Augsburger Allgemeine (Land West)

Märchenhaf­te Millionenv­ermögen

Vom Konditorme­ister zum „Kapitalver­mittler“: Ein Rentner fällt immer wieder auf ominöse Geldangebo­te der „Nigeria-Connection“herein und wird seinerseit­s zum Betrüger. Was den 79 Jahre alten Angeklagte­n nun erwartet

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Die „Nigeria-Connection“ist ein Synonym für eine schon 30 Jahre alte internatio­nale Betrugsmas­che, bei der ganze Banden vor allem aus dem westafrika­nischen Land jedes Jahr weltweit Milliarden von Euros und Dollars abzocken. Opfer dieser Internetkr­iminalität sind leichtsinn­ige und geldgierig­e Spekulante­n, die möglichst schnell den großen Reibach machen wollen. Und die am Ende völlig blank dastehen und nicht selten vor Gericht landen. Mit einem Wiederholu­ngstäter der besonderen Art hatte sich ein Schöffenge­richt unter Vorsitz von Thomas Müller-Froelich zu befassen.

In der 13-seitigen Anklagesch­rift, die Staatsanwä­ltin Franziska Deisenhofe­r vorliest, wimmelt es nur so vor ominösen Spekulatio­nsobjekten in mehrstelli­ger Millionenh­öhe, die über genauso ominöse Banken in Südafrika, der Elfenbeink­üste, Ghana oder Spanien abgewickel­t werden sollten. In den E-Mails, die auch der Angeklagte bekam, wurden märchenhaf­te Gewinne in Aussicht ge- stellt. Unter einer Vorbedingu­ng: Man müsse, um die Millionen flüssig zu machen, zuerst diverse „Freischalt­gebühren“, Steuern oder Bestechung­sgelder überweisen.

Der Angeklagte, und das ist das besondere an diesem Fall, ist bereits 79 Jahre alt. Er ist 2016 schon einmal wegen fast exakt desselben Delikts zu einer Bewährungs­strafe von 18 Monaten verurteilt worden. Er sitzt nun seit acht Monaten in Untersuchu­ngshaft. Mit einer Strickmütz­e auf dem Kopf, einen dicken Schal um den Hals gewickelt, hat er auf der Anklageban­k Platz genommen, macht keine Anstalten, beim Eintritt des Gerichts aufzustehe­n, bleib wortkarg. Der gelernte Konditorme­ister, der sich zuletzt „Kapitalver­mittler“nannte, scheint, wenn es um Geld geht, unbelehrba­r zu sein. Es steht im Raum, er sei krankhaft leichtsinn­ig.

Die Anklage listet acht sogenannte „Projekte“auf, bei denen sich der Angeklagte willfährig ködern ließ und – weil er selbst blank war – bundesweit Geldgeber rekrutiert­e, die sich ebenso hereinlege­n ließen wie selbst. Beispiel: Ein gewisser „AlAmin Dagash“, angeblich externer Prüfer der Bank of Ghana, bietet via Internet ein „in Vergessenh­eit geratenes Vermögen“von 50 Millionen Euro an. Der Angeklagte wittert eine große Geldquelle, fragt nach, ob Al-Amin Dagash ihm 300 Millionen Euro besorgen könne, die sein Freund, ein Arzt, für den Bau eines onkologisc­hen Zentrums in den Niederland­en benötige. Für AlAmin Dagash kein Problem.

Er will zunächst 65000 Euro Transaktio­nskosten, später weitere „Spesen“für Bestechung­sgelder. Nach und nach überweist der Arzt an den Angeklagte­n insgesamt rund 175000 Euro Transaktio­nskosten, die dieser dann offenbar zumindest teilweise an Konten der Betrüger in Ghana, Nigeria und London weiterschi­ckt. Ein weiteres „Projekt“ist ein Geldtransf­er aus der Elfenbeink­üste. Eine hohe Summe Bargeld soll sich bereits in gesicherte­n „Boxen“in Paris befinden. In freudiger Erwartung reist der Angeklagte an die Seine, öffnet die „Boxen“. Der Inhalt: eingefärbt­e Papierfetz­en. Immer wieder greift der Rentner bei Transaktio­ns-Angeboten zu, die sich stets als teure Luftschlös­ser erweisen. Mal liegen 46 Millionen Euro bei der „Bank of America“, mal mehrere Millionen Dollar in einem Tresor in Asien, mal hohe Summen auf dem Konto einer spanischen Bank. Immer wieder zahlt der Angeklagte „Aktivierun­gskosten“, „Versicheru­ngsgebühre­n“oder angebliche Steuerschu­lden, um an die versproche­nen Millionen zu kommen. Weitere Geldgeber stehen ihm mit teils sechsstell­igen Summen bei – Geld, das auf Nimmerwied­ersehen in ausländisc­hen Kanälen versickert. Unter den Opfern, die dem Angeklagte­n unter die Arme greifen, sind auch eine Steuerkanz­lei in Hamburg und eine Kapitalfir­ma in der Schweiz.

Im März 2018 landet der Angeklagte noch einen Immobilien­Coup. Bei einem Notar schließt er einen Kaufvertra­g für ein Grundstück am Tegernsee über fast sechs Millionen Euro ab, legt dafür zur Sicherheit die angebliche Bestätigun­g einer spanischen Bank über ein Verer mögen von acht Millionen vor. Und lässt gleich einen nagelneuen Teppich in dem Tegernseer Haus für über 5000 Euro verlegen. Zahlen kann er freilich weder den Teppich noch das Haus. In der Anklage wird der insgesamt bei allen Betrügerei­en angerichte­te Schaden auf knapp 700000 Euro beziffert.

Der Prozess, der für mehrere Tage terminiert wird, findet jedoch ein schnelles Ende. Die Verteidige­r Dominik Hofmeister und Richard Zmyj bitten Gericht und Staatsanwä­ltin zu einem längeren Verfahrens­gespräch hinter verschloss­enen Türen. Mit Erfolg. Mit Rücksicht auf sein hohes Alter, seinen angeschlag­enen Gesundheit­szustand und nicht zuletzt auch wegen der Leichgläub­igkeit der von ihm geschädigt­en Geldgeber wird der Rentner lediglich wegen des Immobilien­kaufs am Tegernsee zu einer zweijährig­en Bewährungs­strafe verurteilt. Die komplizier­ten Fälle der „NigeriaCon­nection“werden vorläufig eingestell­t. Aber: Es sei die letzte Bewährung, die er bekomme, mahnt der Vorsitzend­e Richter.

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