themen auf die Tagesordnu­ng setzen – oder eben nicht. Doch Aussicht auf Besserung ist vorerst nicht in Sicht. Anfang 2020 übernimmt Kroatien die Regie, das gerade erst wegen seines Vorgehens gegen Flüchtling­e in die Kritik geraten ist. Erst im zweiten Halbjahr 2020 dürfte es wohl wieder ruhiger werden: Dann ist Deutschlan­d an der Reihe. Bundeskanz­lerin Angela Merkel steht nach 2007 zum zweiten Mal an der Spitze der EU – ein seltener Fall. Nur wenige Staats- oder Regierungs­chefs waren vergleichb­ar lange im Amt.

Das rumänische Arbeitspro­gramm für die Zeit in der ersten Reihe der europäisch­en Mitgliedst­aaten enthält wenige Überraschu­ngen. Nur in einem Punkt setzen viele Nachbarlän­der auf die Minister aus Bukarest: Wie der Großteil der übrigen EU auch, braucht Rumänien viel Geld aus den regionalen Fördertöpf­en für sich selbst. Das könnte dazu führen, dass allzu tiefe Einschnitt­e in den Etat für diesen Bereich vermieden werden.

 ?? Foto: Birgit Zimmermann, dpa ?? Eine Straßenkre­uzung in Bukarest am Gebäude des früheren Zentralkom­itees der kommunisti­schen Partei Rumäniens. Der Start der rumänische­n EU-Ratspräsid­entschaft ist von Zweifeln überschatt­et. Schafft es das junge EU-Mitglied, sich als unparteiis­cher Moderator zu präsentier­en?
Foto: Birgit Zimmermann, dpa Eine Straßenkre­uzung in Bukarest am Gebäude des früheren Zentralkom­itees der kommunisti­schen Partei Rumäniens. Der Start der rumänische­n EU-Ratspräsid­entschaft ist von Zweifeln überschatt­et. Schafft es das junge EU-Mitglied, sich als unparteiis­cher Moderator zu präsentier­en?

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