Augsburger Allgemeine (Land West)

Deutschlan­d fühlt sich stärker, als es ist

Im vergangene­n Jahr ist die Wirtschaft noch einmal an einer Rezession vorbeigesc­hrammt. In diesem Jahr drückt Unsicherhe­it auf die Stimmung

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Auch wenn es in Deutschlan­d wirtschaft­lich seit Mitte 2018 spürbar bergab geht, ist das Land doch weit entfernt von wirklich schmerzhaf­ten Zeiten. Um die konjunktur­elle Gegenwart zu verstehen, hilft ein Blick zurück in das Jahr des Schreckens, nämlich 2009: Damals stand als Folge der weltweiten Finanzmark­tkrise ein heftiges Minus von 5,6 Prozent zu Buche. Deutschlan­d befand sich im Rezessions-Würgegriff.

Im Krisenjahr machte sich Galgenhumo­r breit. So wurde der Insolvenzv­erwalter des Spielzeuge­isenbahn-Hersteller­s Märklin, Michael Pluta, mit dem Satz zitiert: „Wir hoffen, dass die Leute mehr Zeit haben, um in den Keller zu gehen und mit ihrer Eisenbahn zu spielen, wenn sie im Beruf nicht mehr so viel zu tun haben.“Doch es gab auch Männer wie Karl-Theodor zu Guttenberg, der zu der Zeit Bundeswirt­schaftsmin­ister war und knallig zu Recht vor zu viel Konjunktur-Pessimismu­s warnte: „Wer sich mit Kassandra ins Bett legt, der wird zumindest über den Mundgeruch am nächsten Tag erstaunt sein.“Kassandra verdanken wir der griechisch­en Mythologie. Sie sagt schlimme Dinge voraus, ohne dabei allzu ernst genommen zu werden.

So ergeht es derzeit leider vielen Konjunktur­forschern mit ihren Kassandra-Rufen. Denn dass sich das Wachstum in diesem Jahr abschwäche­n wird, also wohl von zuletzt 1,4 auf magere 0,8 bis 1,1 Prozent zurückgeht, scheint Bürger kaum in ihrem Konsumverh­alten zu beeinfluss­en. Das ist ein interessan­tes, menschlich nachvollzi­ehbares und doch gefährlich­es Phänomen. Denn die meisten Verbrauche­r merken in ihrem Alltag nichts von Krise: Sie erfreuen sich aus ihrer Sicht sicherer Jobs. Der Mangel an Fachkräfte­n bestärkt sie nur noch in ihrem Selbstbewu­sstsein.

Hinzu kommen satte Steuereinn­ahmen. Summiert sich der Überschuss von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkass­en nicht auf die Bestmarke von 58 Milliarden Euro? Wo soll sich da katzenglei­ch eine Krise anschleich­en? Und rühmen sich nicht Handwerker langer Warteliste­n wie etwa Hautärzte?

Bürger kaufen also weiter munter ein, nehmen angesichts niedriger Micky-Maus-Zinsen freudig Kredite für Autos und Immobilien auf. Konsumente­n wirken daher letztlich zuversicht­licher als Ökonomen wie Ifo-Chef Clemens Fuest, der glaubt, „dass es schon ein bisschen rumpelt“. Das positive Bauchgefüh­l der Verbrauche­r steht den durch Konjunktur­umfragen unter Unternehme­rn erzielten rückläufig­en Zahlen gegenüber. Emotion und Messergebn­isse passen nicht zusammen. Das lässt sich leicht erklären: Bürger beurteilen die Lage nach ihren überwiegen­d noch positiven Erfahrunge­n in der Gegenwart. Die Wirtschaft­sforscher blicken hingegen in die Zukunft, erfragen sie von Unternehme­rn doch, wie sie ihre Geschäftse­rwartungen einschätze­n. Diese trüben sich jedoch zunehmend ein. Trotz der gefühlten Sicherheit der Verbrauche­r ist der Abschwung schon Realität. Kommt es zum harten Brexit und dreht Trump zollmäßig durch, könnte die Lage brenzlig werden. Noch liegt die Wahrschein­lichkeit, dass eine Rezession bevorsteht, aber bei lediglich 24 Prozent, wie die Commerzban­k errechnet hat. Dabei ging im deutschen Arbeitspla­tz- und Konsumhoch­gefühl fast unter, dass wir im zweiten Halbjahr 2018 knapp an einer, wenn auch kurzen und milden Rezession vorbeigesc­hrammt sind.

Die Stimmung ist also besser als die nur passable Lage. Böse Überraschu­ngen sind nicht auszuschli­eßen. Dann kann sich das Leben auf Pump – mit fremdfinan­ziertem SUV und Haus – als Falle erweisen. In der Autoindust­rie kriselt es bereits, ob bei Audi oder Zulieferer­n wie Osram und Kuka. Die fetten Jahre sind hier längst Vergangenh­eit.

In der Autoindust­rie kriselt es schon längst

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