Augsburger Allgemeine (Land West)
Netanjahus schärfster Rivale
Benny Gantz war Israels ranghöchster Soldat. Nun will er Ministerpräsident seines Landes werden. Was aber unterscheidet ihn eigentlich vom Amtsinhaber?
Es gibt schlechtere Startrampen für eine politische Karriere als ein israelisches Offizierspatent. Benny Gantz jedenfalls, im beginnenden Wahlkampf der schärfste Rivale von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, wäre nicht der erste ehemalige Generalstabschef, der in Israel Regierungschef wird. Schon Yitzhak Rabin, der spätere Friedensnobelpreisträger, war zuvor Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
Gantz allerdings musste erst eine Partei gründen, um überhaupt ins Rennen gehen zu können. Keine zwei Monate ist das jetzt her, und wenn die Umfragen nicht täuschen, liegt der 59-Jährige inzwischen fast gleichauf mit Netanjahu. Wofür er steht, für einen Kurs leicht links von der Mitte oder eine gemäßigt konservative Linie, ist zwar noch nicht ganz klar. In der an überraschenden Volten reichen israelischen Politik aber ist der knapp zwei Meter große Gantz schon jetzt der Senkrechtstarter des Jahres. Bescheiden im Auftreten, integer, Hochschulabschlüsse in Geschichte und Politik: „Er hat alles, was man braucht, um ganz oben mitzuspielen“, sagt ein früherer Offizierskollege. „Und die Tatsache, dass er gut aussieht“, fügt die Meinungsforscherin Mina Tzemach hinzu, „schadet ihm auch nicht.“
Früh schon hatte sich der Sohn einer Holocaust-Überlebenden, die 1945 aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen befreit wurde, für das Militär entschieden. Mit 28 Jahren übernahm Gantz bereits das Kommando über ein Fallschirmjäger-Bataillon, später befehligte er verschiedene Spezialeinheiten und vertrat sein Land für kurze Zeit als Militärattaché an der Botschaft in den USA. Er ist kein großer Redner, darauf aber kommt es den Israelis auch nicht an. In einem Land, das vom Tag seiner Gründung an von Gegnern und Feinden umgeben ist, zählen andere Qualitäten, zum Beispiel die, sich in brenzligen Situationen zu behaupten – und die hatte Gantz als Soldat mehr als einmal zu bestehen. Ob er seine erst Ende Dezember gegründete Partei auch deshalb „Chossen Le Israel“genannt hat? Widerstandskraft für Israel. Im Wahlkampf hat er bislang vor allem eine Korruptionsaffäre zum Thema gemacht, in die Netanjahu verstrickt sein soll. In der Sache dagegen sind sich Ministerpräsident und Herausforderer in vielen für die Israelis elementaren Fragen einig. Wie Netanjahu steht auch Gantz an der Seite der jüdischen Siedler im Westjordanland, wie für Netanjahu ist auch für ihn ein ungeteiltes Jerusalem die einzig denkbare Hauptstadt – und wie Netanjahu würde auch sein Herausforderer den besetzten Golan nie freiwillig räumen.
Ob das schon reicht, um einen alten Fahrensmann wie Netanjahu aus dem Amt zu drängen, der im Zweifel immer noch eine Kleinstpartei findet, die ihm zu einer Mehrheit verhilft? Benjamin Gantz weiß, dass er es alleine kaum schaffen kann, und hat sich deshalb mit der liberalen Partei des früheren Fernsehjournalisten Jair Lapid verbündet. Im Falle eines Wahlsieges wollen sie sich abwechseln: Gantz soll als Ministerpräsident beginnen und zur Hälfte der Wahlperiode an Lapid übergeben.