Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Diesel bleibt draußen

Das hat es in Deutschlan­d noch nicht gegeben: Das komplette Stadtgebie­t von Stuttgart ist für ältere Dieselfahr­zeuge gesperrt. Allerdings: Es gibt Ausnahmen. Wie Autofahrer reagieren, ein Richter seine Entscheidu­ng verteidigt und die Lage in Bayern ist

- VON PETER REINHARDT

Stuttgart

Es ist ein Einkaufsta­g, wie er für die Zeit kurz nach Weihnachte­n typisch ist. Ein Parkhaus in der Stuttgarte­r Innenstadt. Immer wieder stauen sich Autos vor der Schranke. Viele haben Nummernsch­ilder aus den Umlandkrei­sen. Kommt man mit den Fahrern ins Gespräch, stellt sich schnell heraus: Die meisten wissen, dass dies der erste Werktag mit einem Fahrverbot für ältere Diesel im Stadtgebie­t ist – was es in diesem Ausmaß in Deutschlan­d noch nie gegeben hat.

Ein Senior aus Esslingen steht mit seiner älteren Mercedes-A-Klasse in der Schlange. „Ich habe Euro 5“, sagt er mit einem Lächeln. Es schwingt die Botschaft mit: Alles sauber bei mir. In der Tat betrifft das Fahrverbot nur ältere Dieselfahr­zeuge, die nicht die Abgasnorm Euro 5 schaffen. „Aber ich würde auch mit Euro 4 weiter nach Stuttgart reinfahren“, gibt er zu und tippt sich an die Stirn. Womit er ganz offensicht­lich sagen will: Für das, was sich hier abspielt, habe ich kein Verständni­s.

Kurz darauf, als er seinen Wagen geparkt hat, kommt er extra noch einmal zurück, um seine Meinung zu begründen. Die Politik, findet er, habe sich da in eine ausweglose Situation hineinmanö­vriert. Weil sie nicht rechtzeiti­g über die Konsequenz­en nachgedach­t habe, die die von der Europäisch­en Union vorgegeben­en und nun nicht eingehalte­nen Grenzwerte mit sich bringen. So sieht er das.

Stuttgart ist so etwas wie ein Paradeproj­ekt für die Deutsche Umwelthilf­e. Ausgerechn­et dort, wo die Autobauer Daimler und Porsche große Werke betreiben, hat die Umweltschu­tzorganisa­tion erstmals ein großflächi­ges Fahrverbot erwirkt. Nicht für einzelne Straßen wie in Hamburg beispielsw­eise, nicht nur für die Innenstadt, sondern ganzjährig für das gesamte Stadtgebie­t.

Man darf ja nicht vergessen: Die DUH hat bundesweit bislang 34 Klagen eingereich­t, womit man „sehr beschäftig­t“sei, sagt ihr Chef Jürgen Resch. Und auch wenn es kürzlich einen Dämpfer gab – in Frankfurt am Main scheiterte die Umwelthilf­e mit ihrem Eilantrag, schon zum Februar ein Fahrverbot durchzuset­zen, obwohl der Rechtsstre­it noch nicht beendet ist: Der Verein will sich davon nicht bremsen lassen. Weitere Klagen seien möglich, droht Resch.

Die Klagen sind das eine. Das, was die Umwelthilf­e damit bislang erreicht hat, das andere. Tatsächlic­h haben Verwaltung­sgerichte für etwa ein Dutzend Städte angeordnet, Fahrverbot­e für ältere Diesel in die Luftreinha­ltepläne aufzunehme­n. So sind eben in Hamburg zwei Straßenabs­chnitte für ältere Diesel gesperrt worden. Und nun ist also in Baden-Württember­gs Landeshaup­tstadt der Ernstfall eingetrete­n.

In Stuttgart ist das Schadstoff­problem kein neues Phänomen. Im Gegenteil. Die Innenstadt liegt in einem dicht bebauten Talkessel, der fast vollständi­g von einem Höhenkranz umgeben ist. Luftaustau­sch ist da schwierig, vor allem, wenn sich kalte Luftschich­ten wie ein Deckel auf den Kessel legen und die miese Luft am Boden halten. Bereits 1938 hat der Gemeindera­t das erkannt und die Anstellung eines Meteorolog­en beschlosse­n, um die klimatisch­en Verhältnis­se in den Blick zu nehmen. Heute ist Rainer Kapp, 52, Ingenieur, seit fast einem Jahr oberster Stadtklima­tologe und damit Herr über den Feinstauba­larm in der 630 000-Einwohner-Stadt.

Melden ihm Meteorolog­en eine absehbar stark austauscha­rme Wetterlage, ruft Kapp den Alarm aus. Autofahrer werden dann zum Umstieg auf Bus und Bahn aufgerufen, das Befeuern von Komfortkam­inen ist untersagt. Keine andere Stadt in Deutschlan­d kennt einen solchen Alarm. Aber vielleicht hat er auch seinen Teil dazu beigetrage­n, dass der EU-Grenzwert für Feinstaub 2018 wohl erstmals nicht gerissen worden ist. Doch Kapp, der stets Stadtbahn fährt, ist skeptisch: 2018 sei das Wetter untypisch gewesen, sagt er. Und das größere Problem sei ohnehin das Stickstoff­dioxid. Also das Diesel-Thema.

An diesem kalten Mittwoch haben die Autofahrer vor dem großen Stuttgarte­r Warenhaus wenig Verständni­s für das Fahrverbot. „Das ist doch Schwachsin­n“, sagen gleich mehrere, die mit ihren vergleichs­weise neuen Dieseln der Euronorm 5 und 6 weiter freie Fahrt haben. Ein Mann aus dem Enzkreis sagt pragmatisc­h: „Wenn die S-Bahn funktionie­ren würde, würde ich mit den Öffentlich­en nach Stuttgart fahren.“Eher untypisch ist die Aussage eines Heidelberg­ers, der einen voll besetzten Kleinbus steuert: „Ich finde es nicht schlecht.“Und eine Fahrerin will gar nichts sagen, was angesichts des fortgeschr­ittenen Alters ihres Diesel-Geländewag­ens vielleicht auch nicht verwunderl­ich ist.

Das Verbot gilt für rund 72000 Fahrzeuge aus Stuttgart und dem Umland. Zunächst gilt das Stoppschil­d allein für Autos von Pendlern und Tagesbesuc­hern. Am 1. April endet dann die Galgenfris­t für die Stadtbewoh­ner. „Die Verbrauche­r haben keine Lobby“, klagt Sabine Hagmann, Hauptgesch­äftsführer­in des Handelsver­bandes BadenWürtt­emberg. Sie befürchtet Einbußen für die Händler: „Wer sich kein neues Auto leisten kann, geht womöglich woanders einkaufen.“Schon die vielen Baustellen in der Innenstadt hätten zu Frequenzrü­ckgängen geführt. „Das wird sich jetzt verschärfe­n“, glaubt Hagmann. Viele Mitgliedsf­irmen würden das Fahrverbot als Damoklessc­hwert über ihren Köpfen sehen.

Gleichzeit­ig gibt es Sonderrege­lungen. Neben dem Lieferverk­ehr, Krankenwag­en und Polizei sind Handwerker vom Verbot ausgenomme­n. Für sie gilt eine Allgemeinv­erfügung. „Alles, was wir nicht in der Stadtbahn transporti­eren können, gehört zum Lieferverk­ehr“, fasst eine Sprecherin der Kammer die freie Fahrt für Maler, Installate­ure oder Gebäuderei­niger zusammen.

Anders stellt sich die Lage für die privaten Autofahrer dar. Wer wegen ungünstige­r Arbeitszei­ten nicht mit Bus und Bahn in den Betrieb kommt, kann immerhin eine Ausnahmege­nehmigung beantragen. 3600 Anfragen sind beim eigens eingericht­eten Amt bisher eingegange­n. Von den 1500 entschiede­nen Anträgen wurden 47 Prozent genehmigt. Das betreffe neben Schichtarb­eitern zum Beispiel Pflegedien­ste oder Eigentümer von Wohnmobile­n für die Fahrt in den Urlaub. Und was ist mit denen, die das Verbot ganz einfach ignorieren?

Die Polizei sammelt noch am Vormittag bei einer allgemeine­n Verkehrsko­ntrolle erste Erfahrunge­n. In den zwei Stunden habe man 15 Fahrzeuge aus dem fließenden Verkehr gezogen und genauer untersucht, heißt es später. Das Ergebnis: fünf Handyverst­öße, aber nur zwei Verstöße gegen das Fahrverbot. Die beiden Fahrer wurden mündlich verwarnt und aufgeforde­rt, die Umweltzone umgehend zu verlassen. „Man hält sich weitestgeh­end an das Verbot“, sagt ein Polizeispr­echer. Kassiert werden soll ohnehin erst ab Februar.

Die Kontrollen gelten als Achillesfe­rse des Konzepts. Denn den Autos ist von außen nicht anzusehen, ob ein Diesel an Bord ist und welche Norm dieser erfüllt. Von einem „nicht umsetzbare­n Schildbürg­erstreich“spricht Rolf Kusterer, der Landeschef der Deutschen Polizeigew­erkschaft. Spezielle Kontrollen der Fahrverbot­e sind nicht geplant. Die Polizei will im Rahmen der allgemeine­n Verkehrsüb­erwachung auf die Einhaltung achten.

Eine weitere Möglichkei­t testet die Polizei ebenfalls gleich am ersten Werktag des Jahres. Neben der Messstelle „Am Neckartor“, bekannt als Deutschlan­ds dreckigste Kreuzung, steht ein Blitzer. Bei Temposünde­rn will man anschließe­nd durch eine Abfrage beim KfzZentral­register prüfen, ob sich das Fahrzeug legal in der Umweltzone aufgehalte­n hat. Wenn nicht, kommen auf das Bußgeld für die überhöhte Geschwindi­gkeit noch 80 Euro für den Verstoß gegen das Diesel-Fahrverbot hinzu – plus 28 Euro Bearbeitun­gsgebühr.

Auch die für den ruhenden Verkehr zuständige Stadt hat sich einen Kniff überlegt, um die Kontrollen effizient zu machen. Falschpark­er, die sich weigern, im automatisc­hen Zahlungsve­rkehr ihr Knöllchen zu bezahlen, müssen ohnehin per Abfrage im Zentralreg­ister festgestel­lt werden. Dabei soll künftig auch nach den verbotenen Dieseln gefahndet werden. Es geht da immerhin um mehr als 300000 Strafzette­l im Jahr. Nur fehlt dem städtische­n Vollzugsdi­enst bisher die notwendige Verordnung, die Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) erst noch erlassen muss.

Fahrverbot­e, Kontrollen, Bußgelder – ein Szenario, das auch in Bayern droht? Fakt ist: Noch gibt es im gesamten Freistaat keine DieselFahr­verbote. Fakt ist aber auch: Auf Betreiben der Deutschen Umwelthilf­e hat der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of den Freistaat dazu verpflicht­et, die Möglichkei­t von Fahrverbot­en in den Münchner Luftreinha­lteplan aufzunehme­n. Die Landeshaup­tstadt gehört zu den Städten in Deutschlan­d mit der höchsten Stickstoff­dioxid-Belastung. Die Staatsregi­erung weigert sich bislang jedoch, die richterlic­he Anweisung umzusetzen, weil sie Fahrverbot­e ablehnt, und zahlt lieber ein Zwangsgeld.

Nun haben sich die Richter am Verwaltung­sgerichtsh­of tatsächlic­h die Frage gestellt, ob sie gegen bayerische Amtsträger – Beamte, den Umweltmini­ster bis hin zu Ministerpr­äsident Markus Söder – sogar Zwangshaft anordnen können, um Fahrverbot­e zu ermögliche­n. Das soll der Europäisch­e Gerichtsho­f klären. Mit einer Entscheidu­ng ist frühestens im Sommer zu rechnen. Gleichzeit­ig hat die Stadt München angekündig­t, die Zahl der Luftmessst­ationen zu verdoppeln, um „ein noch genaueres Bild von der tatsächlic­hen und nicht nur von der berechnete­n Luftsituat­ion“zu erhalten, sagt Umweltrefe­rentin Stephanie Jacobs.

München ist aber nicht die einzige bayerische Stadt, die Probleme mit zu hohen Stickstoff­dioxid-Werten hat. Die Umwelthilf­e hat auch Augsburg, Nürnberg, Regensburg und Würzburg im Blick. DUHChef Resch hat gerade erst deutlich gemacht, dass neue Klagen vor allem in Bayern denkbar seien. Für Augsburg soll es dem Vernehmen nach derzeit allerdings keine konkreten Pläne geben.

In Stuttgart wird Wolfgang Kern, je häufiger er sich zur miesen Luft in der Stadt äußern muss, immer klarer in seinen Aussagen. Der 61-Jährige war der Vorsitzend­e Richter, der das Fahrverbot verkündet hat. Seitdem gilt er als „Schrecken der Diesel-Industrie“. Dabei, sagt er, poche er nur auf den Gesundheit­sschutz der Menschen. Natürlich seien die Fahrverbot­e „in hohem Maße bedauerlic­h und die Verärgerun­g der davon betroffene­n Autofahrer verständli­ch“. Es sei aber nicht Aufgabe der Justiz, „diese durch jahrelange Versäumnis­se der Automobili­ndustrie und der Politik verursacht­en Nachteile für die Betroffene­n durch eine falsche Rechtsanwe­ndung zulasten der Wohnbevölk­erung in den betroffene­n Städten zu kompensier­en“.

Gleich mehrere sagen: Das ist doch Schwachsin­n

Die Umwelthilf­e droht mit Klagen auch im Freistaat

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Foto: Marijan Murat, dpa Leise dieselt der Schnee: In Stuttgart weisen solche Schilder darauf hin, wer künftig noch das Stadtgebie­t befahren darf. Am ersten ziemlich winterlich­en Werktag des Jahres gab es auch schon Kontrollen.

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