Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie werden Menschen zu Tätern?

Nino Haratischw­ili liest in Augsburg

-

Der kleine Vortragssa­al im Annahof füllt sich. Nino Haratischw­ili – ganz in Schwarz, roter Schal, roter Mund – ist pünktlich und sagt gleich, dass sie nicht nur lesen wird. Die gebürtige Georgierin, die heute in Berlin lebt und 2018 in Augsburg mit dem Brechtprei­s ausgezeich­net wurde, will den Dialog. Zuerst aber erzählt sie, wie sie zu ihrem neuen Buch „Die Katze und der General“gekommen ist, das zum Teil in Tschetsche­nien spielt. Inspiriert wurde sie von Anna Politkowsk­aja, jener mutigen Journalist­in, die wohl wegen ihres Engagement­s für Tschetsche­nien ermordet wurde.

Was sie vor allem interessie­rt habe, war die Frage „Wie werden Menschen zu Tätern?“Diese Frage wurde der rote Faden für ihr neues Buch, das ihren Lektor in seiner komplexen Struktur – zwei Zeitebenen, drei Erzähl-Perspektiv­en – an einen Zauberwürf­el erinnerte. In dem ersten Kapitel, das die Schriftste­llerin für ihre Lesung ausgesucht hat, spielt so ein Zauberwürf­el eine wichtige Rolle, im zweiten geht es um Haratischw­ilis Wahlheimat Berlin und die dort lebenden Exilanten aus dem Osten.

Ihre warme Stimme trägt die Geschichte, aber auch im Gespräch überzeugt sie mit einem makellosen, akzentfrei­en Deutsch. Sie habe schon in Tiflis Deutsch gelernt, sagt sie auf eine Frage, und als Schülerin ihr erstes Theaterstü­ck auf Deutsch geschriebe­n. Den Anstoß für ihre Karriere gab das Gastspiel einer Bremer Theatergru­ppe, die Brechts Kaukasisch­en Kreidekrei­s nach Tiflis brachte. Die Bremer luden die junge Frau nach Deutschlan­d ein. „Da habe ich Blut geleckt“, erinnert sich Haratischw­ili. Sie studierte Regie in Tiflis und später in Hamburg.

Offen beantworte­t sie so manche intime Frage, nur die eine nicht: Was sie jetzt plane. „Da bin ich ganz abergläubi­sch,“wehrt sie ab. „Das erzähle ich nicht.“Dafür erfährt das versammelt­e Publikum, was sie vom heutigen Georgien hält: Viel von der aktiven Zivilgesel­lschaft und der Jugend, wenig von den Politikern. Trotzdem bekennt sich Nino Haratischw­ili zu ihrem Heimatland: „Ich bin in sehr vielen Dingen sehr georgisch. Aber ich bin meinem Georgischs­ein gegenüber auch sehr kritisch eingestell­t.“Ihre ganz und gar undeutsche Emotionali­tät verdanke sie ihrer Herkunft, meint sie. Diese Emotionali­tät sei zwar der deutschen Intellektu­ellenszene ein Dorn im Auge. Aber: „Dazu stehe ich, das will ich und das bin ich.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany