Augsburger Allgemeine (Land West)

„Amokläufer wollen unsterblic­h werden“

Interview Die Kriminolog­in Britta Bannenberg ist überzeugt, dass sich Bluttaten wie in Winnenden, Erfurt oder München in vielen Fällen verhindern lassen

- Interview: Angelika Kleinhenz Prof. Britta Bannenberg,

Zum zehnten Mal jährt sich der Amoklauf von Winnenden. Die Frage an Sie als Kriminolog­in: Hätte man die Amokläufe von Erfurt, Winnenden und München verhindern können? Professor Britta Bannenberg: Unsere Forschung zeigt, dass es vor jedem Amoklauf sehr intensive Anzeichen im Vorfeld gegeben hat. Die Täter haben mehrfach Sympathien für andere Amoktäter gezeigt, sich bedrohlich geäußert und sich teils jahrelang mit amerikanis­chen Amoktaten befasst. Das heißt: Amoktaten lassen sich verhindern – vielleicht nicht alle, aber die meisten.

Was ist das Motiv der Täter? Bannenberg: Die Täter wollen unsterblic­h werden, indem sie andere töten. Sie wollen sich an allen rächen, weil sie glauben, schlecht behandelt worden zu sein. Ihre Rache ist irrational, weil sie psychisch gestört sind. Wir haben alle Amoktaten in Deutschlan­d untersucht und festgestel­lt: Die Täter waren weder Mobbingopf­er noch wurden sie von Gleichaltr­igen drangsalie­rt.

Könnte ein Amoklauf wie in Winnenden heute wieder geschehen? Bannenberg: Das hängt davon ab, ob die Personen aus dem sozialen Umfeld des Täters, die als Erste merken, wenn sich jemand bedrohlich äußert, die Gefahr erkennen und ihr Wissen weitergebe­n. Viele haben Hemmungen, die Polizei, die Schulleitu­ng oder den Chef zu informiere­n. Meist beruhigen sie sich selbst mit dem Gedanken: Eigentlich traue ich ihm das ja nicht zu…

Was hat sich in den vergangene­n zehn Jahren verändert?

Bannenberg: Das Einsatztra­ining der Polizei hat sich massiv verbessert – auch aufgrund der Terrorgefa­hr. Da Amokläufe sehr selten sind, sinkt die Aufmerksam­keit in der Bevölkerun­g für die Vorzeichen, die solche Taten erkennen lassen, seit Jahren.

Gibt es einen Unterschie­d zwischen jugendlich­en und erwachsene­n Amokläufer­n?

Bannenberg: Jugendlich­e sind auffällige­r. Sie surfen viel im Internet, agieren unter dem Nicknamen ehemaliger Amokläufer, sind aktiver bei Ego-Shooter-Computersp­ielen und geben meist viele Kommentare während eines Spiels ab. Welche Rolle spielen Computersp­iele bei Amoktaten?

Bannenberg: Spiele sind nicht die Ursache für Amoktaten. Doch bei denjenigen, die eine Tat verüben wollen, sind sie ein Verstärker ihrer Tötungsfan­tasien, ebenso wie Musikvideo­s aus der Amokszene oder Bilder von echten Tätern.

In Würzburg gab es 2016 das Axt-Attentat, als ein 17-jähriger Flüchtling mit einer Axt in einem Regionalzu­g wahllos auf Menschen einschlug. Gibt es Parallelen zu einem Amoklauf? Bannenberg: In diesem Fall war es ein junger Islamist. Seine Motivation war eine andere, doch seine Persönlich­keit war mit Sicherheit eine ähnliche. Anders als Gruppentät­er im terroristi­schen Bereich haben Einzeltäte­r viel Ähnlichkei­t mit Amokläufer­n.

Ihr Lehrstuhl hat 2015 eine Hotline für bedrohlich­e Situatione­n eingericht­et. Fachleute nehmen Anrufe von Menschen entgegen, die einen Amoklauf befürchten – auch heute noch? Bannenberg: Ja. Insgesamt haben wir seit 2015 knapp 200 Anrufe aus ganz Deutschlan­d und dem deutschspr­achigen Ausland entgegenge- nommen. Etwa 20 Prozent der Anrufer können wir beruhigen, da keine Gefahr besteht. In den meisten Fällen müssen wir aber handeln.

Was tun Sie in den Fällen, die Ihnen bedrohlich erscheinen?

Bannenberg: Wir beraten, sammeln Informatio­nen und stehen im Austausch mit den jeweiligen Schulen, Behörden, Unternehme­n, Agenturen für Arbeit oder den Menschen vor Ort, die mit dem mutmaßlich­en Amokläufer zu tun haben. Meist wird die Polizei eingeschal­tet. Wenn sich die Person schon in der Psychiatri­e befindet, geht es darum, wie dort mit ihr umgegangen werden soll. Frauen, die befürchten, dass ihr Partner sie und die Kinder umbringen will, vermitteln wir an das Dezernat für häusliche Gewalt. Auch besorgte Schüler melden sich, die sich nicht trauen, zur Polizei zu gehen.

Haben Sie mit Ihrer Hotline bereits Amokläufe verhindert? Bannenberg: Schon oft haben die Personen, um die es ging, später gestanden, dass sie einen Amoklauf geplant hatten. Einige wurden in der Psychiatri­e untergebra­cht. Das spricht dafür, dass es wichtig war zu intervenie­ren.

Melden sich am Jahrestag mehr Menschen über die Hotline? Bannenberg: Ja. Die Anrufe häufen sich aber auch, wenn in den USA ein Amoklauf stattfinde­t. Dann wird die Szene in Deutschlan­d wieder aktiv. Menschen sind beunruhigt und melden sich.

Von welcher Szene sprechen Sie? Bannenberg: Es gibt eine Szene von Amoksympat­hisanten und psychisch labilen Menschen, die nach spektakulä­ren Taten entweder Sympathien für die Täter äußern oder erkennen lassen, dass sie Ähnliches vorhaben. Darüber hinaus gibt es eine Fanszene, die sich über die Taten unterhält. Die Unterstütz­er würden selbst keinen Amoklauf begehen, regen aber die Fantasie derjenigen an, die dazu fähig sind.

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Foto: Boris Roessler, dpa Einschussl­öcher in der Scheibe eines Autohauses in Wendlingen: Im Hof dieses Autohauses hatte der Amoklauf des Todesschüt­zen von Winnenden vor zehn Jahren geendet.
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54, ist Kriminolog­in an der Universitä­t Gießen und erforscht das Thema Amokläufe.

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