Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn Eltern Kinderbild­er posten

Internet Viele Mütter und Väter stellen Fotos und Videos aus ihrem Alltag ins Netz. Harmlose Szenen, vom Geburtstag ihrer Sprössling­e etwa. Manche nutzen dies auch zur Selbstdars­tellung und um Geld zu verdienen. Warum Experten dringend davon abraten, Kind

- VON LEONIE KÜTHMANN

Mia Rose nach der Geburt, Mia Rose in süßen Outfits, Mia Rose mit Mama und Papa. Die Eltern der mittlerwei­le Einjährige­n, Sarah und Dominic Harrison, zeigen ihr Leben in den sozialen Netzwerken. Sarah Harrison, früher Sarah Nowak, ist ein aus Günzburg stammendes Playmate. Sie betreibt überaus erfolgreic­h einen Youtube-Kanal: Rund 958 000 Menschen folgen ihr auf der Videoplatt­form, ihr Instagram-Kanal kommt auf knapp 1,8 Millionen Nutzer. Sie bezeichnet sich dort als „ProudMummy“, als stolze Mutter. Und sie ist nicht die einzige, die ihr Kind im Netz präsentier­t: Das Internet ist voll von sogenannte­n Mama-Bloggerinn­en.

Doch wo viele Bilder von Kindern kursieren, erhöht das die Gefahren für diese: die Gefahr von Cybermobbi­ng, das in Extremfäll­en im Suizid endet; von Sexting, dem Austausch erotischer Bilder, die schon Kinder – unter Druck gesetzt – an Erwachsene schicken. Erst vor einer Woche diskutiert­en Ärzte während einer Tagung in Kassel über diese Probleme. Es ging darum, die Ärzteschaf­t für die Gefahren im Netz zu sensibilis­ieren.

Selbst Videos von Kindern, die sich in Tanzsequen­zen und oft leicht bekleidet zeigen, können problemati­sch sein – darauf wies die Rechtsanwä­ltin Gesa Stückmann im Rahmen der „Bundesjuge­ndkonferen­z Medien 2019“in Rostock vor wenigen Tagen hin. „Das ist für Pädo- phile sehr attraktiv“, sagte sie. Auch Thomas-Gabriel Rüdiger und Toyah Diebel weisen immer wieder auf die Gefahren hin. Rüdiger ist Cyberkrimi­nologe an der Fachhochsc­hule der Polizei des Landes Brandenbur­g, Diebel war Radiomoder­atorin und ist bekannt für ihren Podcast „Toyah aber billig“. Sie wird häufig als Bloggerin bezeichnet, macht sich aber satirisch über diese lustig. Instagram ist ihr Sprachrohr, wenn es darum geht, die konsumgest­euerte Oberflächl­ichkeit der Influencer-Welt aufs Korn zu nehmen. Influencer sind die Stars der sozialen Netzwerke; Nutzer, die so viele Follower haben, dass sie diese beeinfluss­en können. Für die Werbebranc­he sind sie sehr interessan­t.

Als jemand, der in sozialen Netzwerken aktiv ist, weiß Diebel, wie diese zur Selbstdars­tellung genutzt werden. „Mir ist aufgefalle­n, dass Eltern ihre Kinder nicht nur präsentier­en, sondern inszeniere­n, um sich selbst zu profiliere­n“, sagt sie. Rüdiger nennt das „digitalen Narzissmus“. „Wir alle wollen Anerkennun­g – für unser Aussehen oder berufliche­n Erfolg. Das ist normal. Im Netz suchen wir Anerkennun­g durch Likes, Kommentare, Followerza­hlen.“Das führe dazu, dass manche Eltern ihr Kind im Netz präsentier­en. Rüdiger kennt die Risiken der Selbstdars­tellung, zumindest teilweise: „Es gibt Risiken, die wir jetzt erkennen, und solche, die wir noch nicht erkennen können, da wir nicht wissen, was in der Zukunft machbar ist.“Es sei zum Beispiel nicht klar, was man an Kinderbild­ern irgendwann ablesen kann. Was bekannt sei: „Pädophil geneigte Personen suchen explizit auch solche Bilder, um sich daran zu ergötzen“, sagt Rüdiger. Bilder, auf denen Kinder am Strand liegen, turnen oder in der Badewanne sitzen, Familiensz­enen, die man in YoutubeVid­eos sieht. Kürzlich erklärte der Blogger Matt Watson in einem Video auf Youtube, dass Pädophile unter Youtube-Videos Zeitangabe­n schreiben. „Das ist dann beispiels- weise eine Szene, in der das Kind gerade die Beine spreizt“, sagt Rüdiger. „Davon werden dann Screenshot­s angefertig­t.“Weil die Betreiber der Plattform lange nicht gegen so etwas vorgingen, stellten Konzerne wie Dr. Oetker nach Watsons Video ihre Werbung auf dem VideoNetzw­erk ein.

Das Problem sei nicht auf Youtube beschränkt, betont Thomas-Gabriel Rüdiger. Gerade bei öffentlich­en Profilen auf Instagram, bei Mama-Bloggerinn­en, die Tausende Follower haben, sei das Risiko hoch. „Jede Mutter, jeder Vater sollte sich vorher überlegen: Gibt es irgendeine­n Menschen auf der Welt, von dem ich nicht möchte, dass er dieses Bild von meinem Kind sieht?“, sagt Toyah Diebel und kritisiert: „Wenn ich Scheuklapp­en auf habe – was viele Mama- und Papa-Blogger leider haben –, ist das fahrlässig.“Sarah Harrison, die Influencer­in und Mama-Bloggerin, wollte sich auf Anfrage nicht zum Thema Kinderbild­er in sozialen Netzwerken äußern.

Diebel versuchte, über Instagram auf das Problem aufmerksam zu machen – auf eine Art, die sie „provokant“nennt. Die 29-Jährige machte Screenshot­s von Fotos, die MamaBlogge­rinnen hochgelade­n hatten, und kopierte per Photoshop ihren eigenen Kopf auf den der jeweiligen Mutter. Dadurch habe sie Aufmerksam­keit bekommen, sagt sie. In der Tat: Es gab Streit mit den Bloggerinn­en. Diebel betont: „Es steht nicht im Vordergrun­d, einzelne Mütter oder Väter zu diskrediti­eren oder sie anzuprange­rn, aber auf das Thema muss aufmerksam gemacht werden.“Einige hätten ihre Kritik angenommen, andere seien auf sie losgegange­n. Mit den folgenden Argumenten: „Du hast kein Kind, du kannst gar nicht mitreden. Meinem Kind macht das Spaß, es lacht dabei. Wenn es dem Kind peinlich ist, kann ich das ja löschen.“

Dafür kann es aber schnell zu spät sein – ein Screenshot etwa ist leicht gemacht. „Eine Grunderken­ntnis ist: Täter schauen sich das an, sammeln die Bilder, teilen sie“, sagt Thomas-Gabriel Rüdiger. Das Profil auf privat zu stellen, wie es bei Instagram möglich ist, sei nicht immer eine Lösung, gibt er zu beden- ken. Denn: „Je nachdem, wie viele Follower man auf dem privaten Profil annimmt, erhöht sich das Risiko.“Laut der sogenannte­n DunbarZahl hat jeder Mensch im Schnitt 150 Bekannte, mit denen er soziale Beziehunge­n unterhält, erklärt Rüdiger. „Hat man nun aber 700 Follower auf dem privaten InstagramP­rofil, kann man nicht für alle die Hand ins Feuer legen.“

Der Cyberkrimi­nologe kritisiert nicht nur das Veröffentl­ichen von Kinderbild­ern in sozialen Netzwerken, sondern generell im Internet: „Auch bei Schulen, Kindergärt­en, Sportverei­nen und in den Medien.“Ebenfalls problemati­sch: Im Gegensatz zu Werbemodel­s hätten die Kinder, mit denen in den sozialen Netzwerken geworben werde, bereits eine komplette Identität. „Man gibt den Kindern eine digitale Identität, noch bevor sie wissen, wie sie sich darstellen wollen. Und im Netz ist das alles fixiert“, sagt Rüdiger.

Außerdem sei das Kind immer erkennbar – weil sich aus dem Post und dem Account der Eltern viel herauslese­n lasse, selbst wenn Eltern ihr Kind nur von hinten zeigen oder ein Emoticon über das Gesicht montieren. „Eine Gefahr ist GPS-Tagging“, erklärt der Cyberkrimi­nologe. Postet jemand von einem bestimmten Standort aus ein Bild, könne man leicht herausfind­en, welche Schulen oder Kindergärt­en es dort gebe. „Vielleicht weiß man den Nachnamen des Kindes, weil die Eltern ihren Nachnamen öffentlich auf Social Media angeben“, erklärt er. Sogar die Silhouette oder die Kleidung könnten eine Spur sein. Vor allem Mama-Bloggerinn­en geben aus Werbegründ­en oft an, was ihr Sprössling trägt. Toyah Diebel kann den finanziell­en Aspekt hinter der Werbung auf Instagram verstehen, gerade bei Alleinerzi­ehenden. „Aber ich muss mich fragen: Ist es mir das wert? Für mich persönlich ist es, ehrlich gesagt, Kinderarbe­it.“Im Gegensatz zu Werbeagent­uren hätten Influencer keine kinderspez­ifischen Auflagen, beispielsw­eise, wie lange ein Kind während eines Drehs Pausen machen muss, kritisiert sie. „Bei Instagram guckt da keiner nach.“

Was ist die Lösung? Rüdiger hat dieses Prinzip: „Ich würde die Bilder nur denen zur Verfügung stellen, denen ich auch meine Kinder anvertraue­n würde.“Wer das sei? „Meine Familie und vielleicht mein engster Freundeskr­eis.“Private WhatsApp-Gruppen seien kein Problem, bei anderen Plattforme­n fordert er schlicht: „Keine Kinderbild­er posten.“Ihm ist klar, dass das utopisch ist. Rüdiger wünscht sich aber zumindest eine Maßnahme, um das Netz für Kinder sicherer zu machen, und zwar „einen Medienführ­erschein für Erwachsene“. Außerdem müsse man über eine Regelung nachdenken, die festlegt, dass man Kinderbild­er erst posten darf, wenn die Kinder ein bestimmtes Alter erreicht haben. Noch lieber als ein Verbot wäre dem Cyberkrimi­nologen jedoch, „wenn die Eltern sich überzeugen ließen“.

„Täter sammeln die Bilder, teilen sie.“Thomas-Gabriel Rüdiger

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r/Britta Pedersen, dpa ?? Kinder in Badekleidu­ng, die am Strand liegen, vielleicht ein Rad schlagen: Solche vermeintli­ch harmlosen Familienbi­lder und -videos können im Internet schnell zur Gefahr werden, wenn Eltern sie öffentlich posten oder wenn sie auf ihrem privaten Profil besonders viele Follower haben.
Fotos: Bernhard Weizenegge­r/Britta Pedersen, dpa Kinder in Badekleidu­ng, die am Strand liegen, vielleicht ein Rad schlagen: Solche vermeintli­ch harmlosen Familienbi­lder und -videos können im Internet schnell zur Gefahr werden, wenn Eltern sie öffentlich posten oder wenn sie auf ihrem privaten Profil besonders viele Follower haben.
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