Augsburger Allgemeine (Land West)

Alte Meister in jungen Händen

Museum Villa Rot Pieter Bruegel als Immobilien­turm, Caspar David Friedrich in Abstrakt: Eine starke Ausstellun­g zeigt, wie vielfältig Künstler im digitalen Zeitalter große Werke zitieren

- VON MARCUS GOLLING

Burgrieden-Rot „Großer Turmbau zu Babel“, das 1563 entstanden­e Gemälde des niederländ­ischen Malers Pieter Bruegel d. Ä., ist längst kein Bild mehr, sondern eine Ikone – die wohl berühmtest­e Illustrati­on für menschlich­e Hybris. Die Künstlerin Emily Allchurch hat 2015 ihren eigenen Turm gebaut, „Babel London (after Bruegel)“heißt er, eine Collage aus Fotos von Gebäuden in der britischen Hauptstadt. Ein Kommentar auf den Immobilien­Irrsinn in der Metropole? Wahrschein­lich. Ganz sicher aber ein Knicks vor dem Original.

„Inspiratio­n Meisterwer­k“, diese sehr sehenswert­e neue Ausstellun­g im Museum Villa Rot (Burgrieden­Rot bei Biberach), zeigt, dass die Künstler der Gegenwart die Ikonen der Vergangenh­eit nicht als Belastung verstehen, sondern als Quelle neuer Ideen. Kein Bilderstür­mer, nirgendwo. Niemand, der die Heiligen

Das Original ist weniger Vorbild als Werkstoff

der Kunstgesch­ichte von ihrer Säule stürzen will. Kaum subversive Aneignung, wie sie die Künstler der Appropriat­ion Art praktizier­en. Dafür ein freier, verspielte­r Umgang mit den Meisterwer­ken, der für die digitale Meme-Kultur der Gegenwart typisch ist. „Die Originale sind ein Werkstoff“, erklärt Kurator Marco Hompes. Und verweist auf die vielen hundert Varianten der „Mona Lisa“, die in sozialen Netzwerken geteilt werden.

Natürlich sind die in der Villa Rot gezeigten Arbeiten komplexer als Internet-Memes – und manchmal kaum oder gar nicht als Bearbeitun­gen großer Werke zu erkennen. Oft verwendete­n die Künstler Computerpr­ogramme, und sei es nur zur Bildbearbe­itung – wie Hiroyuki Masuyama, der die idealisier­ten Landschaft­en aus Gemälden des Malers Caspar David Friedrich aus hunderten von Fotos zusammenpu­zzelte. Der Romantiker Friedrich ist der am häufigsten vertretene Originalme­ister in der Ausstellun­g.

So reduziert Sven Drühl dessen Bild „Das Eismeer“auf wenige markante Linien – und macht daraus ein Lichtobjek­t. Dasselbe Gemälde verwandelt Mathias Kessler am PC in eine dreidimens­ionale Landschaft, die er als Fotografie ausdruckt. Der Künstler Janus zerlegt den ikonischen „Wanderer über Nebelmeer“in seine Farben, die er auf Leinwand als parallele vertikale Linien nach ihrer Häufigkeit sortiert.

Generell hat „Inspiratio­n Meisterwer­k“zwar humorvolle Momente – wie etwa die Arbeiten von Susi Gelb, die die Glühbirne von Joseph Beuys „Capri-Batterie“zeitgemäß durch eine Energiespa­rlampe ersetzt. Aber ein rein ironisches Zitieren findet nicht statt. Vielmehr geht es vielen Künstlern darum, die Originalwe­rke durch einen neuen Kontext auf Bedeutung und ästhetisch­e Qualitäten abzuklopfe­n. So wie Otto Scherer, der für seine „Hommage an die Moderne“Bilder von Josef Albers, Piet Mondrian und Kasimir Malewitsch in würfelförm­ige Objekte transformi­ert, oder Jürgen Knubben, der die Berliner Nofrete- te auf wenige Flächen reduziert, ohne ihr die Wiedererke­nnbarkeit zu nehmen. Anderes ist konzeptuel­ler: Der französisc­he Künstler Saâdane Afif sammelte für seine Serie „Fountain Archive“Publikatio­nen mit Abbildunge­n von Marcel Duchamps Urinal – und erklärt diese dann, ausgeschni­tten und gerahmt, wiederum zur Kunst.

In der an die Villa angebauten Kunsthalle bleibt die Gruppensch­au „Pirating Presence“im Thema, wobei die beteiligte­n Künstler nicht nur aus der Kunstgesch­ichte schöpfen, sondern auch aus der Populärkul­tur. Manchmal auch aus beidem gleichzeit­ig, so wie Margret Eicher, die digital collagiert­e Szenen als großformat­ige Wandteppic­he produziere­n lässt. Ihre Arbeit „Geburt der Venus 2“zitiert Sandro Bottidem celli – zeigt aber die schwangere R&B-Sängerin Beyoncé in einem U-Bahnhof – über einem Bett aus Tattoo-Blüten, flankiert von PrilBlümch­en und Parfüm-Flacons. Eine opulente Arbeit, die von Adi Hoesle wiederum aufgenomme­n wird und mittels Software in abstrakte Muster übersetzt wird. Große Kunst und Trash, Pop und Kommerz liegen im digitalen Zeitalter dicht beieinande­r. Heutige Künstlerge­nerationen können aus einem Fundus schöpfen, von dem die alten Meister nur träumen konnten.

Ausstellun­g „Inspiratio­n Meisterwer­k“und „Pirating Presence“sind bis 10. Juni im Museum Villa Rot, Schlossweg 3, in Burgrieden-Rot bei Biberach zu sehen. Geöffnet Mi.–Sa. von 14–17 Uhr, So. und Fei. von 11–17 Uhr.

 ?? Foto: Emily Allchurch/Karin Weber Gallery ?? Die Britin Emily Allchurch hat Pieter Bruegels Turmbau zu Babel aus Londoner Gebäuden nachgebaut. „Babel London“ist Teil der Ausstellun­g „Inspiratio­n Meisterwer­k“in der Villa Rot.
Foto: Emily Allchurch/Karin Weber Gallery Die Britin Emily Allchurch hat Pieter Bruegels Turmbau zu Babel aus Londoner Gebäuden nachgebaut. „Babel London“ist Teil der Ausstellun­g „Inspiratio­n Meisterwer­k“in der Villa Rot.

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