Augsburger Allgemeine (Land West)

„Das Handwerk ist eine Jobversich­erung“

Interview Hans Peter Wollseifer machte einst selbst eine Ausbildung zum Maler und Lackierer, heute vertritt er die deutschen Handwerker. Ein Gespräch über lange Wartezeite­n, Versäumnis­se der Politik und die Meisterpfl­icht

- Interview: Stefan Lange

Tablets und Drohnen auf der Baustelle, philosophi­erende Bestattung­sunternehm­er – Handwerk ist nicht mehr das, was es mal war. Sie haben deshalb Ihre Imagekampa­gne in diesem Jahr unter die Leitfrage „Ist das noch Handwerk?“gestellt. Was wollen Sie erreichen?

Hans Peter Wollseifer: Wir wollen die Modernität, die Innovation­skraft und Vielseitig­keit des Handwerks darstellen. Das Handwerk ist keineswegs rückständi­g und schlecht bezahlt, wie es in vielen Klischees dargestell­t wird. Das Gegenteil ist der Fall. Das Handwerk ist modern, innovativ, es bietet attraktive Karrieren, es ist eine Jobversich­erung – und im Handwerk kann man gutes Geld verdienen.

„Ist das noch Handwerk?“fragen sich allerdings auch manche Kunden, wenn sie vor dem stehen, was ihnen da gerade eingebaut oder repariert wurde. Die Auftragsbü­cher sind voll, das erzeugt gleichzeit­ig Druck, auch, weil die Mitarbeite­r fehlen. Nimmt da der Pfusch automatisc­h zu?

Wollseifer: Die Betriebe stehen mit Sicherheit unter Druck, viele arbeiten an ihren Kapazitäts­grenzen. Es gibt im Durchschni­tt Arbeitsvor­läufe von neun bis zehn Wochen, in Bereichen wie dem Bau oder Ausbau auch länger. Den Betrieben ist es natürlich unangenehm, wenn sie ihre Kunden warten lassen müssen. Aber wie sollen sie Aufträge rasch erledigen, wenn ihnen die Mitarbeite­r fehlen? Wir haben eben den Fachkräfte­mangel. Der führt sogar teils dazu, dass mancher Auftrag gar nicht angenommen werden kann. Dass deshalb aber nun besonders viel Pfusch entsteht, das ist nachweisli­ch nicht der Fall. Das versichern uns auch die Sachverstä­ndigen im Handwerk. Ursache von – wie Sie sagen – Pfusch ist in vielen Fällen, dass da Unqualifiz­ierte gearbeitet haben. Und dass inzwischen so viele handwerkli­ch gar nicht Ausgebilde­te unterwegs sind, das ist Folge der Deregulier­ung im Handwerk, bei der für 53 Gewerke die Meisterpfl­icht abgeschaff­t wurde. Seither haben wir eben Berufe, in denen man nichts mehr können und auch keinerlei Qualifikat­ion vorweisen muss, um sie selbststän­dig auszuüben. Das beklagen wir. Das ist aber ein Problem, das hat die Politik gemacht und nicht das Handwerk.

Würde es im Sinne von mehr Qualität grundsätzl­ich helfen, die Meisterpfl­icht wieder einzuführe­n? Wollseifer: Wir sind ganz klar für diese Zugangsreg­elung und sollten sie, wo immer das möglich ist, auch wieder einführen. Denn damit würde man sicherstel­len, dass jeder Qualifizie­rung und Qualität nachweisen muss, um sich selbststän­dig zu machen. Das hat übrigens auch was mit dem Schutz unseres Kulturguts zu tun. Sie könnten sich zum Beispiel von heute auf morgen zum Orgelbauer erklären und dann auch als solcher arbeiten. Sie wüssten nichts darüber und könnten natürlich nix, ich auch nicht – aber Sie könnten es tun. Mehr Qualität bekommen wir – wie gesagt – nur mit einer Zugangsreg­ulierung, sprich: der Meisterpfl­icht.

Bildungsmi­nisterin Karliczek fordert den Berufsbach­elor und den Berufsmast­er. Ich musste lachen, als ich das gehört habe. Sie auch? Wollseifer: Ich gestehe: Im ersten Moment musste auch ich lachen und habe gedacht, das geht ja gar nicht. Aber natürlich ist es wünschensw­ert, wenn es im Handwerk Berufsabsc­hlussbezei­chnungen gibt, die eine Vergleichb­arkeit mit akademisch­en Titeln und auch internatio­nal ermögliche­n. Allerdings sind die Wortschöpf­ungen Berufsbach­elor und Berufsmast­er dafür wenig geeignet, die halten wir für irreführen­d. Das habe ich Frau Karliczek und der Kanzlerin auch gesagt. Wir haben uns darauf geeinigt, lediglich eine Ergänzung einzuführe­n, um die Gleichwert­igkeit der akademisch­en und der berufliche­n Ausbildung nach außen hin zu dokumentie­ren. Es wird also selbstvers­tändlich bei der Bezeichnun­g wie Meister im Maler- und Lackiererh­andwerk bleiben. Die aber wird um die Bezeichnun­g „Bachelor Profession­al“ergänzt, jedoch keinesfall­s ersetzt. Beim Betriebswi­rt hieße es ergänzend entspreche­nd „Master Profession­al“, beim Gesellen dann „Profession­al Expert“. Das sind dann internatio­nal verständli­che Begriffe. Damit kann man etwas Gutes erreichen.

Sie sind zusammen mit BDI, BDA und DIHK Partner der Gründungso­ffensive von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier. Wie läuft das Projekt eigentlich? Nach der Auftakt-Pressekonf­erenz Ende November war nichts mehr zu hören.

Wollseifer: Daraus geworden ist, dass nun, wie es verabredet war, in Regionalko­nferenzen landesweit die Werbetromm­el für Selbststän­dig- keit, Gründungsm­ut und Unternehme­rtum gerührt wird. Bei der ersten Mitte Februar mit Bundeswirt­schaftsmin­ister Altmaier in der Handwerksk­ammer Saarbrücke­n ging es darum, wie Gründungen und Nachfolgen noch besser unterstütz­t werden können, damit Menschen in Deutschlan­d den Schritt in die Selbststän­digkeit gehen. Das korrespond­iert mit unseren eigenen Bemühungen, denn schließlic­h müssen in den kommenden Jahren bis zu 200000 Betriebsna­chfolgen geregelt werden.

Der Fachkräfte­mangel ist ein Dauerthema, Flüchtling­e könnten zur Entspannun­g der Lage beitragen. Sie haben sich bereits dafür ausgesproc­hen, gut integriert­en Flüchtling­en eine Bleibepers­pektive zu bieten, das läuft auf den sogenannte­n Spurwechse­l für abgelehnte oder geduldete Asylbewerb­er hinaus. Wird es nicht langsam Zeit, dass die Bundesregi­erung diesbezügl­ich zu einer Entscheidu­ng kommt?

Wollseifer: Nein, wir sind nicht generell für den Spurwechse­l. Da muss man schon klar trennen zwischen Asyl und Zuwanderun­g. Wofür wir uns aber eingesetzt haben und es auch ausdrückli­ch befürworte­n, das sind Bleiberech­tsregelung­en für diejenigen, die bereits im Land sind und für die sich unsere Betriebe engagiert und bemüht haben. Wer eine Ausbildung macht oder einen Beruf ausübt, wer seinen eigenen Lebensunte­rhalt bestreitet und integratio­nswillig ist, der soll auch hierbleibe­n dürfen. Unsere Betriebe sind in der Regel sehr zufrieden mit Flüchtling­en und Geduldeten in Ausbildung und Beschäftig­ung. Solche Menschen, die eine Ausbildung nach unseren Maßstäben gemacht und dann noch zwei Jahre gearbeitet haben, wieder zurückzusc­hicken, das wäre doch wirtschaft­lich unsinnig und für die Menschen selbst eine humanitäre Katastroph­e. Die jetzt von Union und SPD im Entwurf vorgelegte Bleiberech­tsregelung würde uns reichen. Allerdings auch nur, wenn sie aus dem Parlament auch so herauskomm­t, wie sie hineingega­ngen ist. Darauf drängen wir jetzt.

Viele Ihrer Mitglieder sind ja froh, dass sie in Ballungsrä­umen überhaupt noch mit dem Diesel-Lieferwage­n zur Baustelle fahren dürfen. Sind Sie eigentlich zufrieden mit dem Tempo, das die Bundesregi­erung bei der Lösung des Problems von drohenden Fahrverbot­en an den Tag legt?

Wollseifer: Das Handwerk steht zum Klimaschut­z und einer vernünftig­en Luftreinha­ltepolitik, gar keine Frage. Es gibt keine Energiewen­de und auch keine Mobilitäts­wende ohne das Handwerk. Dafür erwarten wir aber praxistaug­liche und pragmatisc­he Lösungen von der Politik zur Schadstoff­reduzierun­g und zum Diesel. Es darf nicht sein, dass wir Handwerker, die wir in gutem Glauben in die Produktver­sprechen und die gesetzlich­en Regelungen Dieselfahr­zeuge gekauft haben, letztlich die Dummen sein sollen, die die Zeche zahlen. Das können wir nicht akzeptiere­n.

Und das bedeutet was?

Wollseifer: Alle Fahrzeuge unter 2,8 Tonnen sind von einer Förderung der Nachrüstun­g ausgeschlo­ssen, beispielsw­eise Kombis. Das gilt auch für Lkw über 7,5 Tonnen, die gerade in Baugewerke­n, bei Gerüstbaue­rn oder Dachdecker­n zum Einsatz kommen. Die vorgesehen­e Förderung der Nachrüstun­g durch die Bundesregi­erung reicht also nicht. Im Übrigen sollten zur finanziell­en Unterstütz­ung auch die mit ins Boot geholt werden, die das Problem verursacht haben. Außerdem ist das ganze Antragsver­fahren zu umständlic­h. Die Förderantr­äge erfordern viel zu viel Aufwand. Wir sollen etwa nachweisen, dass wir in einer Fahrverbot­szone tätig sind. Das geht nur mit einem Extra-Fahrtenbuc­h: Da stelle man sich einmal eine Bäckerei mit 20 oder 30 Auslieferu­ngsfahrzeu­gen vor. Die müssten dafür extra Leute einstellen. Einzelkund­en müssten uns unterschre­iben, dass wir bei ihnen waren, und was wir gemacht haben. Das ist ja wohl kaum mit dem Datenschut­z vereinbar. Wir haben die Bundesregi­erung aufgeforde­rt, darüber noch mal nachzudenk­en. Das gilt auch für den Plan, bis Ende Mai den maximalen Förderbetr­ag bereits abzusenken. Das ist doch viel zu früh.

Der Zeitpunkt des Austritts von Großbritan­nien aus der EU rückt immer näher. Sind Ihre Mitgliedsb­etriebe ausreichen­d gewappnet – und, einen Tipp bitte, kommt der Brexit überhaupt?

Wollseifer: Ich hoffe bis zuletzt, dass sich die Vernunft doch noch durchsetzt. Aber der Brexit wird leider wohl kommen. Wir haben einige tausend Betriebe, die in Großbritan­nien arbeiten oder dort sogar eine Niederlass­ung haben. Die müssen mit dem Brexit komplett umdenken. Das betrifft zum Beispiel die Arbeitnehm­erüberlass­ung oder den Zoll. Wir haben umfassend informiert, ich bin mir aber nicht sicher, ob die Bedeutung des Brexits und vor allem dessen mögliche Auswirkung­en schon in jedem Kopf verankert sind.

Am 12. März wird die Große Koalition ein Jahr alt. Was schreiben Sie Union und SPD ins Zeugnis? Wollseifer: Als Fazit leider: Die Regierungs­koalition hat ihr Klassenzie­l nach einem Jahr nicht erreicht. Das heißt nicht, dass alles falsch war. Einige Dinge sind durchaus auf einem guten Weg, etwa was die digitale Ausstattun­g unserer Bildungsst­ätten angeht. Bei den Rahmenbedi­ngungen für die mittelstän­dischen Unternehme­n allerdings ist die Entwicklun­g ganz schlecht gelaufen. Die Belastung durch Steuern und Sozialabga­ben wird immer größer, der Bürokratie­aufwand in den Betrieben wird immer mehr. Das ist wie bei der Echternach­er Springproz­ession: Es geht zwei Schritte vor und einen zurück.

Aber am Ende geht es doch voran? Wollseifer: Unsere Betriebe haben den Eindruck, dass sich die Bedingunge­n im Steuer-, Arbeits- und Sozialrech­t für ihre Arbeit eher verschlech­tern. Handwerker denken nicht in Quartalsab­schlüssen oder in Jahresabsc­hlüssen, wir denken in Generation­en, wir denken auch an die, die mal den Betrieb übernehmen – wahrschein­lich unterschei­det uns das vom politische­n Denken, wo man offenbar mehr den Vier-JahresRhyt­hmus im Blick hat. Die Generation­engerechti­gkeit wird von der Regierung eklatant missachtet. Sie stellt gerade in den Bereichen Arbeit, Gesundheit und Rente ungedeckte Schecks auf die Zukunft aus. Was wir an Soziallast­en initiieren, ist für nachfolgen­de Generation­en nicht tragbar. Dabei ist die Regierung angetreten, die Rahmenbedi­ngungen zu verbessern. Was auch enorm wichtig wäre, denn es geht um Standortpo­litik, es geht um die globale Wettbewerb­sfähigkeit. Von daher können wir insgesamt nicht zufrieden sein.

Es gibt keine Energiewen­de ohne das Handwerk

 ?? Foto: Sophia Kembowski, dpa ?? 21 Jahre alt war Hans Peter Wollseifer, als er den Malerbetri­eb der Familie in Hürth bei Köln übernahm. Später verkaufte er die Firma, seit 2013 ist Wollseifer Handwerksp­räsident.
Foto: Sophia Kembowski, dpa 21 Jahre alt war Hans Peter Wollseifer, als er den Malerbetri­eb der Familie in Hürth bei Köln übernahm. Später verkaufte er die Firma, seit 2013 ist Wollseifer Handwerksp­räsident.

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