Augsburger Allgemeine (Land West)

Jung, weiblich, aus Unterfrank­en

Porträt Judith Gerlach muss aus dem Nichts ein Digitalmin­isterium aufbauen. Warum die 33-Jährige diese Herausford­erung vor allem als Chance sieht

- VON HENRY STERN

München Robert Redford war schon da. Sophia Loren. Auch Alfred Hitchcock. Klein-Hollywood werden die Bavaria-Filmstudio­s in München-Geiselgast­eig daher scherzhaft genannt. Zur Eröffnung einer Ausstellun­g zum hundertjäh­rigen Jubiläum sind aber keine Hollywood-Stars gekommen. Dafür die Kessler-Zwillinge, ein TatortKomm­issar, der Chef der „Rosenheim-Cops“. Und Bayerns jüngste CSU-Ministerin: Judith Gerlach.

Seit gut einem Vierteljah­r ist die 33-Jährige aus Unterfrank­en in Markus Söders Regierung für die digitale Zukunft zuständig: Neben Cybersiche­rheit oder „Bayern Online“gehören auch Videospiel­e, Film und Fernsehen in ihr Ressort. Deshalb durfte sie vor den deutschen Film-Promis das rote Eröffnungs­band durchschne­iden. „Routine ist da noch gar nix“, sagt Gerlach wenige Minuten vorher. Schauspiel­er, roter Teppich und Blitzlicht­gewitter – für die junge Rechtsanwä­ltin vom Untermain noch eine fremde Welt, wie sie selbst offen einräumt. Jetzt gilt es, überall Kontakte zu knüpfen und einen bleibenden Eindruck zu hinterlass­en bei Filmschaff­enden, Computer-Nerds und Wissenscha­ftlern.

„Die Erwartungs­haltung ist riesig“, sagt Gerlach. Und das politische Eis dünn für den Regierungs­neuling: „Ein falsches Wort, und man ist verratzt.“Wie schnell es gehen kann, hat Gerlach gleich im November lernen müssen – als sie offen und ehrlich einräumte, Digitalisi­erung sei bisher nicht gerade ihr Spezialber­eich gewesen. Schnell senkten sich vor allem in den digitalen Medien die Daumen. Manche Attacken seien weit unter die Gürtellini­e gegangen, erzählt Gerlach. „Man muss als CSU-Ministerin aber wohl damit leben, dass man für einen Teil der Bevölkerun­g ein Feindbild ist.“

Aus dem Konzept bringen lässt sich die neue Ministerin davon aber nicht: „Fränkisch-pragmatisc­h“schätzt sie sich selbst ein. Und so geht sie die neue Aufgabe an: Weil sie weder einen großen Behördenap­parat noch einen großen Etat hat, sieht sie ihren Job vor allem „im kommunikat­iven Bereich“. Mit der Bevölkerun­g offen über Chancen und Risiken der Digitalisi­erung sprechen, ist ein Ziel ihrer Arbeit.

Auch innerhalb der Regierung sieht Gerlach ihre Aufgabe vor allem in der Koordinati­on. Schließlic­h ist fast jedes Fachressor­t irgendwie mit Digitalisi­erung befasst: Um Cybersiche­rheit kümmert sich der Innenminis­ter. Um das digitale Klassenzim­mer das Kultusmini­sterium. Den Breitbanda­usbau soll der Finanzmini­ster vorantreib­en, Funklö- cher der Wirtschaft­sminister schließen. Was bleibt da für die Digitalmin­isterin? „Wir sind die digitale Denkfabrik der Staatsregi­erung“, antwortet Gerlach. Ein Haus, das wichtige Fragen stellt, Menschen zusammenfü­hrt, Ideen transporti­ert. „Natürlich müssen alle mitmachen“, räumt sie ein – aber eine Regierung sei ja kein Nullsummen­Spiel, bei dem ein Ressortche­f nur auf Kosten der anderen glänzen könne: „Wenn man alle mitnimmt, sehe ich gute Chancen, wirklich was Gutes aufs Gleis zu setzen.“

Da kommt es gelegen, dass Gerlach ein kooperativ­er Typ ist. Hört man sich im Landtag um, gibt es viel Lob für die junge Ministerin: Intelligen­t, zielorient­iert, unkonventi­onell sei sie. Um ihr neues Ministeriu­m sei sie aber nicht zu beneiden, meint ein erfahrener Ex-Minister: Eine „Hülle ohne Inhalt“sei das neue Digitalres­sort.

Erste politische Initiative­n gibt es allerdings schon: Unter dem Slogan „Dirndl und Digitalisi­erung“will Gerlach mehr Frauen für IT-Berufe begeistern. Ende Februar verabschie­dete das Kabinett zudem einen Gerlach-Plan für mehr Cybersiche­rheit und digitale Verwaltung. Keine schlechte Bilanz nach nur gut drei Monaten, zumal Gerlachs Start in der Tat nicht einfach war: „Die letzten Wochen waren die anstrengen­dsten

„Ein falsches Wort, und man ist verratzt“

„Am ersten Tag dachte ich, ich bin im falschen Film.“

meines Lebens“, sagt sie. Am Anfang hatte sie keine Mitarbeite­r, kein Büro, nicht einmal Stühle. „Am ersten Tag habe ich gedacht, ich bin im falschen Film.“

Inzwischen ist das Ministeriu­m in schlichte Büroräume in der Münchner Innenstadt gezogen. Knapp sechzig der geplant neunzig Stellen sind besetzt. „Wir wollen ein bunter Haufen sein, der auch mal was Neues ausprobier­t“, sagt Gerlach. Flache Hierarchie­n, offene Türen, eine Ministerin, die alle ihre Mitarbeite­r mit Namen kennt: Ein bisschen sei ihr Haus schon so wie die neuen, hippen Digitalunt­ernehmen. Doch wie ein Start-up zehn Projekte zünden, in der Hoffnung, dass vielleicht zwei funktionie­ren – das geht beim Staat nicht, warnt Gerlach. Schließlic­h gehe es um Steuergeld: „Wenn wir was auf die Straße bringen, dann muss es auch klappen.“

Für schnellen Glamour auf dem roten Teppich und billige Schlagzeil­en ist sie ohnehin nicht der Typ. Gerlach will durch fundiertes Wissen und gute Arbeit überzeugen: „Ich kann vielleicht nicht alle Erwartunge­n erfüllen, aber ich kann was bewegen“, sagt sie selbstbewu­sst. Und verbiegen will sich Judith Gerlach für den Minister-Job sowieso nicht. Zum Glück sei dies auch nicht nötig, beteuert sie: „Im Kabinett darf ich so sein, wie ich bin.“

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Foto: Angie Wolf Judith Gerlach ist Bayerns jüngste CSU-Ministerin. Sie ist für die Digitalisi­erung zuständig – eine Mammutaufg­abe für die 33-Jährige.

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