Augsburger Allgemeine (Land West)

Knigge?! – Kannste knicken

Gesellscha­ft Die frühere „Bibel für gutes Benehmen“ist nicht mehr jedem ein Begriff. Sind die Manieren wirklich schlechter geworden?

- VON ISABELLE THOMA

Landkreis Augsburg Manchmal kann Alan Büching, Pfarrer aus Diedorf, selbst kaum glauben, was er täglich erlebt. Im Rahmen seines Konfirmati­onsund Religionsu­nterrichts stellt er oft fest, dass es einigen jungen Menschen an Respekt mangelt. „Viele Jugendlich­e werden heutzutage viel freier erzogen, sind dadurch Ich-Bezogener und auch respektlos­er. Ich denke, den Kindern werden teilweise zu wenige Grenzen gesetzt.“

Alan Büching geht aber noch einen Schritt weiter. „Manchmal sind die Eltern meiner Konfirmand­en schlimmer als die Kinder selbst“, meint Alan Büching. Die Erziehungs­berechtigt­en setzen sich teilweise zu ihm in den Gottesdien­st und fangen dann an, sich lautstark zu unterhalte­n. Auch bei Taufen erlebt der Pfarrer oft, dass jeder Anwesende ein Handy in der Hand hat und kaum mehr aufmerksam zuhört. „Das kommt mir dann wie eine völlige Gleichgült­igkeit vor, die man offen zur Schau stellt. Das ist für jemanden, der sich lange darauf vorbereite­t hat, schon ein Schlag in die Magengrube“, erklärt Büching.

Früher sei das Verhalten der heutigen Generation der 20 bis 40-jährigen respektvol­ler gewesen. Das Verhalten der Kinder liege unter anderem an den Eltern, die es ihren Schützling­en falsch vorleben. „Schon in der Grundschul­e wird Lehrern gedroht oder zu Hause mit den Kindern über sie hergezogen“, meint Büching. Auch Markus Bzduch vom Stereoton Neusäß sieht eine wesentlich­e Schuld des schlechten Benehmens der Kinder bei den Erziehungs­berechtigt­en: „Wenn die Eltern ihren normalen Erziehungs­auftrag nicht erfüllen, zieht sich das meistens auch später durch.“

Doch das ist wohl nicht immer so. Alois Pfiffner fährt hin und wieder nachmittag­s Schulbusse. Der Werkstattm­eister aus Gersthofen stellt Ausreißer nach beiden Seiten fest. „Einige Kinder bedanken sich nicht, wenn sie zu spät kommen und ich auf sie warte, andere sind sehr freundlich.“

Auch im Stereoton in Neusäß, einem Jugendzent­rum, zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. „Uns ist in den letzten Jahren schon aufgefalle­n, dass einige Jugendlich­e eher unfreundli­cher geworden sind und etwas an Benehmen verloren gegangen ist. Das ist aber oft nicht böse gemeint, sondern Teil der Jugendspra­che“, erklärt Leiter Markus Bzduch. Im Rahmen des Ferienprog­ramms des Stereoton wird sogar ein Benimmkurs für Kinder angeboten. Insgesamt werde leider weniger Wert auf das Benehmen gelegt.

Und wie sieht es in der ältesten Generation aus? Die behauptet ja häufig, dass früher alles besser und disziplini­erter gewesen sei.

Raimund Strauch ist Vorsitzend­er des Seniorenbe­irats Stadtberge­n. Er hat mit den älteren Menschen dort immer gute Erfahrunge­n gemacht. „Die alten Menschen wissen, wie sie sich benehmen müssen. Früher wurden sie noch sorgfältig­er erzogen und hatten keine Ablenkung durch Handys“, erklärt Strauch. Bis auf den Altersstar­rsinn oder psychische Erkrankung­en, bei denen sich die betroffene­n Personen leider nicht mehr helfen und nichts sagen lassen, sind die Menschen dort sehr umgänglich und freundlich. „Mich fasziniere­n vor allem die gegenseiti­ge Hilfsberei­tschaft und das harmonisch­e Beisammens­ein der Senioren“, meint Strauch. Bis auf einige Ausreißer, wie etwa das Messer in den Mund zu nehmen, weiß sich jeder zu benehmen. „Für ältere Leute haben die alten Regeln nach wie vor Gültigkeit“, erklärt Strauch.

Die Stadtbüche­rei Gersthofen hat einige Bücher zum Thema. Online finden sich Titel wie etwa ein Ratgeber für richtige Manieren im Netz sowie ein Knigge des 21. Jahrhunder­ts. Bibliothek­sleiterin Anna Stella Jörg habe mit Besuchern nie ein Problem gehabt. „Sollte sich mal jemand etwas zu laut unterhalte­n, weisen wir die Personen darauf hin. Das hat bis jetzt gut funktionie­rt“, erklärt Jörg.

Pfarrer Alan Büching jedenfalls hat Konsequenz­en gezogen. Er stellt am Anfang jedes Unterricht­s einige Regeln auf, da viele Jugendlich­e andernfall­s wie selbstvers­tändlich ihre Füße auf den Tisch legen oder ständig ihre Flasche in der Hand halten würden. „Lehrer waren für uns immer Respektspe­rsonen, das ist heute anders.“Zum Schluss nimmt er seine Schüler in Schutz und betont, dass es nicht nur Negativbei­spiele gebe. „Ich habe sehr viele nette junge Leute in meinen Klassen, die mir auf Augenhöhe begegnen und Kritik sachlich äußern.

„Lehrer waren für uns immer Respektspe­rsonen, das ist heute anders.“

Pfarrer Alan Büching

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Foto: Insel Verlag Berlin, dpa Das Cover des Buches „Über den Umgang mit Menschen“von Adolph Freiherr von Knigge. Der Ratgeber für menschlich­es Verhalten ist neu verlegt worden und hat in vielerlei Hinsicht noch heute Gültigkeit.
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Foto: dpa Knigge, 1752 in Bredenbeck bei Hannover geboren, gilt als Erfinder der gesellscha­ftlichen Benimmrege­ln.

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