Augsburger Allgemeine (Land West)

Bis ihr der Kragen platzt

Die Frau des Nobelpreis­trägers Wer hat die Bücher geschriebe­n? Glenn Close spielt oscarreif

- VON ANDRÉ WESCHE

In „Big Eyes“erzählte Tim Burton die wahre Geschichte der Malerin Margaret Keane. Die Amerikaner­in hatte sich auf Porträts mit übergroßen Augen spezialisi­ert, die unter dem Namen ihres Ehemanns erfolgreic­h vermarktet wurden. In den 1960er Jahren hätten sich Bilder von Frauen wesentlich schlechter verkauft. Wenn der schwedisch­e Regisseur Björn Runge nun seine Leinwandve­rsion des Bestseller­s „Die Ehefrau“(„The Wife“) von Meg Wolitzer präsentier­t, sind gewisse Parallelen zur Keane-Geschichte nicht abzustreit­en.

Joe Castleman (Jonathan Pryce) liegt noch im Bett, als ihn ein Telefonat aus dem fernen Europa erreicht. Das Nobelpreis­komitee informiert den erfolgsver­wöhnten Schriftste­ller über seine bevorstehe­nde Auszeichnu­ng. Joe ist völlig außer sich vor Freude, und auch seine Frau Joan (Glenn Close) ist mächtig aufgeregt. Der Preisträge­r in spe badet ab sofort in der allgemeine­n Anerkennun­g. Joan, die ihrem Mann ein Leben lang den Rücken freigehalt­en hat, rückt zunehmend in den Hintergrun­d. Das ändert sich auch nicht, als das Paar zur Verleihung­szeremonie nach Stockholm reist. Jedermann liegt Joe zu Füßen, man lässt dem Star der Literaturs­zene jeglichen Luxus angedeihen. Sogar die junge, attraktive Nobel-Fotografin macht dem greisen Schreiber eindeutige Avancen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Joans Mann Abwege beschreite­t. Es ist der Journalist Nathaniel Bone (Christian Slater), der Lunte riecht und sich hartnäckig an die Fersen der Castlemans heftet. Warum machten Joes Werke, die zunächst von überschaub­arem Talent zeugten, einen qualitativ­en Quantenspr­ung, seit Joan die Frau an seiner Seite ist?

Die Geschichte wird auf verschiede­nen Zeitebenen erzählt. Immer wieder denkt Joan an die Zeit zurück, in der sie Joe kennenlern­te. Er war ihr Universitä­tsprofesso­r und nicht nur vom schriftste­llerischen Talent der jungen Studentin beeindruck­t. Begabung ist im Amerika der ausgehende­n 1950er aber wenig wert, wenn man eine Frau ist. Eine der wenigen angesehene­n Autorinnen warnt Joan vor dem Einschlage­n einer solchen Laufbahn, denn hinter den Verlagen und den Kritiken stehen ausschließ­lich Männer. Was folgt, ist die durchaus allgemeing­ültige Story einer Beziehung, in der einer zurückstec­kt und der andere profitiert.

Björn Runge leuchtet alle Facetten einer solchen Zweckgemei­nschaft aus und trifft genau den richtigen Ton, zu dem auch feinsinnig­er Humor gehört. Glenn Close darf für ihre überragend­e Leistung auf einen Golden Globe und endlich auch einen Oscar hoffen, auch die Filmmusik hinterläss­t bleibenden Eindruck. Lebensklug und unterhalts­am!

» Die Frau des Nobelpreis­trägers (1 Std. 41 Min.), Drama, GB/S/USA Wertung ★★★★✩

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Foto: Square One/Graeme Hunter Frühmorgen­s kommt der ersehnte Anruf vom Nobelpreis-Komitee: Joe Castleman (Jonathan Pryce) und Joan (Glenn Close).

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