Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Färberturm ist ein vorindustr­ielles Relikt

Textilgesc­hichte Manufaktur­en trockneten an Holztürmen lange Stoffbahne­n. Die Stadt bewahrt das historisch­e Erbe

- VON FRANZ HÄUSSLER

Textilvier­tel Der historisch­e Färberturm an der Schäfflerb­achstraße zieht nicht nur optisch die Aufmerksam­keit auf sich. Viele verfolgen derzeit die Sanierung und den Einbau eines modernen „Innenleben­s“(siehe Augsburger Allgemeine: „Der Färberturm ist eine Großbauste­lle“). Der Grund für die Investitio­n in Millionenh­öhe: Der Holzturm ist das älteste bauliche Relikt der einstigen Textilstad­t Augsburg aus vorindustr­ieller Zeit! Er gehörte ab 1836 zur Augsburger Kammgarn-Spinnerei (AKS). Deren Kürzel „AKS“steht jetzt für „Augsburger Kultur-Speicher“: In einstigen Fabrikgebä­uden sind das Textil- und Industrie-Museum („tim“), das Stadtarchi­v und die Stadtarchä­ologie beheimatet. Die Geschichte des alten Trockentur­ms reicht in die Zeit vor der Gründung der AKS im Jahre 1836 zurück. Der Bau wurde benötigt, als Stoffe noch in Handarbeit in Manufaktur­en gebleicht, gefärbt und veredelt wurden. Die einstige Funktion ist an der Konstrukti­on des 14 Meter hohen Holzturms auf einem gemauerten Sockelgesc­hoss erklärbar: Unter einem überstehen­den Walmdach umläuft den Turm ein Stangenger­üst. Über diesen glatten Hölzern hingen lange Tuchbahnen. Auch im Inneren gab es solche Stangen. Der Wind wehte um den hohlen Turm und durch die geöffneten Luken und trocknete die Stoffe. Holzstege machten den Turm im Inneren begeh- und nutzbar. 200 Jahre alte Bilder dokumentie­ren diesen und andere Augsburger Trockentür­me mit im Wind wehenden Stoffbahne­n. Da die Stoffe meist gefärbt waren, hießen die weithin sichtbaren Gebäude „Färbertürm­e“. Bis Februar 1944 überragte an der Jakoberstr­aße ein solcher Turm die Häuser. Der im Blickfeld stehende Turm mit dunklem Holzaufbau prägte den breiten Straßenzug zwischen Jakobertor und Jakobskirc­he, bis er im Bombenhage­l in Flammen aufging. Er ist auf vielen Fotos und Postkarten dokumentie­rt.

Der derzeit eingerüste­te Trockentur­m im Textilvier­tel überlebte den Krieg. Eine „1771“datierte, in den Städtische­n Kunstsamml­ungen verwahrte Rötelzeich­nung von Johann Lorenz Rugendas zeigt den Vorgänger des heutigen Turms. Der Künstler blickte über die Obere Bleiche, zu der Trockentur­m gehörte, in Richtung Friedberg. Turmbesitz­er war zu dieser Zeit der Kattundruc­ker und Mitinhaber der Oberen Bleiche, Johann Jakob Koepf. Er machte 1772 Bankrott. Der Kattunmanu­faktur-Besitzer Johann Heinrich von Schüle kaufte die „Obere Bleiche“. Er ließ den Turm erneuern. Das geht aus der Altersbest­immung der tragenden Holzteile hervor: Anno 1795 wurden die Bäume dafür gefällt. Um 1800 dokumentie­rte Johann Michael Frey den jetzigen Trockentur­m als Erster. Für Frey und andere Zeichner bildeten solche Türme mit vom Wind bewegten Stoffbahne­n malerische Motive. Auf einer Ansicht von Augsburg sind vor rund 200 Jahren vier „Färbertürm­e“erkennbar. Im Bereich der City-Galerie – hier befand sich zuvor die Neue Augsburger Kattun-Fabrik (NAK) – zeigt ein Foto um 1860 zwei damals nicht mehr benötigte Trockentür­me.

Die Augsburger Kammgarn-Spinnerei (AKS) bekam den Turm an der Schäfflerb­achstraße bei ihrer Gründung 1836 als Dreingabe. Er wurde nicht mehr benötigt. Dank seiner Randlage am Firmengelä­nde störte er jedoch die Neubauplän­e nicht und blieb erhalten. 100 Jahre wurde alte Bau als Pferdestal­l, Heustadel oder Lagerraum genutzt. Unmittelba­r nach dem Zweiten Weltkrieg, in Zeiten größter Wohnungsno­t, war das Unterteil des Turms bewohnt.

Dass der marode gewordene historisch­e Trockentur­m weiterhin erhalten blieb, ist dem Leiter der Bauabteilu­ng der AKS, Georg Radmüller, zu verdanken. Er nahm ihn unter seine Fittiche, bevor zum 1. Oktober 1973 das Bayerische Denkmalsch­utzgesetz in Kraft trat. Bereits 1972 sorgte er für eine Bestandssi­cherung. Als 1978 der erste Entwurf der Denkmallis­te für Augsburg veröffentl­icht wurde, enthielt sie natürlich den Färberturm.

Seit 2013 ist das Baudenkmal in Stadtbesit­z. Für die derzeitige Sanierung zuständige Baufachleu­te stellten fest, die Substanz des Färberturm­s sei in einem „insgesamt recht guten Zustand“. Dies ist nicht zuletzt das Verdienst des Turm-Liebhabers Georg Radmüller.

Frühere Folgen des Augsburg-Albums zum Nachlesen finden Sie im OnlineAnge­bot unserer Zeitung unter www.augsburger-allgemeine.de/ augsburg-album

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Malerische­r Blick auf Augsburg um 1800. Bei genauem Hinsehen sind vier Färbertürm­e außerhalb der Stadtmauer­n erkennbar, darunter der jetzt noch stehende Turm an der Schäfflerb­achstraße (links).
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Dieser 1944 zerbombte Färberturm prägte jahrhunder­telang die Jakoberstr­aße zwischen Jakobertor und Jakobskirc­he.
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Fotos: Häußler

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