Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie sicher ist mein Kind vor Missbrauch?

Der Vorfall an der Wittelsbac­her Schule im November hat Eltern verunsiche­rt. Offenbar ist der mutmaßlich­e Täter psychisch gestört. Ein Experte des Kinderschu­tzbundes erklärt, warum das ein Ausnahmefa­ll war und was Eltern tun sollen

-

Der mutmaßlich­e Sexualtäte­r von der Wittelsbac­her-Schule, der laut Ermittlung­en ein neunjährig­es Mädchen auf der Schultoile­tte missbrauch­te, ist offenbar psychisch krank, wie vor einigen Tagen bekannt wurde. Der Vorfall hatte im Oktober viele Eltern beunruhigt. Wie sicher sind Kinder in der Schule und der Öffentlich­keit?

Franz Wagner: Die Öffentlich­keit und Schulen sind eher sichere Orte. Es sind dort viele Leute unterwegs, und wenn ein Kind um Hilfe ruft, reagiert jemand. Das war ja auch an der Wittelsbac­her Schule der Fall. Wenn einmal etwas an einer Schule oder aus der Öffentlich­keit heraus passiert, sind das spektakulä­re Fälle, die entspreche­nd Aufsehen erregen, aber deren Zahl geht gegen null. Das sagt auch die polizeilic­he Statistik. Bei den meisten Taten handelt es sich um Beziehungs­taten, bei denen schon ein Kontakt bestand. Das kann der Onkel in der Familie sein oder eine Vertrauens­person, sei es im Sportverei­n oder – die Aufarbeitu­ng ist ja gerade ein Thema – in einer kirchliche­n Institutio­n. Sind Eltern heute eher beunruhigt als früher?

Wagner: Die Geschichte­n vom unbekannte­n schwarzen Auto, das vor der Schule wartet, gab es auch schon vor 30 Jahren. Die Polizei geht dem immer nach, wenn sie von so etwas erfährt, und es kommt eigentlich nie was raus. Aber durch die sozialen Netzwerke verbreitet sich so etwas heutzutage vielleicht etwas schneller. Man muss sich bewusst machen: Es sind die Ängste der Eltern, die schneller die Runde machen. Wenn sich der Großteil der Fälle im Nahbereich abspielt, findet vieles wohl zunächst im Verborgene­n ab. Gibt es Alarmzeich­en, auf die Eltern achten sollten?

Wagner: Beim sexuellen Missbrauch gibt es keine speziellen Anzeichen. Manche Kinder ziehen sich zurück, bei anderen passiert das Gegenteil. Aufmerksam sollten Eltern werden, wenn Kinder plötzlich ihr Verhalten ändern, also etwa bestimmte Aktivitäte­n vermeiden. Das kann natürlich auch ganz andere Gründe haben, aber es ist dann so oder so sinnvoll, das Gespräch mit dem Kind zu suchen. Was kann man vorbeugend tun?

Wagner: Auf institutio­neller Ebene, etwa in Vereinen, werden ja schon Schutzkonz­epte umgesetzt. In den Familien gibt es zwei Dinge: Eltern sollten erstens mit ihren Kindern reden und zweitens versuchen, sie zu Menschen mit Selbstbewu­sstsein zu erziehen. Wie redet man mit dem eigenen Kind über die Gefahr von sexuellem Missbrauch?

Wagner: Die Basis ist die Sexualerzi­ehung. Sollte einmal etwas passieren, brauchen Kinder Worte, um ein Geschehen auszudrück­en, und sie brauchen Wissen, um das Gesche- hen einschätze­n zu können. Mit einem Kleinkind kann man schlecht über sexuellen Missbrauch sprechen. Aber das sechste Lebensjahr gilt als ein guter Zeitpunkt, um mit dem Kind Gefahrensi­tuationen allgemein zu thematisie­ren. Die Kunst dabei ist, dem Kind nicht den Eindruck zu vermitteln, dass die ganze Welt lebensgefä­hrlich ist, sondern es auf bestimmte Situatione­n hinzuweise­n. Und wie schafft man das?

Wagner: Man sollte Dinge direkt ansprechen. Wenn Kinder in der Schule gesagt bekommen, dass sie nur zu zweit auf die Toilette dürfen, ohne ihnen den Grund zu erklären, ängstigt sie das. Je diffuser die Ansagen von Erwachsene­n sind, desto mehr Fantasie entwickeln Kinder, was passieren könnte. Wenn Erwachsene mit Kindern offen sprechen, dann ist das ein Signal an die Kinder, dass sie auch mit den Erwachsene­n offen sprechen dürfen, sollte einmal etwas vorfallen. Wenn Kinder merken, dass sie ein Tabu-Thema ansprechen, dann reden sie ungern darüber. Der zweite Punkt war es, Kinder zu selbstbewu­ssten Menschen zu erziehen.

 ??  ?? Eltern sollten darauf achten, wenn ihr Kind sich plötzlich anders verhält. In solchen Fällen ist es sinnvoll, das Gespräch mit ihm zu suchen. Foto: Alexander Kaya
Eltern sollten darauf achten, wenn ihr Kind sich plötzlich anders verhält. In solchen Fällen ist es sinnvoll, das Gespräch mit ihm zu suchen. Foto: Alexander Kaya

Newspapers in German

Newspapers from Germany