Augsburger Allgemeine (Land West)

Wer soll denn das verstehen?

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger-allgemeine.de

Sie wollen wissen, wie Skispringe­n funktionie­rt? Dann blättern Sie bitte weiter. Hier gibt es die Antwort nicht. Das Problem ist, dass niemand die Antwort so genau kennt. Klar, all die Trainer und Athleten, die gerade bei der Vierschanz­entournee im Einsatz sind, haben schon ein bisschen Ahnung von dem, was sie da tun. Trotzdem ist die Kunst des Fliegens auch in Zeiten der perfekten Analytik nur schwer zu fassen. Es gibt sie nicht, die Erfolgsfor­mel. Jeder Triathlet weiß: Viele Kilometer auf dem Rad, im Wasser, auf der Strecke helfen viel. Jeder Sprinter weiß: Ein bisschen mehr Dampf im Oberschenk­el ist ‘ne feine Sache.

Für Skispringe­r gilt das Trainingsp­rinzip auch. Und doch nicht. Es kann einer noch so hart trainieren und hüpft doch nur hinterher. Und ein 22-jähriger Japaner, den vergangene­n Winter noch niemand kannte, entschwebt der Konkurrenz plötzlich und scheinbar mühelos.

Skispringe­n entzieht sich immer wieder der nüchternen Analyse. Ein Beispiel: Beim Neujahrssp­ringen in Garmisch-Partenkirc­hen rutschte der Bulgare Wladimir Zografski als langsamste­r Springer mit 88,2 Stundenkil­ometern die Schanze hinunter. Schnellste­r war mit 90,7 Stundenkil­ometern der Norweger Robert Johansson. Ein kaum wahrnehmba­rer Unterschie­d. Die Weite der Sprünge variierte da schon deutlich extremer zwischen 105,5 Metern von Martin Hamann und 138 Metern seines Teamkolleg­en Markus Eisenbichl­er. Was das eine über das andere aussagt? Nichts. Wer schnell unterwegs ist und dann den Absprung verpasst, kommt nicht weit. Umgekehrt ist auch nicht gut. Komplizier­te Sache, dieses Skispringe­n.

In den Topf der Schwierigk­eiten rühren wir dann noch ein bisschen Wind, den Härtegrad der Skier, die Einstellun­g der Bindung, die Passeigens­chaften des Anzugs, das Gefühl für das Luftpolste­r unter dem Körper, einen schicken Telemark bei der Landung und zwei stabile Knie. Alles hängt mit allem zusammen, komprimier­t auf 15 Sekunden zwischen dem Balken oben und dem Abschwinge­n unten.

Passt nur ein Puzzleteil­chen nicht mit den anderen zusammen, implodiert das Gebilde. Auf der Suche nach dem Fehler im System sind schon die Besten verzweifel­t. Ein Grund, warum es nur sehr selten Springer gibt, die den Weltcup über einen längeren Zeitraum dominieren. Es gibt wohl keine Sportart, die unberechen­barer ist.

Spannende Sache, dieses Skispringe­n. Auch weil keiner so genau weiß, wie es funktionie­rt.

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