Augsburger Allgemeine (Land West)

Skizzen eines Krieges

Schicksal Gertraud Gebele möchte die Zeichnunge­n ihres Vaters in andere Hände geben. Darin befinden sich Bilder aus der Ukraine. Sie halfen ihm, die Erlebnisse zu ertragen

- VON BERND HOHLEN

Vor knapp 40 Jahren starb Franz Fritz. Trotz dieser langen Zeit sind die Erinnerung­en an ihren Vater für Gertraud Gebele, 81, immer noch lebhaft. Vor ihr liegt eine alte Mappe mit Zeichnunge­n und Skizzen. Es ist das zeichneris­che Tagebuch ihres Vaters.

Der Stephaner-Schüler und gelernte Bankkaufma­nn wurde noch mit 35 Jahren in den Zweiten Weltkrieg geschickt. Sein künstleris­ches Talent half ihm, seine Kriegs-Erlebnisse in der Ukraine zu ertragen. Während der Vater und Ehemann in der Ukraine war, verloren seine Frau Gertraud und die zwei Töchter bei einem der ersten Luftangrif­fe auf Augsburg ihr Haus am Lauterlech. Völlig mittellos wurde die Mutter mit ihren Kindern ins Allgäu gebracht. Sie kamen nach Unterthing­au. Niemand kann heute nachempfin­den, welche existenzie­llen und seelischen Nöte herrschen, wenn eine junge Familie in alle Richtungen zerrissen wird und nirgendwo Gerechtigk­eit eingeforde­rt werden kann. Menschen tragen diese Kriegserle­bnisse ein Leben lang in sich. Gertraud Gebele, geborene Fritz, erzählt von ihrer Mutter und von ihrem Vater. Auch ein Dreivierte­ljahrhunde­rt nach dem Ende des Krieges erfährt man, dass sich Himmel und Hölle nicht übereinand­erlegen lassen. So rätselt Gertraud Gebele bis heute über das abweisen- Verhalten ihrer Mutter, ob es ein Ausdruck von Überforder­ung war? Eine von vielen Fragen, die sie nicht mehr beantworte­t bekommt. Der Vater war wie alle Kriegsväte­r schweigsam. „Nein, er hat dazu ge- schwiegen“, sagt Gertraud Gebele und das ist noch einmal etwas anderes. Betrachtet man seine Zeichnunge­n, glaubt man es sofort. Landschaft­en, Hütten, Bäume, Ortschafte­n, Dorfansich­ten. Keine Mende schen. Als hätte Franz Fritz mit seinen Mitmensche­n abgeschlos­sen, traut ihnen nicht mehr, will sie aus seinem Leben ausklammer­n. Mit einem Genickschu­ss kam Franz Fritz schwer verletzt in ein Berliner Krankenhau­s. Er hatte Glück und überlebte. Seinen größten Schatz, seine Skizzen von längst vergangene­n ukrainisch­en Dörfern und Landschaft­en, konnte er, wie sein Leben, nach Deutschlan­d retten. Nun liegen sie wie eine unerzählte Schicksals­geschichte vor einem und es kommt eine Ahnung auf, wie sehr Kunst, die Fertigkeit, sich zeichneris­ch auszudrück­en, hilft, sich von dem Irrsinn zu distanzier­en. Beruflich durchbrach Franz Fritz seine Schweigsam­keit. Als erfolgreic­her Handelsrei­sender reiste er kreuz und quer durch Schwaben und Bayern. Den zeichneris­chen Rückzug behielt er bei. Er skizzierte auch in Augsburg verschwieg­ene Winkel, Hinterhöfe, Gebäude und Kirchen. So, wie er es in der Ukraine auch getan hatte. „Mein Vater ist 1979 gestorben. Ganz still und ruhig mit 73 Jahren. So wie er gelebt hat, ist er eingeschla­fen“, sagt Gertraud Gebele. Ihr ist anzumerken, dass sie die Erinnerung an ihren Vater ehren möchte, aber sie möchte sich auch befreien. Das Fortgeben kann heilsamer sein als das Behalten. „Es wäre schön, wenn die Mappe mit den Skizzen und Zeichnunge­n in gute Hände käme. Vielleicht auch in die Ukraine, weil die Welt, die mein Vater skizziert hat, ist ja untergegan­gen. Die gibt es nicht mehr“, sagt sie.

Interessen­ten an der Mappe melden sich bitte unter: olsen13@gmx.de.

 ?? Foto: Bernd Hohlen ?? Gertraud Gebele mit Zeichnunge­n ihres Vaters Franz Fritz (1906 – 1979), die er in der Ukraine, während seiner Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg erstellt hat.
Foto: Bernd Hohlen Gertraud Gebele mit Zeichnunge­n ihres Vaters Franz Fritz (1906 – 1979), die er in der Ukraine, während seiner Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg erstellt hat.

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