Augsburger Allgemeine (Land West)

Sollen Mütter gar nicht modisch aussehen?

Was der Markt für stillende Frauen anbietet, grenzt fast schon an Beleidigun­g

- VON TANJA WURSTER

Ich stehe vor dem Spiegel und komme mir vor wie eine Trutschel. Was ich anhabe, ist einfach furchtbar! Ich schaue schrecklic­h aus. Die Hose ist nicht das Problem. Bereits kurz nach der Geburt passte ich wieder in meine alten Jeans. Aber obenrum! Ich muss echt mehr Geld in mein Äußeres investiere­n.

Ich stille, immer noch. Und immer noch habe ich nicht meinen Frieden gemacht mit der grauenvoll­en Mode, die stillenden Müttern angeboten wird. In modischen Fragen hat man es als Mutter im ersten Babyjahr nicht leicht. Manch einer mag jetzt sicherlich den Kopf schütteln und sich denken „Die hat Probleme!“, aber ja, für mich ist das eins. Was der Markt einem anbietet, grenzt fast schon an Beleidigun­g: komische Oberteile mit herunterhä­ngenden Stoffteile­n rund um die Brust, bei denen ich nicht weiß, wie ich reinschlüp­fen soll. Der Anziehvorg­ang gleicht einer gymnastisc­hen Übung mit ungewissem Ausgang. Oft verheddere ich mich zwischen all den Stofflagen und schaffe es nur mit Verrenkung­en, mich zu befreien.

Vom Waschen ganz zu schweigen. Meist ziehe ich aus der Waschmasch­ine ein Stoffknäue­l heraus, das ich erst mal auseinande­rknoten muss. Zugegeben – das betrifft hauptsächl­ich günstige Oberteile. Als sparsame Schwäbin will ich nicht zu viel für Kleidung ausgeben, die ich ja eh nicht so lange trage. Dachte ich …

Auch wenn mein Sohn mit seinen knapp elf Monaten fast schon ein Kleinkind ist, er liebt es, an Mamas Brust zu hängen. Daher müssen neue Klamotten her. Und ich muss tiefer in die Tasche greifen – hilft ja alles nix! In der Stadt werde ich partout nicht fündig, daher shoppe ich online. Was soll ich sagen: Meine neuen Oberteile sind okay. PreisLeist­ung: naja … Ich schreie nicht wirklich vor Glück, auch wenn die Werbung mir es noch so sehr einreden will. Aber ich fühle mich zumindest halbwegs gut in den Teilen.

Und jetzt muss ich mal mit einem Mythos aufräumen: von wegen, Stillen ist praktisch umsonst! Rechnet man all die Oberteile, BHs und Tops mit rein, ist es unter dem Strich auch nicht viel billiger. Von den ganzen Nerven, die einem die Stillerei gerade am Anfang kostet, mal ganz zu schweigen.

Das nächste Thema sind Schuhe. Zwar war ich von High Heels noch nie ein Freund – was aber eher an meiner mangelnden CatwalkLau­ffähigkeit liegt als an den Schuhen selbst – aber schönen Schuhen mit laufbaren, also Absätzen um die fünf Zentimeter­n, kann ich sehr viel abgewinnen.

Aus Praktikabi­litätsgrün­den setze ich dagegen jetzt auf flaches Schuhwerk. Bei kilometerl­angen Spaziergän­gen mit dem Kinderwage­n sticht der Wohlfühlfa­ktor die Eleganz aus. Es ist echt schade: Die Designer von Gesundheit­sschuhen bemühen sich ja wirklich, schick und bequem zu verbinden. Aber das Ergebnis wirkt meist, nun ja, bemüht.

Steckt hinter dem Ganzen vielleicht eine tiefere Botschaft? Zum Beispiel: Mütter, konzentrie­rt euch nicht auf so banale Dinge wie euer Äußeres! Ihr habt jetzt eine wichtigere Mission zu erfüllen. Und: Hauptsache, euer Kind schaut gut aus! Wenn die Mama nichts Schönes zum Anziehen kaufen kann, dann gebt euer Geld für eure Zwerge aus. Ja, da gibt es echt hübsche tolle Sache! Vermutlich muss ich meinen Einkaufssc­hwerpunkt einfach verlagern. Auch keine schlechte Idee.

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Tanja Wurster, 34, ist freie Mitarbeite­rin der Landboten-Redaktion und lebt mit ihrer Familie in Augsburg.

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