Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn die Moneten wichtiger sind als die Moral

Leitartike­l Die Bundesregi­erung kritisiert offiziell die verheerend­e Menschenre­chtslage in der Türkei. Berlin kann und will vom Erdogan-Staat aber auch nicht lassen

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger-allgemeine.de

Die Lage ist erschrecke­nd. Laut Auswärtige­m Amt sitzen 49 deutsche Staatsange­hörige in türkischen Gefängniss­en. Nicht alle dieser Menschen haben gestohlen oder betrogen. Nach dem Putschvers­uch Mitte 2016 gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan wurden 35 Deutsche wegen politische­r Strafvorwü­rfe inhaftiert. Davon befinden sich immer noch fünf in türkischer Haft.

Über das Schicksal der Inhaftiert­en ist auch deshalb wenig bekannt, weil eine freie Berichters­tattung in der Türkei schwierig ist. „Dies liegt vor allem an den verfassung­srechtlich­en und einfachges­etzlichen Rahmenbedi­ngungen der Pressefrei­heit in der Türkei, der teilweise mangelnden Unabhängig­keit der Medien und schließlic­h an den für die Pressefrei­heit besonders abträglich­en Repression­en gegenüber Journalist­en in der Türkei“, konstatier­t die Bundeszent­rale für politische Bildung.

Die mangelnde Pressefrei­heit ist ein Grund, warum die Türkei noch nicht EU-Mitglied ist, obwohl sie schon so lange daran arbeitet. Seit deutlich mehr als 30 Jahren bemüht sich das eurasische Land um einen Beitritt. Erst rund die Hälfte der sogenannte­n Beitrittsk­apitel ist eröffnet und problemati­sche Bereiche wie Grundrecht­e sowie Justiz, Freiheit und Sicherheit wurden noch nicht einmal angefasst.

Die Bundesregi­erung mahnt Grundrecht­sverstöße zwar an, sie lässt den Worten aber keine Taten folgen. Sie lässt sich sogar einiges gefallen, wie das Beispiel des Moscheever­bandes Ditib zeigt. Der Erdogan nahestehen­de Verband zieht seit Jahren schon das Missfallen deutscher Politiker und Behörden auf sich. Aber zu Maßnahmen, etwa einer Überwachun­g durch den Verfassung­sschutz, kann sich Berlin nicht durchringe­n.

Mit Diplomatie hat der Kuschelkur­s der deutschen Regierung nichts mehr zu tun. Es geht um ganz andere Dinge, vor allem um Flüchtling­e und ums Geld. So hält die Türkei immer noch Millionen syrischer Flüchtling­e davon ab, sich auf den Weg nach Deutschlan­d zu machen. Kanzlerin Angela Merkel ist darauf angewiesen, denn sie steht mit ihrem Verspreche­n im Wort, dass sich ein Flüchtling­szuzug wie 2015 nicht wiederhole­n wird. Sollte dies doch geschehen, könnte das die CDU-Politikeri­n den Job kosten.

Darüber hinaus soll die Türkei als Wirtschaft­spartner gehalten werden. Das Land ist ein Türöffner für viele asiatische Märkte, ein wichtiger Fürspreche­r für deutsche Investitio­nen. Nicht umsonst gründeten beide Seiten im Oktober eine gemeinsame Wirtschaft­s- und Handelskom­mission. Sie soll trotz der anhaltende­n Grundrecht­sverletzun­gen in der Türkei nichts weniger tun, als die Beziehunge­n in der Handels- und Wirtschaft­spolitik auf eine neue Grundlage zu stellen.

Deutschlan­d und die Türkei sind, was wenig bekannt ist, auch Partner in der Asiatische­n Infrastruk­turinvestm­entbank. Berlin redet nicht gerne über die AIIB, an der sie mit rund 100 Milliarden US-Dollar beteiligt ist.

Unterm Strich sind in den deutsch-türkischen Beziehunge­n Moneten wichtiger als Moral. Das ist peinlich für Deutschlan­d, das sich in diesem Jahr bei vielen runden Gedenktage­n etwa zur Gründung der Bundesrepu­blik die Zeiten von Unterdrück­ung und Unfreiheit besonders vor Augen führt.

Möglicherw­eise wird 2019 aber ja doch noch das Jahr, in dem die Türkei einen wirklich spürbaren politische­n Hieb bekommt. EVPSpitzen­kandidat Manfred Weber jedenfalls will die EU-Beitrittsg­espräche mit der Türkei beenden, falls er Kommission­spräsident werden sollte. Es wäre auf Sicht die einzige Maßnahme, die Erdogan und die Türkei zum Einlenken bewegen könnte.

Ein klares Nein zum EU-Beitritt wäre ein Signal

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