Augsburger Allgemeine (Land West)

„Er mag es nicht mehr hören“

Serie 1978 gelingt Mönchengla­dbach der bisher höchste Sieg in der Bundesliga. Für einen Spieler war die Partie dafür besonders bitter

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Augsburg Zehn Tore war Borussia Mönchengla­dbach am letzten Spieltag der Saison 1977/78 von der Meistersch­ale entfernt. Wenn alles mit rechten Dingen zuginge, war das auch von diesem wunderbar besetzten Borussen-Ensemble nicht mehr aufzuholen, fiel der Titel an den 1. FC Köln. Später, als Del’Haye, Heynckes, Simonsen & Co. Borussia Dortmund mit dem bis heute geltenden Bundesliga-Rekorderge­bnis von 12:0 vom Bökelberg geschossen hatten, mochten die Kölner nicht mehr an rechte Dinge glauben. Ein Eindruck, den auch neutrale Beobachter schon beim Warmlaufen der Gäste gewinnen konnten. Etliche Spieler des Tabellenel­ften, für den es um nichts mehr ging, sonnten sich an Spielfeldr­and auf einer Hochsprung­matte. Nur der Torhüter bereitete sich ernsthaft vor. Peter Endrulat, 23, stand vor seinem sechsten Ligaspiel. Dass es sein Letztes sein würde, ahnte er nicht.

Gladbach beginnt furios. Nach 23 Sekunden trifft Jupp Heynckes zum 1:0. Zur Halbzeit steht es 6:0. Dortmundes Trainer Otto Rehhagel fragt seinen Torhüter, ob er ausgewechs­elt werden möchte. Endrulat wollte nicht. „Ich wollte den Stammplatz, den ich mir erkämpft hatte, nicht so ohne Weiteres preisgeben“, verriet er später. Dafür musste er einstecken. Nachdem die Kölner beim Absteiger FC St. Pauli lediglich 1:0 in Führung lagen, erhöhten die Gladbacher noch einmal gewaltig den Druck aufs Dortmunder Gehäuse, in dem Endrulat zur Schießbude­nfigur geriet. „Während des Spiels denkst du nur: ,Ach du lieber Himmel.‘ Anderersei­ts hoffst du, dass von der Mannschaft noch einmal ein Aufbäumen kommt. Aber irgendwann denkst du an gar nichts mehr“, hat der Torhüter später erzählt, als ihm das ständige erinnert werden an das Spiel noch nicht auf die Nerven ging. Am Ende war das 12:0 für Gladbach trotzdem zu wenig gewesen, weil Köln beim FC St. Pauli noch 5:0 gewonnen hatte. Die Schale ging an die Geißböcke. In Dortmund rief das Präsidium des Vereins eine Spielersit­zung ein. Jeder, der am Debakel beteiligt war, musst 2000 Mark Wiedergutm­achung bezahlen. Otto Rehhagel war entlassen und Endrulats Vertrag nicht verlängert. Seit kurzem trainiert der inzwischen 64-Jährige den hessischen Gruppenlig­isten TSG Wieseck (7. Liga). Von Erinnerung­en an das 0:12 möchte der Einzige, der sich gegen den Untergang gestemmt hat, heute nichts mehr wissen. 41 Jahre später sagt seine Frau am Telefon: „Er mag es einfach nicht mehr hören.“

In dieser Serie erinnern wir an außergewöh­nliche Fußballspi­ele deutscher Mannschaft­en.

 ?? Foto: imago ?? Peter Endrulat streckt sich vergebens: Zum elften Mal schlägt der Ball im Dortmunder Netz ein. Im Hintergrun­d: Torschütze Ewald Lienen. Der ehemalige Gladbacher Stürmer ist aktuell technische­r Direktor beim FC St. Pauli.
Foto: imago Peter Endrulat streckt sich vergebens: Zum elften Mal schlägt der Ball im Dortmunder Netz ein. Im Hintergrun­d: Torschütze Ewald Lienen. Der ehemalige Gladbacher Stürmer ist aktuell technische­r Direktor beim FC St. Pauli.
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Peter Endrulat

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