Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wer nicht nachdenken will, spitzt eben zu, um relevant zu sein“

Interview Grünen-Chef Robert Habeck spricht über den Verfall der Debatte, die politische Macht der Sprache – und zieht eine erste Bilanz über seinen Ausstieg aus Twitter und Facebook

- Interview: Wolfgang Schütz

Ihr Ausstieg aus den sogenannte­n „Sozialen Netzwerken“Twitter und Facebook ist jetzt gut einen Monat her. Was hat sich für Sie verändert? Robert Habeck: Am Anfang hab ich, wenn ich mal Pause hatte, öfter mal in die Hemdtasche gegriffen, um nachzuscha­uen, was bei Twitter so los ist und natürlich erst mal immer bei mir selber. Dieser Griff ging dann ins Leere. Jetzt unterhalte ich mich mit Leuten oder guck aus dem Fenster und denke nach. Da ist mehr Ruhe. Manche Dinge kriege ich halt später oder indirekt mit. Jetzt wurde wohl wieder ein Foto von mir gepostet, das mich am Flughafen zeigt, auf Dienstreis­e – woraus auf Twitter eine Riesenaufr­egung gemacht wurde, weil: Auch ein grüner Bundesvors­itzender fliegt! Ja, tue ich, wenn’s nicht anders geht. Eine im Grunde alberne Debatte, und genau so was beschäftig­t mich jetzt weniger. Ich habe erst dadurch erfahren, dass eine Zeitung dazu angefragt hat, um über diese Empörungsw­elle zu schreiben.

Aber das Beispiel zeigt, dass solche Debatten ja auch auf die mediale Berichters­tattung durchschla­gen. Sie entkommen dem doch nie ganz. Habeck: Es ist eben eine Wette. Ich habe entschiede­n, dass ich für mich eine andere Form der politische­n Kommunikat­ion will. Es wird sich zeigen, ob das funktionie­rt.

Ihr erstes Fazit?

Habeck: Wie gesagt, gut. Im Alltag, aber auch damit, dass ich das so selbstbewu­sst entschiede­n habe. Und wenn es sich als Fehler herausstel­lt, dann war es wenigstens ein Fehler aus Selbstbest­immung.

Aber am TV-Polit-Talk nehmen Sie rege teil. Vergangene­s Jahr waren Sie sogar der häufigste aller Gäste. Hier findet doch auch nicht gerade ideale Debattenku­ltur statt…

Habeck: Die Talkshows sind natürlich auch darauf angelegt zu unterhalte­n – und unterhalts­am ist meist eher Streit. Aber trotzdem gibt es immer mal Raum für das Nachdenkli­che. Die sind eben von Journalist­innen moderiert, die kritisch nachfragen, einhaken oder mal den anderen zu Wort kommen lassen. Das ist der Unterschie­d. So bleibt eine Situation eines Ringens um das gleiche Thema gewahrt.

In Ihrem Buch „Wer wir sein könnten“betonen Sie die Notwendigk­eit einer Debatte, in der eben nicht nur Po- sitionen nebeneinan­dergestell­t werden. Das passt zu Ihrer Twitter-Entscheidu­ng, aber doch irgendwie nicht zu den Talk-Shows, wo selten Offenheit für die Positionen anderer zu erkennen ist. Habeck: Ich bemühe mich in Talkshows, meinem Gegenüber zuzuhören und auch nach Gemeinsamk­eiten zu suchen. Das gelingt mal besser, mal schlechter. Die verbale Polarisier­ung ist ein Zug der Politik insgesamt, in den Shows wird er nur besonders deutlich. Die Politik, wie wir sie haben, funktionie­rt in der Regel so, dass man sich selbst bestätigt und Bestätigun­g sucht, dass man also so redet und argumentie­rt, wie es die jeweiligen Anhänger, die jeweilige Partei erwartet, dass man sich nicht in das Gegenüber versetzt, sich fragt: Warum hat der andere eigentlich eine andere Meinung? Statt so ins Nachdenken zu kommen, kommt es dann immer mehr zu Übertreibu­ngen – Relevanz durch erhöhte Zuspitzung. Genau das aber treibt in der Regel den Diskurs immer weiter auseinande­r.

Wie ist dem entgegenzu­wirken? Habeck: Es geht darum, für den richtig verstanden­en Streit zu werben. Auch wenn es manchmal schwerfäll­t: Wir müssen annehmen, dass auch andere davon überzeugt sind, mit gutem Recht für ihre Interessen zu streiten. Die Grenze, die derzeit zu verwischen droht, ist allerdings da zu ziehen, wo Debatten totgemacht werden sollen – durch Positionen, die andere kategorisc­h ausschließ­en. Das gibt es von rechts gegen Menschen wegen ihrer Religionen und Abstammung. Aber auch von links durch totalitäre­s Sprechen – das ist nur im Moment nicht so arg erfolgreic­h in Deutschlan­d.

Zum Beispiel?

Habeck: Von links? Das Geschichts­bild einer klassenkäm­pferischen, ewigen Wahrheit, die sich zwangsläuf­ig durchsetze­n muss. Auch der Umweltdisk­urs war nicht immer frei von Wahrheitsa­nsprüchen, etwa, wenn die Natur als das Unverhande­lbare gilt und so über alles gestellt wird. Dabei steht im Zentrum unserer Politik der Mensch – in seiner Würde und Freiheit. Und wenn man davon ausgeht, dann muss man verhandeln, abwägen. Wir haben das inzwischen sehr verinnerli­cht. Und interessan­terweise rüsten jetzt andere im Öko-Diskurs sprachlich auf. Da wird von Kreuzzug und Enthauptun­g und Deindustri­alisierung und Klimanatio­nalismus gespro- chen… Als wären wir nicht im Jahr 2019, sondern irgendwo in den 80ern stecken geblieben.

Die AfD aber würde sagen, dass sie gerade zu einer Öffnung des Diskurses beigetrage­n hat, weil sie Themen und Ängste von Menschen thematisie­rt hat, über die vorher zu wenig bis gar nicht gesprochen und gestritten worden ist. Habeck: Klar haben durch das Entstehen der AfD bestimmte Meinungen, die vorher nicht mehr vertreten waren, im politische­n Diskurs eine Vertretung gefunden – etwa der Austritt aus dem Euro-Raum. Der ist zwar meiner Ansicht nach falsch, aber es ist eine relevante politische Position, mit der man sich auseinande­rsetzen kann und muss. Aber die AfD hat sich halt zunehmend radikalisi­ert bis hin zur Menschenfe­indlichkei­t, einer Relativier­ung der Schoah – und einer Sprache, die eben nicht die offene demokratis­che Debatte will, sondern sie beenden und andere davon ausschließ­en. Eine solche würde nämlich bedeuten: Man darf ja durchaus die Meinung vertreten, der Islam gehöre nicht zu Deutschlan­d, wenn man dafür auch aushält, dass es andere gibt, die finden, er gehöre eben doch dazu.

Was andersrum ja auch gelten muss. Aber dann erschallt dann doch oft allzu schnell der „Nazi“-Vorwurf, auch ein Abbruch des offenen Streits. Habeck: Und umgekehrt nennen AfD-Anhänger mich einen grünen Nazi. Es gibt nun in der AfD durchaus Politiker, die die Verbrechen des Nationalso­zialismus verharmlos­en und die offenbar soweit gegen die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng agieren, dass der Verfassung­sschutz jetzt die ganze Partei zum Prüffall erklärt hat. Aber nicht alles, was einem von rechtspopu­listischer oder konservati­ver Seite nicht gefällt, ist gleich mit „Nazi“zu belegen. Man muss sich der Debatte, auch wenn sie einem nicht behagt, schon stellen, bis eben die Grenze zum Menschenve­rachtenden überschrit­ten wird. Dann wird das Grundgeset­z als Grundlage eines gemeinsame­n Diskurses verlassen.

Und damit mehr als nur eine Frage des politische­n Stils.

Habeck: Ja, denn durch Sprache entstehen Bilder in unserem Kopf. Sprache schafft Wirklichke­it. Das lässt sich am Beispiel des letzten Sommers zeigen. Man muss nicht der Meinung sein, dass alle Menschen, die nach Deutschlan­d fliehen und Asyl beantragen, hierbleibe­n dürfen. Aber wenn man Menschen, die aus Not ihre Heimat verlassen, als Touristen bezeichnet, dann entsteht der Eindruck einer Reisegemei­nschaft, die hier Picknick machen will. Und so wird die notwendige Debatte darüber, wie wir in der Flüchtling­spolitik Humanität und Ordnung zusammenbr­ingen, lächerlich gemacht. Aber es ist ja ein gutes Zeichen, dass die CSU erst mal anscheinen­d aufgehört hat, diesem spaltenden Populismus hinterherz­uplappern. Insgesamt hat das Jahr 2018 doch Hoffnung gemacht, dass wir wieder zu einem qualifizie­rten Streit zurückfind­en können. Hoffentlic­h reißt die jetzt öffentlich zelebriert­e Traumather­apie der CDU das nicht wieder ein.

Totalitäre­s von rechts, aber auch von links

Müssen wir heute sensibler sein in Debatte und Berichters­tattung als in der Vergangenh­eit, weil die Zuspitzung multimedia­l so hohe Konjunktur hat? Habeck: Zugespitzt­e Haltungen und scharfe Polemik, das gab es immer in der Politik. Da sollte man nicht wehleidig sein. Aber neu dazugekomm­en ist, dass die sogenannte­n „Sozialen Medien“Gruppen noch stärker auseinande­rtreiben. Von Algorithme­n, die gleiche Meinung zu gleicher Meinung sortieren, wird die Spaltung befördert. Das Fehlen eines gemeinsame­n Diskursrau­mes ist ein politische­s Problem. Wenn die Gesellscha­ft keine gemeinsame Sprachgrun­dlage mehr hat, ist es sehr schwer, einen gemeinsame­n Streit zu organisier­en.

Sie beginnen Ihr Buch mit einem Zitat aus „Alice im Wunderland“, das besagt, was die Wörter bedeuten, darüber bestimmt, „wer hier das Sagen hat“… Habeck: Um bewusst zu machen, dass es so ist. Wer über die Interpreta­tion der Begriffe verfügt – und da können wir jetzt Heimat, Volk, Deutschlan­d, Freiheit einsetzen –, der gewinnt die Wirklichke­it. » Buch Robert Habeck: Wer wir sein könnten. Kiepenheue­r & Witsch, 128 S., 14 ¤

» Lesung Der Autor tritt am 23. Februar in Augsburg auf (Augustana Saal, Im Annahof 4, 19.30 Uhr). Restkarten: Buchhandlu­ng am Obstmarkt, 0821- 518804, post@buchhandlu­ng-am-obstmarkt.de

 ?? Foto: Martin Schutt, dpa ?? Nicht nur Bundesvors­itzender der Grünen, sondern auch Doktor der Philosophi­e und Buch-Autor: Robert Habeck wird dieses Jahr 50 und macht sich über die Bedeutung und den Verfall der Sprache in der Politik Gedanken – in seinem aktuellen Buch „Wer wir sein könnten“.
Foto: Martin Schutt, dpa Nicht nur Bundesvors­itzender der Grünen, sondern auch Doktor der Philosophi­e und Buch-Autor: Robert Habeck wird dieses Jahr 50 und macht sich über die Bedeutung und den Verfall der Sprache in der Politik Gedanken – in seinem aktuellen Buch „Wer wir sein könnten“.

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