Augsburger Allgemeine (Land West)
Knigge?! – Kannste knicken
Gesellschaft Die frühere „Bibel für gutes Benehmen“ist nicht mehr jedem ein Begriff. Sind die Manieren wirklich schlechter geworden?
Landkreis Augsburg Manchmal kann Alan Büching, Pfarrer aus Diedorf, selbst kaum glauben, was er täglich erlebt. Im Rahmen seines Konfirmationsund Religionsunterrichts stellt er oft fest, dass es einigen jungen Menschen an Respekt mangelt. „Viele Jugendliche werden heutzutage viel freier erzogen, sind dadurch Ich-Bezogener und auch respektloser. Ich denke, den Kindern werden teilweise zu wenige Grenzen gesetzt.“
Alan Büching geht aber noch einen Schritt weiter. „Manchmal sind die Eltern meiner Konfirmanden schlimmer als die Kinder selbst“, meint Alan Büching. Die Erziehungsberechtigten setzen sich teilweise zu ihm in den Gottesdienst und fangen dann an, sich lautstark zu unterhalten. Auch bei Taufen erlebt der Pfarrer oft, dass jeder Anwesende ein Handy in der Hand hat und kaum mehr aufmerksam zuhört. „Das kommt mir dann wie eine völlige Gleichgültigkeit vor, die man offen zur Schau stellt. Das ist für jemanden, der sich lange darauf vorbereitet hat, schon ein Schlag in die Magengrube“, erklärt Büching.
Früher sei das Verhalten der heutigen Generation der 20 bis 40-jährigen respektvoller gewesen. Das Verhalten der Kinder liege unter anderem an den Eltern, die es ihren Schützlingen falsch vorleben. „Schon in der Grundschule wird Lehrern gedroht oder zu Hause mit den Kindern über sie hergezogen“, meint Büching. Auch Markus Bzduch vom Stereoton Neusäß sieht eine wesentliche Schuld des schlechten Benehmens der Kinder bei den Erziehungsberechtigten: „Wenn die Eltern ihren normalen Erziehungsauftrag nicht erfüllen, zieht sich das meistens auch später durch.“
Doch das ist wohl nicht immer so. Alois Pfiffner fährt hin und wieder nachmittags Schulbusse. Der Werkstattmeister aus Gersthofen stellt Ausreißer nach beiden Seiten fest. „Einige Kinder bedanken sich nicht, wenn sie zu spät kommen und ich auf sie warte, andere sind sehr freundlich.“
Auch im Stereoton in Neusäß, einem Jugendzentrum, zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. „Uns ist in den letzten Jahren schon aufgefallen, dass einige Jugendliche eher unfreundlicher geworden sind und etwas an Benehmen verloren gegangen ist. Das ist aber oft nicht böse gemeint, sondern Teil der Jugendsprache“, erklärt Leiter Markus Bzduch. Im Rahmen des Ferienprogramms des Stereoton wird sogar ein Benimmkurs für Kinder angeboten. Insgesamt werde leider weniger Wert auf das Benehmen gelegt.
Und wie sieht es in der ältesten Generation aus? Die behauptet ja häufig, dass früher alles besser und disziplinierter gewesen sei.
Raimund Strauch ist Vorsitzender des Seniorenbeirats Stadtbergen. Er hat mit den älteren Menschen dort immer gute Erfahrungen gemacht. „Die alten Menschen wissen, wie sie sich benehmen müssen. Früher wurden sie noch sorgfältiger erzogen und hatten keine Ablenkung durch Handys“, erklärt Strauch. Bis auf den Altersstarrsinn oder psychische Erkrankungen, bei denen sich die betroffenen Personen leider nicht mehr helfen und nichts sagen lassen, sind die Menschen dort sehr umgänglich und freundlich. „Mich faszinieren vor allem die gegenseitige Hilfsbereitschaft und das harmonische Beisammensein der Senioren“, meint Strauch. Bis auf einige Ausreißer, wie etwa das Messer in den Mund zu nehmen, weiß sich jeder zu benehmen. „Für ältere Leute haben die alten Regeln nach wie vor Gültigkeit“, erklärt Strauch.
Die Stadtbücherei Gersthofen hat einige Bücher zum Thema. Online finden sich Titel wie etwa ein Ratgeber für richtige Manieren im Netz sowie ein Knigge des 21. Jahrhunderts. Bibliotheksleiterin Anna Stella Jörg habe mit Besuchern nie ein Problem gehabt. „Sollte sich mal jemand etwas zu laut unterhalten, weisen wir die Personen darauf hin. Das hat bis jetzt gut funktioniert“, erklärt Jörg.
Pfarrer Alan Büching jedenfalls hat Konsequenzen gezogen. Er stellt am Anfang jedes Unterrichts einige Regeln auf, da viele Jugendliche andernfalls wie selbstverständlich ihre Füße auf den Tisch legen oder ständig ihre Flasche in der Hand halten würden. „Lehrer waren für uns immer Respektspersonen, das ist heute anders.“Zum Schluss nimmt er seine Schüler in Schutz und betont, dass es nicht nur Negativbeispiele gebe. „Ich habe sehr viele nette junge Leute in meinen Klassen, die mir auf Augenhöhe begegnen und Kritik sachlich äußern.
„Lehrer waren für uns immer Respektspersonen, das ist heute anders.“
Pfarrer Alan Büching