Augsburger Allgemeine (Land West)
Gefängnisausbrüche gab es immer wieder
Wie die Haft in der Anstalt für jugendliche Verbrecher in Niederschönenfeld aussah
Karl-Heinz Gerner ist Leiter des allgemeinen Vollzugs in Niederschönenfeld. Er befasst sich auch intensiv mit der Vergangenheit des Hauses. Einmal wurde er im Dienst schon angegriffen: Ein Häftling hatte ihn mit einem Stuhlbein niedergeschlagen.
Niederschönenfeld war Deutschlands erste Strafanstalt für Jugendliche: Wie kam es dazu?
Karl-Heinz Gerner: Jugendstrafanstalten wurden damals eingeführt, weil der Strafvollzug schon differenziert zwischen älteren sowie hafterfahrenen und jungen Straftätern praktiziert wurde. Der schädliche Einfluss der alten auf die jungen Gesetzesbrecher sollte ausgeschlossen werden. Aus den Unterlagen lässt sich auch able- sen, dass in den Anfangsjahren des Jugendstrafvollzugs nicht nur die sichere Verwahrung und der Sühnegedanke im Vordergrund standen, sondern auch der Wert auf Wiedereingliederung,
Erziehung und Besserung gelegt wurde. Der Hauslehrer und der Hausgeistliche äußerten sich damals, dass sich die „verwegensten und verwildertsten Menschen“in Niederschönenfeld untergebracht seien und dort ihre Flegeljahre verbringen würden. Die Knaben „lediger Weibspersonen, die Kinder von herum vagabundierender Banden, wandernden Künstlern, Musikern, Seiltänzern, Regenschirmmachern, Geschirrhändlern und was derlei Volkes mehr ist“, fielen häufig den zahlreichen Versuchungen des Lebens zum Opfer. Wie lief der Vollzug damals ab? Gerner: Von 6 bis 19 Uhr war Arbeitszeit, dazwischen gab es zweimal eine halbe Stunde Pause. Von 12 bis 13 Uhr stand eine Stunde Spaziergang im Innenhof auf dem Plan und um 19.45 Uhr war Bettruhe. Die Gefangenen wurden in verschiedenen Handwerksbetrieben und vor allem in der Gärtnerei und in der Landwirtschaft beschäftigt. Die Strafanstalt konnte durch den Anbau von Kartoffeln, Rüben oder Getreide sich ausschließlich selbst versorgen. Ebenfalls hilfreich war die Viehhaltung, Milchwirtschaft, Schweinezucht und Hühnerhaltung.
Wie waren die Straftäter untergebracht?
Gerner: Die Gefangenen schliefen überwiegend in Schlafsälen mit bis zu 40 Personen. Mit dem Bau eines neuen Zellengebäudes im Jahr 1902 wurden die Verhältnisse besser.
Die heutige JVA für junge Erwachsene befindet sich in denselben Gemäuern, in denen früher die Zisterzienserinnen ein einfaches Leben führten. Wie sicher ist das Gefängnis heute eigentlich? Gerner: Der letzte gelungene und filmreife Ausbruch fand im August 2001 statt. Seitdem ist technisch und administrativ aufgerüstet worden. Vor 120 Jahren wurden übrigens rund 20 gelungene Fluchten und Ausbrüche gemeldet.
Lassen sich Gegenwart und Vergangenheit der Strafanstalt überhaupt vergleichen?
Gerner: Heute gelten ganz klar andere Probleme als damals. Zur Zeit sind rund 250 junge Männer inhaftiert, die Hälfte davon haben einen ausländischen Hintergrund. Insgesamt sind 40 verschiedene Nationalitäten untergebracht. Etwa 85 Prozent unserer Gefangenen hatten mit Betäubungsmitteln zu tun. Was sich auch deutlich verändert hat: Die Gewaltbereitschaft der Gefangenen nimmt zu.