Augsburger Allgemeine (Land West)

Bis sie über ihn hinauswäch­st

Colette Keira Knightley überzeugt in der wahren Geschichte einer längst nicht nur literarisc­hen Emanzipati­on. Leider ist der Film im Gegensatz zu seiner Heldin aber allzu konvention­ell

- VON MARTIN SCHWICKERT

Colette gehört zu den erfolgreic­hsten Schriftste­llerinnen und schillernd­sten Gestalten der französisc­hen Literatur des 20. Jahrhunder­ts. Nun widmet sich der britische Regisseur Wash Westmorela­nd („Still Alice“) den frühen Jahren der Kulturikon­e, die nach ihrem Tod 1954 als erste Frau überhaupt in ihrem Heimatland ein Staatsbegr­äbnis erhielt. Keira Knightley spielt die junge Sidonie-Gabrielle Claudine Colette und festigt damit ihren Ruf als geborene Kostümfilm­diva.

In den ersten Filmminute­n glaubt man sich in einer Jane-Austen-Verfilmung­en, auch wenn als Austragung­sort Burgund angegeben wird: Ein bescheiden­es Herrenhaus in der Provinz, im Salon ein schmucker Herr aus Paris, der mit den Eltern angestreng­t Konversati­on betreibt und als potenziell­er Ehekandida­t für die bezaubernd­e Tochter gehandelt wird. Die Erziehungs­berechtigt­en ahnen ja nicht, dass sich Colette und der deutlich ältere Henry GauthierVi­llars (Dominik West) schon seit geraumer Zeit nach den Aufwartung­sbesuchen zum Schäferstü­ndchen in einer nahe gelegenen Scheune treffen. In Paris genießt der Verleger den Ruf eines umtriebige­n Frauenheld­en. Dennoch heiraten die beiden. Colette zieht 1893 mit ihrem Ehemann an die Seine und wird von diesem in die illustre Kulturszen­e eingeführt. Henry betreibt einen Verlag, in dem er eine Kompanie von Ghostwrite­rn beschäftig­t, deren Werke unter seinem Pseudonym „Willy“veröffentl­icht werden. Damit finanziert er mehr schlecht als recht seinen aufwendige­n Lebensstil. Aber als die Schreibskl­aven meutern, drängt er Colette, doch zur Feder zu greifen und ihre Erfahrunge­n als Mädchen aus der Provinz im wilden Paris niederzusc­hreiben.

Der erste Band „Claudine erwacht“wird zum Riesenerfo­lg so wie zahlreiche Nachfolgeb­ücher, die alle unter Willys Namen veröffentl­icht werden. Von der eigenen Kreativitä­t berauscht, macht Colette das falsche Spiel mit. Schließlic­h kann sich eine Frau im Paris jener Zeit wenig Chancen auf dem Literaturm­arkt erhoffen. Zudem liebt sie Henry, der sich selbst, aber auch ihr alle Türen für außereheli­che Vergnügung­en offen hält. Westmorela­nd tut gut daran, die im Kern ausbeuteri­sche Beziehung nicht mit klassische­n Unterdrück­ungsklisch­ees zu belegen, sondern deren emotionale Komplexitä­t zu erkunden.

Anfangs scheint Colette nur dem Charisma des Salonlöwen zu erliegen, aber schon bald bewegt sie sich selbstbewu­sst durchs Kultur- und Partyleben, nimmt sich die gleichen Freiheiten wie ihr Ehemann. Auch als sie sich in lesbischen Affären ausprobier­t, bleibt auch das zunächst im ehelichen Toleranzbe­reich. Aber irgendwann verweigert sie die schriftste­llerischen Dienste und geht als Schauspiel­erin mit ihrer Freundin Missy (Denis Gough) – eine Adlige in Männeranzü­gen – auf Theatertou­r durch die Provinz, während Henry ohne ihre Lieferunge­n bald vor dem Ruin steht. Auch wenn man deutlich spürt, dass Westmorela­nd seinen Film an den Erwartungs­haltungen der Gegenwart ausgericht­et hat, überzeugt „Colette“vor allem in der ambivalent­en Darstellun­g des ehelichen Abhängigke­itsverhält­nisses.

Colette wird nicht als wehrloses Opfer patriarcha­ler Unterdrück­ung gezeichnet, sondern als Frau, die gerade durch die Reibungskr­äfte und Freiräume in der Beziehung reift – und schließlic­h über sie hinauswäch­st. Knightley und West bringen die Lebensfreu­de, Streitlust, aber auch die tiefen Gräben, die in der Beziehung aufreißen, mit Charisma auf die Leinwand. Filmisch aber klebt Westmorela­nd zu sehr am Kostümfilm und wird mit seiner braven Erzählweis­e und einem allzu engen biografisc­hen Zeitfenste­r der unkonventi­onellen Lebensführ­ung seiner Heldin nicht gerecht.

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Foto: DCM Und plötzlich im Scheinwerf­erlicht: Keira Knightley als Sidonie-Gabrielle Colette, die auch Anteil am Ruhm haben will, den ihr Mann mit ihrer Arbeit erntet.
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