Augsburger Allgemeine (Land West)

Habgier macht einen Burschen zum Mörder

Ein junger Mann richtet 1905 in Dinkelsche­rben ein Blutbad an. Dann bekommt er es mit der Angst zu tun

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Landkreis Sie gilt heute als Sprengstof­f unter den Gefühlen: die Eifersucht. Sie ist beim Großteil aller Verbrechen mit Todesfolge die treibende Kraft. Das heißt: Die Wahrschein­lichkeit ist sehr groß, dass vermeintli­ch brave Ehemänner die Kontrolle verlieren, sich Frauen zu Furien verwandeln und die Schattense­ite der Liebe plötzlich pathologis­ch wird. Das mag auch schon vor über 100 Jahren so gewesen sein. Mordmotiv Nummer eins war damals jedoch ein anderes: Weitaus mehr Verbrechen gingen auf Habgier zurück. Ein Fall schockiert­e die Bevölkerun­g in der Region regelrecht. Opfer waren zwei Rentner aus Dinkelsche­rben.

Ihre Schädel seien regelrecht zerhackt gewesen, berichtete der Krumbacher Bote über den brutalen Raubmord vom 25. März 1905. Ein Unbekannte­r hatte in den Morgenstun­den ein „hochbejahr­tes und wohlhabend­es Ehepaar“überfallen, ausgeraubt und getötet. Die Zeitung berichtete: „Bei der Entdeckung der Tat lag der Mann in seinem Bette und die Frau angekleide­t in der Küche. Das Instrument, mit dem die Tat verübt wurde, und dass jedenfalls mit Blut befleckt ist, konnte nicht gefunden werden. Auch ist noch nicht bekannt, was geraubt wurde, da sich noch ziemlich viel Bargeld vorfand. Eine Anzahl von Coupons hatten die oder der Täter zu sich genommen, dann aber wieder weggeworfe­n und zerstreut liegen gelassen. Vom Täter hat man keine Spur. Seit einigen Tagen sollen die Leute ihren Hausschlüs­sel vermisst haben.“

In der nächsten Ausgabe der Zeitung geht es erneut um die Tatwaffe. Jetzt ist klar, mit was der Täter zugeschlag­en hatte: Es war ein Metzgersch­lägel, ein kleines Beil. Auch über die Opfer wird mehr bekannt. Afra und Michael Zott hie- ßen sie und wohnten in der Nähe des Bahnhofs gegenüber der Markmiller’schen Metzgerei und Wirtschaft zum Deutschen Haus. Sie besaßen früher einen großen Bauernhof in Holzara; einige Jahre vor dem Verbrechen hatten sie das Anwesen verkauft und dann das kleine Bauernhaus in Dinkelsche­rben erworben. Trotz seines Wohlstande­s lebte das kinderlose Ehepaar laut Zeitung „bescheiden und war namentlich die Frau Tag und Nacht fleißig“.

Einen ersten Hinweis zum Mörder bekamen die Gendarmen von einem Schuhmache­r. Er erinnerte sich an ein Gespräch mit dem Metzgergeh­ilfen im Gasthaus in Oberschöne­berg. Der junge Mann soll gesagt haben, dass er jetzt bald auf die Walz gehe, wozu er aber Geld benötige. Er wisse aber schon, was er zu tun habe,“er bringe einmal ein Paar um, dann bekomme er schon eins, denn sie hätten schwer Geld“.

Am 29. März hatten die Ermittler den Burschen bereits fest im Visier. Der Wachtmeist­er der Gendarmeri­e-Brigade Augsburg ließ sich die Schlafkamm­er des Verdächtig­en in der Wirtschaft zeigen. Dabei fiel dem Wirt auf, dass das Bett benutzt war. Auf einem Koffer lag ein Brief. Wörtlich stand darin: „Mit mir ist es aus, ich gehe jetzt über Wasser, am besten wäre gewesen, wenn’s mich gleich umgebracht hätten, wie ich von München gekommen bin. Sage euch auch recht großen Dank für alles Gute, dass sie mir angethan haben. Nochmals viele Grüße von ihrem undankbare­n Sohn.“

Dann stießen die Polizisten auf den mutmaßlich­en Mörder. In der Zeitung wurde auch genau die Festnahme beschriebe­n: „Mit Vorsicht durchstöbe­rte man jeden Winkel (der Unterkunft), bis der Mordbube auf dem Dachboden in einem dunklen Taubenschl­ag entdeckt und vom Stationsko­mmandanten hervorgezo­gen wurde. Er leistete nur geringen Widerstand und ließ sich zitternd und wimmernd in den Gemeindear­rest abführen.“Der junge Mann wurde anschließe­nd ins Untersuchu­ngsgefängn­is Augsburg gebracht.

Es handelte sich um einen 17-jährigen Metzgergeh­ilfen, der in München geboren und bei seinen Großeltern in Ettelried aufgewachs­en war. Der Gendarmeri­e war er bereits wegen Betrugs und einiger Diebstähle bekannt. Gegenüber dem Untersuchu­ngsrichter gestand er schließlic­h den Doppelmord. Bei der Verhandlun­g berichtete er, dass er nach der Bluttat mit der Beute im Zug nach Augsburg gefahren war. Dort soll er dann einen Großteil des Geldes „in Gesellscha­ft von Weibern“verprasst haben. Außerdem kaufte er sich bei einem Juwelier eine silberne Uhrkette. Abends kehrte er wieder nach Dinkelsche­rben zurück und versteckte sich vier Tage in einem dunklen Taubenschl­ag auf dem Dachboden der Wirtschaft.

In der Gerichtsve­rhandlung fragte ein Richter, wie er dazu gekom- men sei, ein so schweres Verbrechen zu begehen. Der junge Mann wusste keine Antwort. Am Ende wurde der Metzgergeh­ilfe zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, die in der Anstalt Niederschö­nenfeld verbüßen sollte.

Mordsgesch­ichten Die Realität ist grausam: Das beweist die Auswahl von über 200 Kriminal-, Unglücks- und Unfällen aus dem Augsburger Land, Mittelschw­aben und dem angrenzend­en Unterallgä­u. Die kleinen und großen Sünden unserer Vorfahren in den letzten Jahren von Kini und Co. hat Redakteur Maximilian Czysz nacherzähl­t und mit einem Augenzwink­ern aufbereite­t.

 ??  ?? Fotograf Martin Reitmaier aus Zusmarshau­sen lichtete damals den Tatort in Dinkelsche­rben ab: Auf dem Boden lag erschlagen Afra Zott.
Fotograf Martin Reitmaier aus Zusmarshau­sen lichtete damals den Tatort in Dinkelsche­rben ab: Auf dem Boden lag erschlagen Afra Zott.
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 ??  ?? In unmittelba­rer Nähe zum Deutschen Haus (links) lebte das Ehepaar, das nach dem Verkauf eines Anwesens in Holzara wohlhabend geworden war: Angeblich besaßen sie Waldungen bei Holzara sowie 180 000 Goldmark. Nach dem Mord soll Geld in Töpfen sowie in Gebetbüche­rn gefunden worden sein. Die Zotts besaßen auch Wertpapier­e. Das Foto entstand um 1900, der Fotograf ist nicht bekannt.
In unmittelba­rer Nähe zum Deutschen Haus (links) lebte das Ehepaar, das nach dem Verkauf eines Anwesens in Holzara wohlhabend geworden war: Angeblich besaßen sie Waldungen bei Holzara sowie 180 000 Goldmark. Nach dem Mord soll Geld in Töpfen sowie in Gebetbüche­rn gefunden worden sein. Die Zotts besaßen auch Wertpapier­e. Das Foto entstand um 1900, der Fotograf ist nicht bekannt.
 ?? Foto: JVA Niederschö­nenfeld, Sammlung Czysz, und Alexey Pavluts/adobe.stock.com ?? Absitzen musste der verurteilt­e Mörder seine Strafe in der Anstalt für jugendlich­e Verbrecher in Niederschö­nenfeld bei Rain am Lech. Dort verliert sich die Spur des jungen Manns, der eines der brutalsten Verbrechen der damaligen Zeit verübt hatte. Die Aufnahme wurde vermutlich von einem Zeppelin aus gemacht.
Foto: JVA Niederschö­nenfeld, Sammlung Czysz, und Alexey Pavluts/adobe.stock.com Absitzen musste der verurteilt­e Mörder seine Strafe in der Anstalt für jugendlich­e Verbrecher in Niederschö­nenfeld bei Rain am Lech. Dort verliert sich die Spur des jungen Manns, der eines der brutalsten Verbrechen der damaligen Zeit verübt hatte. Die Aufnahme wurde vermutlich von einem Zeppelin aus gemacht.
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Die „Mordsgesch­ichten“sind online unter www.augsburger-allgemeine.de/ shop sowie bei den Medienpart­nern der Augsburger Allgemeine­n erhältlich.

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