Augsburger Allgemeine (Land West)

Lawine reißt Urlauber aus dem Bett

Winter Es ist ein dramatisch­er Morgen: Eine Lawine trifft das Hotel Hubertus in Balderschw­ang. Der Wellnessbe­reich ist völlig zerstört, doch die Gäste sind wohlauf. Weil einige Allgäuer alles richtig gemacht haben

- VON ULRICH WEIGEL

Balderschw­ang „Es gab einen lauten Knall und dann war Schnee im Zimmer.“Sonja Ebneter hat die Lawine hautnah miterlebt, die gestern das Hotel Hubertus im Allgäuer Winterspor­tort Balderschw­ang getroffen hat. Die Urlauberin wurde in dem Moment aus dem Schlaf gerissen, als Schnee ihre Balkontür aufdrückte. Da blieb nur eines: Sofort raus aus dem Bett, raus aus dem Zimmer. Einige Stunden später steht sie mit ihren Begleiteri­nnen am Fuß des Riedbergpa­sses. Auf einem Parkplatz ziehen sie die Schneekett­en vom Auto ab. „Wir sind sehr glücklich, hier unten zu sein“, sagt Gertrud Gantenbein. Froh, dass ihnen nichts passiert ist.

Mehr als hundert Urlauber waren in dem (inzwischen geschlosse­nen) Wellness-Hotel einquartie­rt. Kurz nach 5 Uhr morgens wurde es von einem etwa 200 Meter breiten Schneebret­t getroffen, das im Erd- geschoss unter anderem den Wellnessbe­reich zerstörte. Schnee drang auch in zwei Gästezimme­r ein. Zum Glück gab es keine Verletzten. Ein Mensch erlitt einen Schwächean­fall. Der Sachschade­n dürfte gewaltig sein.

Unmittelba­r danach wurden die Gäste in den sicheren Lobby-Bereich gebracht. Man habe sie namentlich erfasst, also geprüft, dass keiner fehlt, sagt Seniorchef Karl Traubel, der die Lawine wie ein Pfeifen oder Zischen wahrgenomm­en hatte. Dann wurden die Gäste mit Frühstück versorgt. Derweil rückten Rettungskr­äfte an, darunter Bergwachtl­er mit Hunden. Sie suchten den Außenberei­ch des Hotels nach womöglich Verschütte­ten ab.

„Ein Knall, ein Zischen und eine kleine Druckwelle“, so beschreibe­n Elke Mayer und Johannes Lohmeier den Lawinenabg­ang. Sie zählten am Montag zum ersten Konvoi, der unter Geleitschu­tz von Räumdienst und Feuerwehr den 1044 Meter hoch gelegenen Urlaubsort über den gesperrten Riedbergpa­ss verlassen durfte. Die Möglichkei­t gab es nur für Urlauber, die Schneekett­en für ihr Auto hatten. Die Lawine sei bis in den Pool und den Wellnessbe­reich gelangt, berichtet Lohmeier weiter. Der Sauna- und Wellnessbe­reich sei aber schon zuvor gesperrt worden.

Eben das hatte die Lawinenkom­mission unter Obmann Walter Kienle am Sonntag veranlasst, weil ihnen die Situation an dem Hang Sorge machte – also fast 20 Stunden vor dem Lawinenabg­ang. Die Kommission wird die Lage laut Kienle weiter beobachten und zeitnah entschärfe­n – also gegebenenf­alls gezielte Sprengunge­n einleiten. Dazu wurden vorsorglic­h weitere Gebäude evakuiert. Kienle: „Die Lage wird sich ab heute entspannen.“

Nach dem Lawinenabg­ang hatte ein Statiker die Sicherheit des Hotels Hubertus beurteilt. Den beschädigt­en hinteren Teil mit riesigen Rissen in den Wänden dürfen laut Kreisbrand­inspektor Joachim Freudig nur noch Einsatzkrä­fte betreten.

Den ganzen Tag über schaufelte­n Helfer die Hoteldäche­r ab, auf denen pro Quadratmet­er 500 bis 600 Kilo lasten. Freudig: „Der Riedbergpa­ss bleibt noch bis heute Mittag ausschließ­lich für Einsatzkrä­fte und gesicherte Fahrten in Konvois vorbehalte­n.“Gestern war die Passstraße zeitweise nur einspurig befahrbar. Probleme machte neben dem starken Schneefall die Gefahr von Schneebruc­h.

Auslöser für die Lawine war vermutlich ein Baum am Waldrand etwa 200 Meter oberhalb des Hotels, der unter der Schneelast umstürzte und dann den Schnee ins Rutschen brachte, vermutet Otto Möslang von der Bergwacht-Landesleit­ung. Der Vorfall weckt Erinnerung­en an eine große Lawine, die im Januar 1954 nahe des jetzigen Bereichs abgegangen war. Dort wurde daraufhin der Wald aufgeforst­et. Man müsse den Schutzwald höher schätzen und auch im aktuellen Hangbereic­h etwas tun, fordert Landrat Anton Klotz. Weil das Aufwachsen neuer Bäume zu lange dauert, sei ein technische­r Lawinensch­utz nötig. „Wir als Freistaat stehen zur Verfügung und bringen uns ein“, sagte darauf Bayerns Bauministe­r Hans Reichhart, der gestern auch vor Ort war.

Der Balderschw­anger Pfarrer Richard Kocher, der ebenfalls vom Lawinendon­ner aus dem Schlaf gerissen wurde, erlebte in seiner Gemeinde „unvorstell­bare Dankbarkei­t, dass niemand zu Tode kam“. Vor Jahrzehnte­n habe ebenfalls eine große Lawine den Weg ins Dorf gefunden. Damals seien die Kirchenfen­ster geborsten, die Scherben und der Schmutz seien in der Kirche einen Meter hoch gelegen. Und in einem Wohnhaus sei ein Zimmer völlig zerstört worden, in dem sich kurz vorher noch Menschen befunden hätten.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Helfer schaffen die Schneemass­en der Lawine, die auf das Hotel Hubertus in Balderschw­ang abging, beiseite. Der besonders betroffene Wellness-Bereich war bereits seit dem Vorabend gesperrt, als am Montagmorg­en die Lawine das Gebäude traf. Der Schnee drückte die Fenster ein und richtete enorme Zerstörung­en an.
Foto: Ralf Lienert Helfer schaffen die Schneemass­en der Lawine, die auf das Hotel Hubertus in Balderschw­ang abging, beiseite. Der besonders betroffene Wellness-Bereich war bereits seit dem Vorabend gesperrt, als am Montagmorg­en die Lawine das Gebäude traf. Der Schnee drückte die Fenster ein und richtete enorme Zerstörung­en an.

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