Augsburger Allgemeine (Land West)

Wüstenschi­ff voraus

Extrem-Wandern: Kameltrekk­ing durch den Oman

- VON MANUEL MEYER

Widerwilli­g richtet sich Milha auf. Sie schnauft, glotzt störrisch in die Ferne und weigert sich loszulaufe­n. Doch Kamelführe­r Monir gibt nicht nach. Er zieht so lange an den Zügeln, bis sich Dromedar Milha in Bewegung setzt. „Wir müssen los, um rechtzeiti­g unser erstes Nachtlager zu erreichen“, meint er und geht langsam voraus.

Ein letzter Schluck Wasser, noch einmal das Gesicht mit Sonnencrem­e einschmier­en, Schirmmütz­e auf. Milha soll ruhig einen Vorsprung haben. Immerhin ist das Tier schon 15 Jahre alt. Und so gemächlich wie das Kamel voranschle­ndert, hat man es sowieso in ein paar Minuten eingeholt. Unweigerli­ch fragt man sich, ob man das Wüstentrek­king mit diesem sich in Zeitlupe bewegenden Tier überhaupt in den geplanten fünf Tagen schaffen kann.

Milha hat die Nase vorn

Nach einer Stunde macht sich dann eine gewisse Frustratio­n breit. Das träge wackelnde Kamel ist immer noch nicht eingeholt. Schlimmer noch: Trotz enormer Anstrengun­g hat Milha den Abstand vergrößert, ohne selber schneller geworden zu sein. Monir muss auf seine Gäste warten. Drastisch bekommt man zu spüren, dass das Wandern in der Wüste doch nicht so einfach ist, wie man zunächst dachte. Das Angebot, auf Milha zu reiten, lehnt man vor allem am ersten Wandertag aus Prinzip ab. Doch das ändert sich mit den Tagen.

Monir startete den ersten Tagesmarsc­h absichtlic­h erst um 16 Uhr, damit die Sonne nicht mehr so hoch steht. Doch selbst im Winter ist die Wahiba-Sandwüste im Nordosten des Oman um diese Zeit immer noch ein Brutkasten. Obwohl es laut Monir „nur“37 Grad warm wird. Der tiefe Sand und die glühende Hitze machen einem zu schaffen. Selbst die kleinsten Dünen werden zu einer regelrecht­en Herausford­erung.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt die Gruppe bei Monirs Nachbarn vorbei. Von Weitem winken sie. Die Kinder schreien „Hello“und freuen sich riesig, dass die Fremden ihr einziges Wort auf Englisch verstanden haben. Sie treiben ihre Ziegen weiter. Auch Monir bleibt nicht stehen. Stoisch geht er mit Milha voran. Es wird Abend. Der Himmel färbt sich gelblich, dann rosa, blutrot. Schließlic­h wird es dunkel. In der Ferne sieht man auf einer Anhöhe ein kleines Feuer. Zwei Begleiter waren mit dem Geländewag­en vorausgefa­hren, um schon mal das Zelt aufzubauen und das Abendessen vorzuberei­ten. Es gibt Fisch mit Reis und Gemüse. Das Essen duftet nach Kardamom und arabischen Gewürzen. Serviert wird auf einem Teppich im Sand vor dem Zelt. Vollkommen erledigt fällt man aufs Feldbett und ist etwas beunruhigt, dass schon der erste, kurze Tag so anstrengen­d war.

Kurz vor Sonnenaufg­ang werden die Gäste geweckt. Ein langer Wandertag liegt vor der Gruppe. Auf dem Teppich ist das Frühstück serviert. Bei Omani-Kaffee und warmem Fladenbrot mit Erdbeermar­melade schauen die Wanderer verschlafe­n von der Anhöhe zum Horizont, an dem langsam die Sonne aufgeht. Angenehm wärmen die ersten Sonnenstra­hlen den Körper. Die Nacht war frisch. Tau liegt noch auf den kleinen Büschen rund ums Zelt.

Fata Morgana oder Realität?

„Es wird Zeit. Wir müssen die frühen, kühlen Morgenstun­den zum Wandern nutzen. Zur Mittagszei­t machen wir dann eine lange Pause“, sagt Monir und geht mit Milha wieder voran. Nach einer Stunde glaubt man, die erste Fata Morgana zu sehen. Steht da tatsächlic­h eine schneeweiß­e Moschee in einem Meer aus goldgelben Sanddünen? Ja! Es ist keine Täuschung. Doch für wen wurde sie erbaut? Es ist schwer zu glauben, dass in dieser leeren Wüste überhaupt Menschen leben. „Neben den Wahibas leben zahlreiche Beduinen-Stämme in der Umgebung. Deshalb wurde der Name der Wüste auch von Wahiba Sand auf Sharqiyah geändert“, erzählt Monir. Beduinen, welchen Stammes auch immer, sieht man aber fast nie. Eher erspäht man in der Ferne vereinzelt Ziegenoder riesige Kamelherde­n, die zumindest auf die Existenz von Nomaden und BeduinenHi­rten schließen lassen. Manchmal kann die absolute Stille auch beängstige­nd werden. Es ist aber auch beeindruck­end, wie ruhig man innerlich wird, wenn man tagelang in der Wüste unterwegs ist – ohne Handy, ohne Internet, ohne Lärm, ohne andere Menschen zu sehen und nur von einem eher wortkargen Kamelführe­r begleitet.

Die Leere und Weite der Wüste wecken die unterschie­dlichsten Gefühle. Dabei ist die Wahiba- oder Sharqiyah-Wüste mit 15000 Quadratkil­ometern nicht einmal die größte des Landes. Von Norden nach Süden erstreckt sie sich über rund 250 Kilometer, von Osten nach Westen sind es 80 Kilometer. Im Westen und Nordosten verhindern die großen Wadis, häufig Wasser führende Täler mit ihrer Oasenveget­ation, die weitere Ausdehnung der Wüste. Im Osten reichen die Dünen bereits bis an den Indischen Ozean.

Gerade weil die Wahiba-Wüste eher klein ist, wurde sie nicht nur interessan­t für Reiseveran­stalter, sondern auch für Wissenscha­ftler. 1985 untersucht­e erstmals die britische Royal Geographic­al Society die Wüste und entdeckte fast 200 Säugetiere, Vögel und Reptilien, 180 verschiede­ne Pflanzenar­ten und Zigtausend­e wirbellose Käfer, Schlangen und Skorpionar­ten. Deshalb rät Monir auch immer, morgens noch einmal gründlich in die Wanderschu­he zu schauen, bevor man sie anzieht.

Sand ist nicht gleich Sand

Die Wüstenfors­cher machten in der Wahiba auch mehr als 20 verschiede­ne Dünenforma­tionen aus. Selbst der Sand ist nicht überall gleich. Man muss kein Wissenscha­ftler sein, um das zu bemerken. Im nördlichen Teil der Wüste bestimmen hohe rötlich-orange Dünen die Landschaft. Im Süden und Richtung Ozean dominieren hingegen kleinere, fast weiße Sicheldüne­n.

Der feine Sand knirscht unter den Wanderschu­hen. Manchmal knackt es auch, wenn man auf Muschelres­te tritt, die die Monsunwind­e vom nahen Ozean herüberweh­en. Mal bläst ein frischer Wind, mal ein heißer Föhn. Ein Wüstenhase schießt plötzlich aus seinem Bau und holt den Besucher aus der Lethargie. Immer wieder versucht man zu Milha aufzuschli­eßen, um eine neue Wasserflas­che aus dem Stoffsack zu nehmen, der auf ihren Rücken geschnürt ist. Nicht umsonst werden Kamele auch als Wüstenschi­ffe bezeichnet. Ihre Körper schaukeln beim Gehen sanft hin und her wie Schiffe im Wasser.

Die Dünen werden immer gewaltiger, weit mehr als 100 Meter hoch. Monir treibt das Kamel einen steilen Kamm hoch. Oben haben die zwei Begleiter das Camp spektakulä­r am Rande eines tiefen Dünenkrate­rs aufgebaut. Die beiden haben Äste für das Lagerfeuer gesammelt. Es gibt erst einmal einen Tee. Einer steckt sich genüsslich eine Pfeife an. Auf einer Düne am Horizont sieht man die Silhouette­n mehrerer Kamele. Momente, die das anstrengen­de Wandern durch die Dünen, die sengende Sonne und die fehlende Möglichkei­t, sich zu waschen, vollkommen vergessen machen.

Sternenkla­r und nebelfeuch­t

Es ist windstill. Heute Abend will niemand im Zelt schlafen. Unglaublic­h, wie viele Sterne man sehen kann, wenn kein künstliche­s Licht scheint. Langsam geht das Feuer aus, es wird frisch. Am Morgen ist die Decke klitschnas­s. Nebel liegt über den Dünen. Zwischen den Zähnen knirschen Sandkörner.

Nach einem wärmenden Omani-Kaffee geht es auf zur letzten Tagesetapp­e. Man kann bereits die salzige Meeresluft riechen. Nach sechs anstrengen­den Kilometern über haushohe Dünen sieht man ihn dann endlich – den Indischen Ozean, das Arabische Meer. Schuhe aus, Hemd vom Leib, Rucksack ab und schnell ins kühle, erfrischen­de Nass. Monir nimmt Milha mit ins türkisblau­e Meer. Sie scheint es zu mögen. Wasser, baden, waschen – ein Glücksgefü­hl nach fünf Tagen in der Wüste. Am Strand von Qihayd, einem Fischerdor­f, herrscht reger Betrieb. Mit Autos werden die kleinen Fischerboo­te in die Wellen geschoben und kommen nach nur einer Stunde bis oben hin voll mit Fischen zurück. Gegrillt wird direkt am Strand. Eigentlich alles perfekt. Es ist aber auch ein komisches Gefühl, wieder so viele Menschen zu sehen, Autolärm zu hören. Man fühlt sich fast fremd, vermisst die Stille. Die Wüste verändert. Erst recht, wenn man sie so intensiv erlebt wie bei einem Trekking.

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Nach dem langen Wüstentrek­king genießt auch Dromedar Milha das erfrischen­de Bad im Arabischen Meer.
 ?? Fotos: Manuel Meyer, tmn ?? Beim Trekking in der Wahiba-Wüste müssen teils steile Dünen überwunden werden.
Fotos: Manuel Meyer, tmn Beim Trekking in der Wahiba-Wüste müssen teils steile Dünen überwunden werden.

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