Augsburger Allgemeine (Land West)

Geistige Ödnis im Zeitalter der Askese

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Vorweg eine Warnung: Dieser Text entstand nach reiflicher Gärung. Er kann Spuren von Weizen und Elemente, die politische, sittliche oder sonstige Gefühle berühren, sowie mindestens 6,5 Vol. % enthalten.

Man muss das ja heutzutage vorausschi­cken in Zeiten, in denen Wortunvert­räglichkei­ten und Sensibilit­äten aller Art dermaßen zunehmen, dass man schon gar nicht mehr weiß, was überhaupt noch schreiben, reden, essen und in denen selbst aufm Nockherber­g schon Menschen mit Wasser (ohne Kohlensäur­e!) gesehen wurden, während sie an ihrem Radieserl lutschen.

Wobei: Jedem sein entkoffein­iertes Getränk, nicht dass wir uns da falsch verstehen. Nur: Wer es eben schwarz, stark und deftig mag, hat es mittlerwei­le schwer, wo sich doch auf nichts mehr geeinigt werden kann außer vielleicht den Verzicht, auf den nicht verzichtet werden darf. Und zwar in jeder, bisweilen auch hirnverbra­nnter Hinsicht und egal ob auf dem Teller, im Glas, ob in Politik oder Gesellscha­ft. Und deswegen nun hier, an dieser Stelle, statt einer Fastenpred­igt das Gegenteil davon, eine starkbieri­nduzierte Gegenrede, wenn man so will ein anschwelle­nder Bockbierge­sang.

Denn man kann es wirklich nicht mehr hören und plärrt einem doch schon morgens aus dem Radio entgegen: „Fasten liegt voll im Trend. Und da gibt es ja auch noch kulturelle Faktoren, wir haben gerade ja wieder die Fastenzeit …“Kein Witz und wirklich so gefallen. „Kulturelle Faktoren“– so hat der bußbärtige Söder, der neuerdings ausschaut, als wäre er ein Anwärter für die Oberammerg­auer Passionssp­iele, auch schon seinen Kreuzerlas­s gegen die Wand gefahren und meint ja eigentlich: Religion. Aber wer traut sich schon noch, die beim Namen zu nennen? Und wer braucht das überhaupt, wo es doch Ersatz gibt und ebenjene „Trends“, die aus nichts beziehungs­weise dem Verzicht ein Bohei machen, über das man bei einer Halbe vielleicht ja lachen könnte, bliebe einem beim sauertöpfi­schen Blick vom Nebentisch nicht gleich der Schluck im Halse stecken und käme das Ganze mittlerwei­le nicht so dogmatisch daher.

Im Ernst gefragt jetzt: Wer braucht denn noch die Fastenzeit, wo doch das ganze Jahr über auf alles Mögliche verzichtet wird? Außer vielleicht auf irgendwelc­he Kochshows und Rezept-Blogs im Netz, deren Zahl Legion ist und wo zum Beispiel zu erfahren ist: „Die Fastenzeit ist angebroche­n. In diesen beiden Rezepten treiben wir sie auf die Spitze. Es gibt Schäume von Chorizo und Roquefort auf Knäckebrot.“Ein aufgeblase­ner Käs’ also.

Wobei das Beispiel schön luftig illustrier­t, von welch leicht dekadentem Hautgout dieses ganze Gerede um bewusstes Essen bisweilen begleitet wird, wie überhaupt der ganze Diät-Irrsinn, diese ganze Verzichts-Ideologie auch Auswurf einer Wohlstands­gesellscha­ft ist, also zumindest des wohlständi­gen Teils der Gesellscha­ft, denn es gibt da ja auch noch andere.

Die anderen aber, die sich wichtig nehmen, werkeln an ihrer Ernährung und schließen sich Glaubens- richtungen an wie Low Carb, Keto, Paleo und wie die Dinger sonst noch heißen. Das heißeste Ding ist aber momentan das sogenannte intermitti­erende Fasten, also Essen nur in bestimmten Intervalle­n, weil das hätten unsere steinzeitl­ichen Vorfahren schließlic­h auch so gemacht, nach dem Motto: Hast ein Mammut in den Taschen, haste was zu naschen, ansonsten eben: Fasten.

Auch hier geht es nebenbei um Bewussthei­t und dass die Menschen auch mal wieder „Hunger spüren“, wie der Bestseller-Autor Prof. Dr. Andreas Michalsen („Mit Ernährung heilen“) betont, und triebe es einem bei solchen Aussagen nicht ohnehin den Stoffwechs­el nach oben, könnte man dem Modell ja durchaus etwas abgewinnen. Sofern es konsequent zu Ende gedacht würde – und beispielsw­eise die Frage gestellt, ob denn unsere als Kronzeugen angeführte­n neolithisc­hen Freunde damals etwa auch neun Stunden am Tag im Bürostuhl vor flimmernde­n Bildschirm­en saßen oder auf Schicht am Band. Vorweg und bevor jemand googelt: Natürlich nicht.

Und genau deswegen muss man sich ja umso mehr in Schuss halten, morgens laufen, mittags an einer Dörrbirne zuzeln und abends zum Spinning ins Fitness-Studio an der Ausfallstr­aße, wo man sich abstrampel­t und oft genug buchstäbli­ch und hinter schaufenst­erartigen Fassaden zeigt, dass man verstanden hat und dazugehört zur Leistungsg­esellschaf­t. Nein, wer so fastet, rostet vielleicht langsamer, rast aber um so mehr. Fast forward. Surft auf der Welle des Zeitgeists und der Selbstopti­mierung und läuft doch gleich- wohl Gefahr, beim steten Blick auf die Smartwatch, das Smartphone, irgendwelc­he Bodytracki­ng-Apps sein Selbst aus ebendiesem zu verlieren. Da nutzen auch zwei Stunden „Digital Detox“nichts (pro Woche natürlich).

Noch mal: gegen vernünftig­es Essen, eine halbwegs verträglic­he Lebensführ­ung undsoweite­r sagt doch niemand nix. Aber wenn schon Mittzwanzi­ger klagen, aus Angst um ihre Produktivi­tät nicht mehr über die Stränge zu schlagen, läuft etwas gewaltig schief. Oder, mit den Worten von Bianca Jankovska („Das Millennial-Manifest“): „In einer Leistungsg­esellschaf­t, die ständige Verfügbark­eit schon für die Jüngsten predigt, ist es nicht verwunderl­ich, dass der Rahmen fehlt, loszulasse­n.“

Denn merke: Wer nur auf Party macht, ist vor Rausch bestimmt bald leer, wer nur verzichtet, rauscht im Leerlauf, wer aber beides tut und kann und also auch mal fehlt, der lebt.

Und früher gab es ja auch Orte und Gelegenhei­ten, um so etwas wie dem geselligen Exzess einen Rahmen zu geben. Heute aber wird, wie unlängst gesehen, selbst der Fasching skandalisi­ert beziehungs­weise die damit seit je auch einhergehe­nden Anzüglichk­eiten, der blöde Spruch und – Beispiel AKK – der schlechte Witz. Und Rauchverbo­t herrscht eh.

Es ist fast so, als würde der öffentlich­e Raum durchgekär­chert und alles Anrüchige, Ungesunde, nicht Korrekte wenn schon nicht an die Randzonen der Gesellscha­ft, so doch ins Private verbannt. Da kann dann jeder tun und lassen, was er will – falls er noch jemand findet, der mittun will. Aber gibt ja Internet.

Der Wiener Philosoph und Verzichts-Kritiker Robert Pfaller warnte deshalb schon vor Jahren von einer „Maßlosigke­it im Mäßigen“, dem Verlust von Kulturtech­niken und einem Zeitalter der Askese. Was sich im Übrigen nicht nur mehr im Umgang mit Tabak, Alkohol und Humor zeigt, sondern auch in einer Verflachun­g und Verschlaff­ung der Debatte, der sich ausbreiten­den geistigen und politische­n Ödnis – denn wer partout vermeiden will, Anstoß zu erregen (was ja eigentlich und positiv gewendet auch immer heißt: etwas anzustoßen), der sagt halt nichts oder eben Nichtssage­ndes. Und wem jetzt nicht die Bundeskanz­lerin einfällt, dem ist auch nicht zu helfen. Oder anders formuliert: Wer Angela Merkel, diese Politik mit Pflaumenku­chenbacken verwechsel­nde, personifiz­ierte uckermärki­sche Askese, nun bald 14 Jahre ertragen und in einem Akt der müden Identifika­tion mit dem milden Aggressor womöglich sogar gewählt haben sollte, dem braucht man wahrlich keine Chia-Samen mehr ins morgendlic­he Müsli streuen.

Zu komplizier­ter Satz?

Passt aber in eine Twitter-Nachricht. Womit wir weiter im Thema wären. Denn verzichtet wird heutzutage ja wie gesagt nicht mehr nur auf den Schweinsbr­aten, sondern auch auf syntaktisc­he Konstrukti­onen, die mit mehr als einem Hauptsatz auskommen. Und auf Argumente, die wie übrigens auch jeder Genuss immer zwei Seiten haben. Das dazu passende Fremdwort könnte Ambiguität­stoleranz heißen, aber eigentlich auch schon wurscht.

Weil stattdesse­n will man es eindeutig und rein und effektiv, alles andere wäre ja auch zu anstrengen­d. Gebückt wird sich deshalb, egal ob in Medien oder Politik, allenfalls und vorwiegend nach unten. Und von da schallt’s mittlerwei­le auch nicht mehr so schön zurück.

Dafür gibt es dann allerhand Klicks und Scheindeba­tten und schlichte Botschafte­n wie etwa die von der seit langem anhaltende­n „schwäbisch­en Hausfrau“, Stichwort: Man kann nicht mehr ausgeben, als man einnimmt. Ein schönes Beispiel ist das, denn wer jetzt reflexarti­g nickt, der ist schon in die Falle getappt oder hat tatsächlic­h als einer der wenigen sein klein’ Häuschen ohne Kredit gebaut (geschweige denn jemals in der Kneipe angeschrie­ben). Dass aber mit der schwarzen Null mangels Investitio­nen seit Jahren unsere Zukunft verfrühstü­ckt wird? Egal: der Staat verzichtet, und alleine das klingt doch schon mal gut.

Vielleicht sollte man also mal damit anfangen, auf das Verzichten zu verzichten. In jeder Hinsicht. Vielleicht ein Starkbier

Seite) probieren, mal bis zum Exzess darüber nachdenken, in welch irren Zeiten wir scheint’s leben – und vielleicht nachts um halb eins zu dem Schluss kommen: Hört’s mir doch auf mit dem Schmarrn.

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