Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie nahe gehen Ihnen die Skandale?

Wie geht ein Pfarrer mit den ständigen Berichten über Missbrauch­sfälle in der Kirche um? Die Kritik an der Institutio­n ist massiv. Ein Gespräch mit Helmut Haug aus Augsburg

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Herr Haug, im Vatikan findet gerade ein Anti-Missbrauch­sgipfel statt, im katholisch­en Kinderheim Heilig Kreuz in Donauwörth gab es Fälle schwerer körperlich­er und sexueller Gewalt, im Bistum Eichstätt spielt ein Finanzskan­dal … Wie denken Sie darüber als katholisch­er Pfarrer?

Helmut Haug: Ich denke mir manchmal: Jetzt kommt schon wieder was! Und ich muss auch immer wieder an das biblische Wort aus dem Johannesev­angelium denken: Die Wahrheit wird euch frei machen. Wenn die Wahrheit auch noch so schmerzt – sie muss raus.

Sie kommt gerade ans Tageslicht. Immer wieder werden neue Skandale bekannt.

Haug: Ich habe den Eindruck, dass die Kirche, und damit meine ich die Institutio­n, Hilfe braucht. Sicher, die Kirche besteht aus Menschen, aber es gibt auch Strukturen in ihr – und die sind ungesund.

Sie braucht Hilfe?

Haug: Ja, von den Medien, von den Humanwisse­nschaften. Viele innerhalb der Kirche meinen immer noch, sie könnten die Probleme selbst lösen; sie meinen, man redet

„Ständig bekomme ich Austrittsm­eldungen auf den Tisch.“

Pfarrer Helmut Haug

ein bisschen drüber und dann wird’s schon wieder. Ich würde aber auch sagen: Alle Diözesen in Deutschlan­d haben inzwischen verstanden, dass nichts mehr vertuscht werden darf, dass man bei Missbrauch­svorwürfen sofort die Staatsanwa­ltschaft einschalte­t. Das ist aber eben nur das eine. Die Hilfe von außen, das ist das andere – und zwar ist das nochmals eine weiterreic­hende Dimension.

Gehen Ihnen die Skandale und die Berichters­tattung darüber nahe?

Haug: Natürlich, das macht mich betroffen. Das lässt sich nicht einfach so abschüttel­n. Und genauso geht es mir nahe, wenn ich erfahre, dass Missbrauch in einer Familie geschieht. Ich bin entsetzt darüber.

Haben Sie das Gefühl, dass die Kirche in einer tiefen Krise steckt?

Haug: Ja, das habe ich. Und auch hier muss ich ans Johannesev­angelium denken: Dort wird Krise auch als Wendepunkt beschriebe­n.

Leser haben mir geschriebe­n, Journalist­en sollten doch stärker darüber berichten, was Gutes in der Kirche getan wird – und nicht „immer nur“über Missbrauch­s- und Finanzskan­dale.

Haug: Ich zumindest kann mich nicht beschweren – über die Moritzkirc­he in Augsburg, wo ich Pfarrer bin, ist in den vergangene­n Jahren viel und positiv berichtet worden. Aber die Skandale gibt es nun mal. Die Freude an meinem Beruf, an meiner Berufung machen sie mir nicht kaputt. Wenn mich Menschen auf die Skandale ansprechen, fühle ich mich als Kirchenver­treter jedenfalls nicht persönlich angegriffe­n.

Sie sind auch Dekan, Sie koordinier­en also mehrere Pfarreien. Sie sprechen mit vielen Priesterko­llegen. Was sagen die?

Haug: Wir sprechen über diese Themen, klar. Sie erzählen Ähnliches. Was uns auch sehr zu schaffen macht, das sind die steigenden Kirchenaus­trittszahl­en. Das Standesamt teilt sie uns mit. Ständig bekomme ich Austrittsm­eldungen auf den Tisch. In meiner Pfarrei in der Innenstadt Augsburgs sind es vor allem 30-, 40-Jährige, die austreten. Das tut mir weh. Ich weiß ja nicht einmal genau, warum sie austreten. Das müssen sie schließlic­h auf dem Standesamt nicht angeben.

Die Skandale zählen gewiss mit zu den Gründen für einen Kirchenaus­tritt.

Haug: Das ist so. Zugleich scheint mir eine allgemeine Stimmung zu herrschen, dass die Kirche keine vertrauens­würdige Institutio­n mehr sei. Vielleicht haben daran dann auch die Medien ihren Anteil.

Gelegentli­ch ist von einem Generalver­dacht gegen Kirchenver­antwortlic­he die Rede. Gibt es den?

Haug: Ich erlebe es nicht so.

Ich erlebe Pfarrer, die mit großer Begeisteru­ng und bis zur Erschöpfun­g arbeiten, die aber angesichts der Austrittsz­ahlen oder leerer Gotteshäus­er frustriert sind.

Haug: Ich sage mir manchmal: Ich muss nichts retten, auch die Kirche nicht.

Wie meinen Sie das?

Haug: Nun, das macht schon jemand anderes, nämlich Gott. Das gibt mir eine gewisse Gelassenhe­it, meine Aufgaben wahrzunehm­en – und das sind nicht wenige. Was mich zudem ermutigt: Ich habe so viele Begegnunge­n, so viele Gespräche mit Menschen, die den Gesprächsp­artnern, aber auch mir guttun. Wir haben hier ja das Konzept der Cityseelso­rge: Wir wollen da sein, für jeden. Auch das lässt mich jeden Abend sagen: Es ist gut, dass ich das mache.

Da sein, zuhören – ist das auch ein Weg für die gesamte Kirche, Glaubwürdi­gkeit zurückzuge­winnen?

Haug: Na klar. Ich mache immer wieder die Erfahrung: Es kommt darauf an, wie offen ich Menschen begegne. Ich glaube, sie sehen in mir nicht den Vertreter einer Institutio­n, die gerade in der Kritik steht, sondern einen, der ihnen eben zuhört. Man weiß nie, auf welchen Boden ein Wort fällt und was es vielleicht auslöst.

Erwarten Sie viel von dem Anti-Missbrauch­sgipfel im Vatikan, der am Sonntag endet?

Haug: Das Thema ist so komplizier­t, so verschlung­en und verworren, dass jeder Schritt, der jetzt getan wird, ein guter Schritt ist. Dass sich nun sofort alles zum Besseren ändern wird, das glaube ich nicht. Es wird dafür einen langen Atem brauchen, und ich hoffe, dass es Kirchenver­antwortlic­he gibt, die ihn haben werden.

Interview: Daniel Wirsching

54, aus Schwabmünc­hen im Kreis Augsburg ist Pfarrer der Augsburger Moritzkirc­he und Stadtdekan.

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Archivfoto: Arne Dedert, dpa Die katholisch­en Kirchen leeren sich. Das beobachtet und bedauert auch der Augsburger Pfarrer Helmut Haug. Missbrauch­s- und Finanzskan­dale zählen zu den Gründen für die steigenden Kirchenaus­tritte.
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Helmut Haug,

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