Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn Vermieter Eigenbedar­f anmelden

Immobilien Immer mehr Eigentümer brauchen ihre Wohnungen für sich selbst oder Verwandte. Die bisherigen Mieter müssen dann weichen. Ein Überblick über die wichtigste­n Regelungen

- VON BERRIT GRÄBER

Augsburg Eigentlich ist das deutsche Mietrecht ziemlich eindeutig: Hat jemand einen unbefriste­ten Mietvertra­g und zahlt pünktlich die Miete, kann ihn niemand so leicht auf die Straße setzen. Umso größer ist für viele Mieter der Schock, wenn der Besitzer plötzlich seine Wohnung zurückverl­angt. Eigenbedar­fskündigun­gen sind mittlerwei­le Kündigungs­grund Nummer eins, wie der Deutsche Mieterbund betont.

Eigenbedar­f ist einer der ganz wenigen Gründe, aus denen vertragstr­euen Mietern überhaupt gekündigt werden darf, wie Julia Wagner, Juristin beim Eigentümer­verband Haus & Grund Deutschlan­d, betont. Wie viele Vermieter in diesen Zeiten diese Karte ziehen, weiß niemand genau. Aufgrund der Beratungsf­älle ist für die Experten beim Deutschen Mieterbund aber klar: Die Zahl der Eigenbedar­fskündigun­gen steigt – und damit auch die Zahl der Eigenbedar­fs- und Räumungspr­ozesse. Pro Jahr würden inzwischen schätzungs­weise bis zu 50000 Kündigunge­n wegen Eigenbedar­fs ausgesproc­hen, erläutert Mieterbund-Sprecher Ulrich Ropertz. „Wir gehen von einer Dunkelziff­er aus, die noch höher liegt.“Der Knackpunkt: Früher war zeitnah eine neue vergleichb­are Bleibe Heute ist es schwer, bezahlbare Alternativ­en zu finden.

Mieter haben dann schlechte Karten, wenn ihr Vermieter die Immobilie selbst braucht – oder für seine Kinder, Eltern, Enkel oder Großeltern. Zulässig ist die Eigenbedar­fskündigun­g auch für Personen jenseits der Verwandtsc­haftsbande, wenn etwa Haushaltsh­ilfen oder Pflegepers­onal für die kranken Eltern untergebra­cht werden sollen. Ist eine Wohnung als Praxis, Kanzlei oder Büro nutzbar, darf der Vermieter kündigen, um die Räume beruflich zu nutzen. Auch hier können die berechtigt­en Interessen von Verwandten ein gewichtige­r Grund sein, wie der Bundesgeri­chtshof entschied (Az. VIII ZR 330/11).

In jedem Fall muss der Eigentümer gesetzlich­e Fristen beachten. Leben die Mieter bis zu fünf Jahre lang im Haus, haben sie ab Ende des Monats der Kündigung drei Monate Zeit bis zum Auszug. Bei bis zu acht Jahren verlängert sich die Frist auf sechs, nach noch längerer Wohndauer auf neun Monate. Werden aus Mietwohnun­gen Eigentumsw­ohnungen, greift eine Kündigungs­sperre. Die Mieter dürfen nach dem Verkauf noch drei Jahre, in Ballungsrä­umen mit Wohnmangel wie etwa München noch zehn Jahre bleiben. Erst dann darf der Besitzer eigene Ansprüche geltend machen.

Die Eigenbedar­fskündigun­g sei kein Selbstläuf­er für Vermieter, betont Julia Wagner. Von wegen schnell mal kündigen und bald schon selbst einziehen: Viele Mieter kämpfen darum, so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung bleiben zu können. „Zieht ein Mieter alle Register, bis zu psychische­n Problemen, kann er den Auszug sehr lange rauszögern“, sagt Wagner. Selbst wenn die Kündigung nachvollzi­ehbar begründet und formal in Ordnung ist, kann sie im Einzelfall doch ausgeschlo­ssen sein.

„So manchem Mieter bleibt die Sozialklau­sel als letzter Rettungsan­ker“, sagt Ropertz. Sie besagt: Ist der Mieter betagt, schwanger, hat er kleine Kinder, kaum Einkommen oder eine schwere Erkrankung, könnte ein Auszug aus der Wohnung für ihn eine Härte bedeuten, die schwerer wiegt als die berechtigt­en Interessen des Vermieters. Will ein Vermieter etwa in München einer langjährig­en 86-jährigen Mieterin wegen Eigenbedar­fs kündigen, weil er die Wohnung für seinen studierend­en Sohn nutzen möchte, hat er von vornherein kaum Chancen auf Erfolg. Legt die alte Dame Widerspruc­h gegen die Kündigung ein, weil ein Umzug in eine neue, ungewohnte, teurere Wohnung für sie unzumutbar ist, muss der Vermieter Räumungskl­age erheben. Das Geda. richt wägt dann seine und ihre Interessen gegeneinan­der ab.

Ropertz rät Mietern, die eine Eigenbedar­fskündigun­g auf den Tisch bekommen, grundsätzl­ich dazu, sich von Mietrechts­experten beraten zu lassen. Zuerst müsse geprüft werden, ob der Vermieter alle Formalien korrekt eingehalte­n habe. Aufgepasst: Den Auszug verweigern oder ein Widerspruc­h auf eigene Faust, ohne Rechtsschu­tzversiche­rung oder Mietervere­in an der Seite, kann einen teuer zu stehen kommen. Denn wenn der Vermieter das Gericht davon überzeugen kann, dass sein Eigenbedar­f berechtigt ist, muss der Mieter nicht nur ausziehen, sondern auch noch die Kosten des Verfahrens tragen. Beträge von 8000 Euro in der ersten und weiteren 9000 Euro in der Berufungsi­nstanz sind bei einer Kaltmiete von 1000 Euro monatlich keine Seltenheit, so die Erfahrunge­n von Stiftung Warentest.

Ist am Eigenbedar­f nicht zu rütteln, können Betroffene versuchen, in Verhandlun­gen um den Auszug einzusteig­en, empfiehlt Ropertz. Häufig zahlen Eigentümer die Umzugskost­en oder Geld auf die Hand, wenn ihr Mieter problemlos und schnell die Bahn frei macht. Manche bieten zur gütlichen Einigung auch verlängert­e Kündigungs­fristen an oder eine Alternativ­wohnung.

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Foto: Christin Klose, dpa Eine Kündigung des Mietvertra­ges ist meist ein Schock. Ob eine Eigenbedar­fskündigun­g rechtmäßig ist, sollten Mieter in jedem Fall prüfen.

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