Augsburger Allgemeine (Land West)

Rosa ist nix für Jungs

Der Farbenwahn der Modeindust­rie – und fast alle machen mit

- Tanja Wurster (34) ist freie Mitarbeite­rin der Landboten-Redaktion und lebt mit ihrer Familie in Augsburg. VON TANJA WURSTER

Eigentlich wollte ich ihn nie wie einen typischen Jungen anziehen. Aber als ich kürzlich Wäsche in den Kleidersch­rank meines Sohnes sortierte, fühlte ich mich ertappt. Fast alles Blau! Die Matschhose blau, der Schneeanzu­g blau, diverse Oberteile blau, die Mütze blau – immerhin mit weißen Punkten. Alles schöne, putzige Teile, keine Frage. Aber so wollte ich das doch nie!

Doch ich hatte die Rechnung ohne die Modeindust­rie gemacht. Denn die hat klare Vorstellun­gen: Jungs haben sich blau zu kleiden, Mädchen rosa – zugespitzt ausgedrück­t. Andere Farben, die ich wirklich gerne mal an meinem Sohn sehen würde, wie Grün, Gelb, Rot oder Orange, gibt es so gut wie gar nicht. Genauso wie schwarze Kleidung. Und für Jungs gibt es nichts, aber absolut wirklich nichts in Rosa, Pink oder Lila. Sind halt Mädchenfar­ben, sagen viele und legen echt harte Maßstäbe an.

Mein Mann und ich wussten definitiv, dass unser Kind ein Junge wird, waren aber so fies und verrieten es vor der Geburt niemandem. Unser Umfeld war, ich drücke es mal elegant aus, not amused darüber.

Und manch einer hatte seine liebe Not damit! Nicht nur, dass die eigene Neugier nicht befriedigt werden konnte, nein, noch viel schlimmer! Beim pränatalen Kleidungsk­auf wusste mancher nicht, was er kaufen soll. Geht ja schließlic­h überhaupt nicht, wenn nicht klar ist, wird es ein Erdenbürge­r oder eine Erdenbürge­rin.

Kurz vor der Geburt schenkte meine Tante mir ein hübsches Jäckchen. Die Farbe: beige, also neutral. Ich freute mich. Doch sie war nicht ganz zufrieden mit ihrer Auswahl. „Ich wusste ja nicht, was es wird“, sagte sie, fast schon entschuldi­gend. „Ich dachte mir, die Jacke ist neutral.“Ich nickte zufrieden. Genauso wollte ich es! „Aber sie ist eher was für einen Jungen“, fügte sie hinzu. Wie jetzt? „Schau hier“, sagte sie und deutete auf das Markenembl­em. Ich verstand nur Bahnhof. „Da ist ein bisschen Hellblau dabei!“Ah ja….

Ich habe keine Ahnung, wo dieser Farbenwahn seinen Ursprung hat. Und warum alle so schön brav mitmachen. Da stellt sich mir die Frage nach der Henne und dem Ei. Was war zuerst da? Die Modeschöpf­er, die den Verbrauche­rn vorgeben, in welchen Farben sie ihre Kinder anzuziehen haben oder die Kunden, die eben genau das so wollen und entspreche­nd einkaufen. Was spricht eigentlich gegen Rosa bei Jungs? Nix, findet zumindest Ute. Sie ist mit ihrem Sohn in meiner Krabbelgru­ppe. „Kürzlich hab ich mir für Ben eine pinke Hose zugelegt“, verriet sie mir. Richtig so! Fast schon revoluzzer­haft. So weit bin ich (noch?) nicht. Aber gestern habe ich immerhin graue Socken gekauft. Mit rosa Tupfen!

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