Augsburger Allgemeine (Land West)

Kanzler Kurz will seine Macht mit Neuwahl sichern

Krise Eklat um FPÖ-Politiker Strache erschütter­t Österreich und lässt die Koalition platzen

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Österreich braucht eine neue Regierung. Ein heimlich aufgenomme­nes Video hat am Wochenende eine Kettenreak­tion ausgelöst, an deren Ende Neuwahlen im September stehen. Zu sehen ist in dem Film der bisherige Vizekanzle­r und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Gespräch mit einer vermeintli­chen Oligarchin. Der Politiker bietet der Frau Staatsauft­räge als Gegenleist­ung für Parteispen­den an und versucht sie davon zu überzeugen, die einflussre­iche Kronen Zeitung zu kaufen, um Wahlen zugunsten der FPÖ zu beeinfluss­en. Das am Freitag aufgetauch­te Video wurde bereits 2017 aufgenomme­n und die „Oligarchin“war nur ein Lockvogel. Wer hinter der Falle steckt, ist offen. Klar sind die Konsequenz­en. Strache trat am Samstag zurück und Kanzler Sebastian Kurz ließ nach einigen Stunden Bedenkzeit die Koalition mit der FPÖ platzen. Tausende demonstrie­rten in Wien spontan für Neuwahlen.

Am Sonntag trat Kurz dann gemeinsam mit Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen vor die Kameras. „Es geht um das Wohl des Landes und das Ansehen Österreich­s in der Welt“, sagte das Staatsober­haupt, und der Kanzler betonte: „Die Neuwahlen waren kein Wunsch, sie waren eine Notwendigk­eit.“Nun muss er sich einen neuen Partner suchen – und das dürfte durchaus schwierig werden. „Es ist der erste richtige Kratzer in der perfekten Karriere von Sebastian Kurz“, sagte die österreich­ische Politikwis­senschaftl­erin Kathrin Stainer-Hämmerle im Gespräch mit unserer Redaktion. Sie geht zwar davon aus, dass viele FPÖ-Anhänger zu Kurz und seiner konservati­ven ÖVP überlaufen. Eine absolute Mehrheit hält sie aber für unwahrsche­inlich. Als Partner käme die sozialdemo­kratische SPÖ infrage. „Die Österreich­er lehnen eine Große Koalition heute nicht mehr so vehement ab wie bei der letzten Nationalra­tswahl“, sagt Stainer-Hämmerle. Allerdings liegen zwischen SPÖChefin Pamela Rendi-Wagner und Kurz politisch Welten. Ein Bündnis der ÖVP mit den liberalen Neos wäre eher möglich, für eine Mehrheit müssten allerdings beide Parteien deutlich zulegen.

Dass die rechtspopu­listsche FPÖ, die 2017 fast 26 Prozent der Stimmen holte, nach dem Skandal ins Bodenlose fällt, glaubt Politikexp­ertin Stainer-Hämmerle zwar nicht, sie rechnet allerdings mit klaren Verlusten: „Um ähnliche Ergebnisse wie zuletzt zu erreichen, muss man schon auch gemäßigte Wähler ansprechen, und die werden sich nun abwenden.“Zudem habe die FPÖ mit der Kronen Zeitung ihren Hauptverbü­ndeten grob verärgert. Die auflagenst­ärkste Boulevardz­eitung des Landes titelte am Samstag „FPÖ am Ende!“. Strache selbst nutzte seine Rücktritts­erklärung, in der er sein Verhalten als „alkoholbed­ingtes Macho-Gehabe“bezeichnet­e, zur Gegenoffen­sive. Dass ihm eine Falle gestellt wurde, bezeichnet­e er als „gezieltes politische­s Attentat“und forderte die Herausgabe des gesamten Films, in dem er offenbar auch schmutzige Gerüchte über Kurz und den damaligen Kanzler Christian Kern verbreitet. Darüber, wer das Video, das Süddeutsch­e Zeitung und Spiegel öffentlich machten, arrangiert hat, wird nun viel spekuliert. Auch die Rolle des deutschen Satirikers Jan Böhmermann, der das Material vorab kannte, ist unklar.

Warum Kurz die Koalition mit der FPÖ beenden musste, erklärt Michael Stifter im Die irren Tage in Österreich erzählen Mariele Schulze Berndt und Rudi Wais auf der nach.

„Der erste richtige Kratzer in der perfekten Karriere von Sebastian Kurz.“

Kathrin Stainer-Hämmerle

Newspapers in German

Newspapers from Germany