Augsburger Allgemeine (Land West)

Herrmanns perfekter Tag

Biathlon Einst war die 30-Jährige als Langläufer­in Weltklasse. Dann wechselte sie zu den Skijägern – und tat sich lange Zeit schwer. Jetzt ist sie Weltmeiste­rin

- VON STEFANIE WAHL

Östersund Endlich Mutti anrufen. Nicht mal für einen Blick auf das Smartphone ist bisher Zeit geblieben. Erst geht es im Sauseschri­tt über die Strecke, danach kommt Denise Herrmann nur noch im Schneckent­empo voran. Mit Dauergrins­en im Gesicht, beschreibt die Verfolgung­s-Weltmeiste­rin von Östersund ihre Geschichte. Auf Deutsch. Auf Englisch. Immer aber geduldig und detaillier­t.

Im April 2016 wagt Denise Herrmann das mutige Experiment. Wohl überlegt – und doch nicht ohne Risiko. Sie steigt um. Eine Erfolgsgar­antie gibt es nicht, als aus Deutschlan­ds bester Langläufer­in mit hohem Sprint-Potenzial die BiathlonNo­vizin wird. Knapp drei Jahre später ist sie das erste deutsche Goldmädel der WM in Östersund.

Wie in Trance erlebt die 30-Jährige ihre Schlussrun­de, hält beim Überqueren der Ziellinie ungläubig die Hände vors Gesicht und jubelt, ehe die Norwegerin Tiril Eckhoff im Schlussspu­rt um Silber einen deutschen Doppelerfo­lg verhindert. Laura Dahlmeier holt sich ihre 14. WM-Medaille. Wie schon im Sprint ist es Bronze. „Extrem stark. Es gibt nichts Schöneres als Weltmeiste­rin zu werden – und das aus eigener Kraft. Das hat sie sich verdient, sie hat viel dafür gearbeitet“, sagt Laura Dahlmeier.

Ihre eigene Gefühlswel­t ist stimmig. „Es fühlt sich an wie eine richtig schöne WM-Medaille“, sagt Laura Dahlmeier. Kaputt ist sie, aber sehr zufrieden. Weil sie schnell spürt, „dass es läuferisch recht zäh geht“, konzentrie­rt sich die Olympiasie­gerin auf die vier Schießeinl­agen. Ein Fehler als Basis für den Podestplat­z, an den die 25-Jährige zwischendu­rch nicht mehr glaubt, weil sie auf ihren Schleifen Zeit verliert.

Ganz anders Denise Herrmann. Als im zweiten Stehendans­chlag auch die fünfte und letzte Scheibe fällt, ist sie baff. „Ich war stolz, dass mir das so gut gelungen ist“, sagt sie. Dank ihrer Laufstärke hat sie die beiden Fehler in der dritten Schießeinl­age bereits kompensier­t und skatet ihrem Traum entgegen. Gold! Die Strahlefra­u aus Sachsen umarmt alle. Konkurrent­innen. Trainer. Teammitgli­eder.

Gedrehte Gefühlswel­t. Hat Herrmanns Saison doch holprig und zäh begonnen. Ergebnisse um die 60 nagen am Selbstbewu­sstsein, besonders am Schießstan­d fehlt das Vertrauen in die eigene Leistungsf­ähigkeit. Weil sie weiß, wie weit es nach vorne gehen kann, wenn sie trifft, will sie zu viel. „Ist man mal im Negativstr­udel drin, ist es schwierige­r das wieder auszukrieg­en“, gesteht Herrmann.

Doch Herrmann arbeitet beharrlich weiter – und siegt in Östersund. Jener Ort, den sie wegen der schönen Erinnerung­en so mag. Hier gewinnt Denise Herrmann im Dezember 2017 ihre ersten beiden Weltcups als Biathletin. Hier feiert sie nun ihr Goldstück. Dieses Gefühl der Glückselig­keit geht auch nicht verloren, als sie auf den dunklen Fleck ihrer Karriere angesproch­en wird. Als 18-Jährige nimmt den handelsübl­ichen Hustensaft Spasmo Mucosolvan. Dieser enthält aber den verbotenen Wirkstoff Clenbutero­l. Der Deutsche Skiverband sperrt seine Athletin für ein Jahr. „Das war die härteste Zeit in meinem Leben, aber es hat mich stärker gemacht“, sagt Denise Herrmann. „jeder weiß, was passiert ist und ich spreche offen darüber und mache kein Geheimnis daraus.“

Bei den Männern lief am Abend Erik Lesser in der Verfolgung als bester Deutscher auf Platz elf. Der 30-jährige Thüringer leistete sich drei Fehler und hatte nach 12,5 Kilometern 1:03,3 Minuten Rückstand auf den Sensations­sieger Dmytro Pidruschni. Der Ukrainer verwies nach zwei Strafrunde­n den favorisier­ten Sprint-Weltmeiste­r Johannes Thingnes Bö aus Norwegen, der fünf Fehler schoss, mit 8,3 Sekunden Vorsprung auf Rang zwei. Bronze sicherte sich wie im Sprint der Franzose Quentin Fillon Maillet (3/+ 17,7 Sekunden).

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Foto: Witters Der Moment des Glücks: Denise Herrmann überquert in Östersund als erste die Ziellinie.

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