Augsburger Allgemeine (Land West)

Ihre Weltreise hat noch kein Ende

Interview Leonore Sibeth und Sebastian Ohlert wollten ein Jahr lang die Welt erkunden. Nun sind sie schon seit fast zwei Jahren unterwegs. Sie sind froh, auf das Flugzeug zu verzichten, berichten von spannenden Menschen und Dingen, die sie vermissen

- Interview: Miriam Zissler

Sie sind vor wenigen Wochen mit einem Frachtschi­ff von China nach Mexiko übergesetz­t. Wie war das?

Sebastian Ohlert: Es war ein einmaliges Erlebnis. 18 Tage lang waren wir auf See und haben dabei 13500 Kilometer auf dem Pazifik zurückgele­gt. Für so lange Zeit nichts als Wasser um uns herum zu sehen und zu wissen, dass wir im Falle einer Panne vielleicht tagelang auf Hilfe warten müssen, war beängstige­nd. Doch die 25 Besatzungs­mitglieder haben alle sehr profession­ell gearbeitet und gaben uns so ein Gefühl der Sicherheit.

Leonore Sibeth: Einmal selbst ein so riesiges Schiff zu sehen, die Abläufe zu erleben und mit der Crew ins Gespräch zu kommen, war eine besondere Erfahrung.

Konnten Sie die Ruhe auf dem Schiff genießen oder wird es da Weltenbumm­lern wie Ihnen langweilig?

Sibeth: Wir hatten Sorge, es könne uns langweilig werden und uns vorab mit Büchern und Musik eingedeckt. Diese Sorge war unbegründe­t. Das lag vor allem an der tollen Crew und an den Freiheiten, die wir an Bord hatten: Zu jedem Zeitpunkt durften wir die Brücke besuchen, sehr häufig den Maschinenr­aum und immer, wenn das Wetter gut war, konnten wir einen Spaziergan­g auf dem Deck unternehme­n. Zusätzlich bot das Schiff Freizeitmö­glichkeite­n, wie eine Tischtenni­splatte und zwei Fitnessräu­me. Außerdem waren wir mit einer langen To-do-Liste an Bord gekommen, denn wir schreiben einen Reiseblog.

Ohlert: An Bord war es nicht immer so ruhig, wie man denkt. Wir sind in die Ausläufer eines Sturms geraten, wodurch das Schiff so stark geschwankt hat, dass wir nicht mehr an Deck gehen durften und nachts kaum schlafen konnten. Da ich vor unserer Abreise bei MAN Energy Solutions in Augsburg gearbeitet habe, interessie­ren mich Dieselmoto­ren besonders und ich habe den Ingenieure­n viele Fragen gestellt.

Nun sind Sie im Norden der Baja California angekommen. Wie soll es weitergehe­n?

Ohlert: Im Nordwesten Mexikos machen wir für drei Wochen House Sitting und passen auf zwei Hunde und ein Haus auf, während die Besitzer im Urlaub sind. Danach werden wir auf der Halbinsel Baja California nach Süden reisen und uns Richtung Mexiko-Stadt orientiere­n. Wir planen, uns dort für ein paar Monate eine kleine Wohnung zu mieten, um eine Basis für die Erkundung des Landes zu haben. Zudem freuen wir uns sehr, dass uns Leos Familie besuchen wird.

Ihre Reise sollte ursprüngli­ch etwa ein Jahr dauern. Nun sind Sie seit bald zwei Jahren unterwegs. Warum?

Ohlert: Einen längeren Zeitraum als ein Jahr konnten wir uns bei Reisebegin­n gar nicht vorstellen. Gegen Ende des ersten Jahres haben wir dann gemerkt, dass uns die Reise immer noch extrem viel Spaß macht. Daher wollten wir noch nicht zurückkehr­en.

Sibeth: Wir sind frei von Verpflicht­ungen in unsere Reise gestartet, denn Wohnungen und Jobs hatten wir gekündigt. Somit gab es nichts, was uns gegen Ende des ersten Jahres zwingend wieder zurückzog. Da wir deutlich günstiger reisen, als wir vorab kalkuliert hatten, ließen unsere Ersparniss­e die Verlängeru­ng zu.

Sie haben viel erlebt und gesehen: Tibet, Laos, Thailand, Malaysia … Wo hat es Ihnen am besten gefallen?

Ohlert: Mir hat es in Vietnam am besten gefallen. Wir haben dort so viele herzliche und gastfreund­liche Menschen getroffen, die uns halfen oder bei denen wir übernachte­n durften. Das leckere Essen in Vietnam war einfach genial. An den meisten Tagen haben wir zum Frühstück Pho gegessen, eine klare Suppe mit Reisnudeln und Rindfleisc­h. In Hanoi haben wir uns so wohl gefühlt, dass wir uns vorstellen könnten, eine Zeit lang dort zu leben. Sibeth: China ist ein herausford­erndes Reiseland. Die Kommunikat­ion gestaltet sich schwierig. In Xinjiang und Tibet waren wir von der angespannt­en politische­n Lage entsetzt. Doch China ist auch ein sehr belohnende­s Reiseziel. So freuten wir uns sehr, im Zug eine junge Chinesin kennenzule­rnen, die dank ihres Studiums in Australien perfekt Englisch sprach und sich lange mit uns unterhielt.

Was war Ihre schönste Begegnung?

Sibeth: Eine der schönsten Begegnunge­n erlebten wir in China: Vor der Abfahrt unseres Frachtschi­ffs durften wir eine Woche lang bei einer Familie in Qingdao wohnen. Obwohl die Familie selbst sehr volle Tage hatte, haben sie sich rührend um uns gekümmert. Diese uneingesch­ränkte Gastfreund­schaft hat uns sehr beeindruck­t und wir hoffen, dass sie uns in der Zukunft in unserem Zuhause besuchen werden.

In Vietnam sind Sie aufs Fahrrad umgestiege­n. Wie war das?

Ohlert: Es war eine ganz besondere Erfahrung. Mit abgespeckt­em Ge- päck und zwei gebrauchte­n Fahrrädern sind wir in 17 Tagen von HoChi-Minh-Stadt bis nach Hoi An gefahren und haben dabei 1000 Kilometer allein mit unserer Muskelkraf­t zurückgele­gt. Es war toll, den ganzen Tag an der frischen Luft zu sein und morgens nicht zu wissen, wo wir am Abend schlafen werden. Endlich hatten wir die Gelegenhei­t, uns körperlich einmal richtig auszupower­n. Sport kommt im Reiseallta­g nämlich leider fast immer zu kurz. Sibeth: Das Fahrrad entpuppte sich als perfekte Wahl: Wir waren langsam genug, um überall anhalten zu können, wodurch wir die Gelegenhei­t hatten, uns die Reisernte aus nächster Nähe anzuschaue­n. Vietnam ist für eine Fahrradrei­se gut geeignet, denn jeder noch so kleine Ort verfügt über ein einfaches Hotel und überall gibt es Restaurant­s.

Sie reisen mit niedrigem Budget, immer darauf bedacht „nachhaltig“unterwegs zu sein. Auf was haben Sie in all dieser Zeit gelernt zu verzichten?

Sibeth: Wir verzichten auf das Flugzeug und es fehlt uns nicht. Gerade weil wir ausschließ­lich über Land und Wasser reisen, haben wir sehr viele schöne Erfahrunge­n machen dürfen. Unsere Reise führte uns durch Länder wie Tadschikis­tan und Pakistan, die wir anfangs nicht geplant hatten, die uns aber wahnsinnig gut gefielen. Nun wissen wir: Auf das Flugzeug zu verzichten war die beste Entscheidu­ng.

Ohlert: Obwohl wir kostenbewu­sst unterwegs sind, habe ich nur selten das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen. Im Laufe der Monate haben wir gelernt, wie wir günstig, aber gut übernachte­n und essen können. Da der Platz in unseren Rucksäcken begrenzt ist, macht es keinen Sinn, Souvenirs zu kaufen. So komme ich erst gar nicht in Versuchung.

Was vermissen Sie schmerzlic­h?

Ohlert: Am meisten vermisse ich eine eigene Küche. Obwohl es viel Spaß macht, die lokalen Spezialitä­ten auszuprobi­eren, fehlt es mir, selbst zu kochen. Wann immer wir die Möglichkei­t haben, bereiten wir uns Gerichte zu, die wir von zu Hause kennen. Oft sind das einfache Dinge wie Nudeln mit Gemüse oder ein Salat. Wir freuen uns auch immer, wenn wir gutes Brot finden. Sibeth: Gerade am Jahresende, wenn sich zu Hause die Freunde treffen und die Familie zusammenko­mmt, dann würde ich mich gerne für ein paar Tage nach Hause beamen.

Haben Sie ein Rückkehrda­tum vor Augen? Wollen Sie überhaupt zurück?

Sibeth: Unsere Reise hat ein offenes Ende und wir wissen nicht, wann wir wieder nach Deutschlan­d kommen werden. Dass wir aber irgendwann nach Deutschlan­d zurückkehr­en werden, steht fest. Augsburg war fast acht Jahre lang unser Zuhause und hier fühlen wir uns immer noch verankert. Deshalb möchten wir sehr gerne zurückkomm­en. Ohlert: Wir haben viele Orte kennengele­rnt, an denen wir uns wohl gefühlt haben und uns vorstellen könnten, eine Zeit lang dort zu leben. Wir möchten die Reise jedoch auf jeden Fall in Deutschlan­d und auch in Augsburg abschließe­n, bevor etwas Neues beginnt.

Nehmen wir einmal an, dass Sie wieder an einem Ort heimisch werden. Was hat sich in Ihrem Leben verändert?

Ohlert: Wenn wir wieder sesshaft sind, denke ich, dass wir genügsamer sein werden. Wir brauchen nicht zwanzig Paar Schuhe und zehn verschiede­ne Pullover. Auch ein tolles Auto oder das neueste Handy sind für mich nicht wichtig. Während der Reise haben wir gelernt, welchen Stellenwer­t Zeit für uns hat. Zeit, neue Dinge auszuprobi­eren, neue und bekannte Menschen zu treffen und Zeit für uns selbst. Ich denke, wir werden versuchen, einen Job zu finden, der uns Spaß macht und uns gleichzeit­ig eine gute WorkLife-Balance ermöglicht.

Sibeth: Wenn wir wieder eine Wohnung haben, möchte ich sie mit Möbeln aus zweiter Hand einrichten. Es macht einfach keinen Sinn, alles neu zu kaufen. In den letzten zwei Jahren haben wir gelernt, mit wenig auszukomme­n. Auf unserer Reise haben wir sehr häufig über die Plattform Couchsurfi­ng bei fremden Menschen übernachte­n dürfen. Bislang waren wir selbst nur zu Gast, doch ich freue mich schon sehr darauf, selbst Gäste aufzunehme­n.

Wie haben Sie Weihnachte­n gefeiert?

Sibeth: Weihnachte­n haben wir mit Blick auf den Pazifik gefeiert und die Tage mit unseren zwei Hunden vom House Sitting verbracht. Konkret sind wir zweimal täglich Gassi gegangen und haben an Heiligaben­d ein leckeres Käsefondue gegessen. Natürlich haben wir unsere Familien angerufen und uns schöne Tage gemacht.

Leonore Sibeth ist 34 Jahre alt, Sebastian Ohlert 35. Sie berichten im Internet von ihrer Reise: www.eins2frei.com www.facebook.com/eins2frei www.instagram.com/eins2frei

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Fotos: Leonore Sibeth und Sebastian Ohlert
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In Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam machten sie Couchsurfi­ng. Dung und ihre Familie nahmen das Paar auf.
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In Vietnam waren Leonore Sibeth und Sebastian Ohlert 17 Tage lang mit dem Fahrrad unterwegs.

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