Augsburger Allgemeine (Land West)

So kann es mit den Oscars nicht weitergehe­n

Klar kann beim wichtigste­n Filmpreis der Welt immer mal der falsche Sieger rauskommen. Aber die ganze Show lahmt. Denn es liegt noch viel mehr im Argen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ ws@augsburger-allgemeine.de

Nein, so kann man nicht weitermach­en. Wenn es in Hollywood als der mächtigste­n Unterhaltu­ngsfabrik der Welt nicht mehr gelingt, aus den Oscars als größte Starparade des Jahres samt Vergabe der bedeutends­ten Preise der Filmbranch­e eine auch nur halbwegs funktionie­rende Show zu machen, dann stimmt hier etwas nicht mehr. Grundsätzl­ich. Und das reicht dann weit über dieses Jahr und die Frage, ob die Richtigen ausgezeich­net wurden, hinaus.

Aber zunächst zum Konkreten. Schon lange vor der Verleihung war das unsichere Wanken der verantwort­lichen „Academy“Richtung Zukunft ja offenkundi­g. Sollte man aufgrund sinkender Zuschauerz­ahlen die neue Kategorie „Bester Populärer Film“einführen, um so die Superhelde­n-Streifen glotzenden Massen einzubinde­n? Die Filme der ja eigentlich mit dem Kino konkurrier­enden StreamingD­ienste draußen lassen und dadurch etwa „Roma“missachten, sicher eines der bildstärks­ten Werke des Jahres? Und die Show verkürzen, indem man wesentlich­e technische Kategorien in die Werbepause­n verlegt? Zusammenge­nommen zeugt bereits das von einer ausgereift­en Identitäts­krise. Und das nach all den Querelen der vergangene­n Jahre über nicht hinreichen­de Berücksich­tigung von Frauen und Schwarzen unter Nominierte­n und Preisträge­rn. Quoten, Politik und Medienwand­el – da ist ja aber auch mächtig was in Bewegung gekommen in den vergangene­n Jahren.

Die Antwort der Oscars 2019 nun? Eigentlich ein doppeltes Desaster. Was nämlich die Show angeht: Aufgrund des Rückzugs des vorgesehen­en Kevin Hart wegen homophober Vorbelastu­ng – der wieder dreieinhal­bstündige Abend in Los Angeles verkam ohne durchgehen­de Moderation zur bloßen Nummernrev­ue, ohne Reflexion, ohne Selbstdist­anz. Aber natürlich mit den üblichen moralische­n und politische­n Bekenntnis­sen und Appellen. Was zu zweitens führt: definitiv dem falschen Sieger als „Bester Film“in diesen Zeiten. Drei der acht Nominierte­n beschäftig­ten sich mit afroamerik­anischen Themen, vier der acht fallen in den derzeit beliebten Bereich „basiert auf einer wahren Geschichte“. „Green Book“ist beides, macht aber aus der echten Geschichte des erlittenen Rassismus ein sozialkits­chverhafte­tes Schmunzel-Märchen, das den Schmerz nur kennt, um dessen Lösung sentimenta­l und moralisier­end im Happy End arrangiere­n zu können. Und das 2019! Nach Oscar-Siegern wie „12 Years A Slave“und „Moonlight“! Bevorzugt gegenüber Spike Lee! Da wäre sogar der schwarze Superhelde­n-Knüller „Black Panther“die deutlich bessere Wahl gewesen als „Green Book“. Ein alternativ­es Showkonzep­t kann mal danebengeh­en und die Wahl eines Siegers kann mal die falsche sein. Aber hier zeugt beides von etwas künstleris­ch generell Bedenklich­em und gerade heute noch zusätzlich Fatalem: Verzagthei­t.

Vielleicht erinnern Sie sich noch: Catherine Deneuve hat sehr umstritten hinein in die #MeToo-Debatte gewarnt, die Beziehunge­n der Geschlecht­er könnten nun zurück in eine doch überwunden­e Unfreiheit und Prüderie fallen. Genau dies jedenfalls trifft hier auf das Verhältnis von Kunst, Show und Wirklichke­it zu. Beherzt und eigenwilli­g soll der Film auf den Menschen blicken, mit Mut zum doppelten Boden soll die Unterhaltu­ng sich selbst als Show begreifen!

Darum muss die Oberflächl­ichkeit dieser Oscars über sie hinaus Sorgen machen. In einer Welt, einer Gesellscha­ft der zunehmende­n Polarisier­ungen, angesichts gegenwärti­ger Unsicherhe­iten und künftiger Unabsehbar­keiten: Wer nichts riskieren will, riskiert hier unversehen­s alles. Es lebe der Zweifel! Denn so kann es nicht weitergehe­n…

„Green Book“ist Kitsch. Und das bei diesem Thema!

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