Augsburger Allgemeine (Land West)
Kanzler Kurz will seine Macht mit Neuwahl sichern
Krise Eklat um FPÖ-Politiker Strache erschüttert Österreich und lässt die Koalition platzen
Augsburg Österreich braucht eine neue Regierung. Ein heimlich aufgenommenes Video hat am Wochenende eine Kettenreaktion ausgelöst, an deren Ende Neuwahlen im September stehen. Zu sehen ist in dem Film der bisherige Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Gespräch mit einer vermeintlichen Oligarchin. Der Politiker bietet der Frau Staatsaufträge als Gegenleistung für Parteispenden an und versucht sie davon zu überzeugen, die einflussreiche Kronen Zeitung zu kaufen, um Wahlen zugunsten der FPÖ zu beeinflussen. Das am Freitag aufgetauchte Video wurde bereits 2017 aufgenommen und die „Oligarchin“war nur ein Lockvogel. Wer hinter der Falle steckt, ist offen. Klar sind die Konsequenzen. Strache trat am Samstag zurück und Kanzler Sebastian Kurz ließ nach einigen Stunden Bedenkzeit die Koalition mit der FPÖ platzen. Tausende demonstrierten in Wien spontan für Neuwahlen.
Am Sonntag trat Kurz dann gemeinsam mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen vor die Kameras. „Es geht um das Wohl des Landes und das Ansehen Österreichs in der Welt“, sagte das Staatsoberhaupt, und der Kanzler betonte: „Die Neuwahlen waren kein Wunsch, sie waren eine Notwendigkeit.“Nun muss er sich einen neuen Partner suchen – und das dürfte durchaus schwierig werden. „Es ist der erste richtige Kratzer in der perfekten Karriere von Sebastian Kurz“, sagte die österreichische Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle im Gespräch mit unserer Redaktion. Sie geht zwar davon aus, dass viele FPÖ-Anhänger zu Kurz und seiner konservativen ÖVP überlaufen. Eine absolute Mehrheit hält sie aber für unwahrscheinlich. Als Partner käme die sozialdemokratische SPÖ infrage. „Die Österreicher lehnen eine Große Koalition heute nicht mehr so vehement ab wie bei der letzten Nationalratswahl“, sagt Stainer-Hämmerle. Allerdings liegen zwischen SPÖChefin Pamela Rendi-Wagner und Kurz politisch Welten. Ein Bündnis der ÖVP mit den liberalen Neos wäre eher möglich, für eine Mehrheit müssten allerdings beide Parteien deutlich zulegen.
Dass die rechtspopulistsche FPÖ, die 2017 fast 26 Prozent der Stimmen holte, nach dem Skandal ins Bodenlose fällt, glaubt Politikexpertin Stainer-Hämmerle zwar nicht, sie rechnet allerdings mit klaren Verlusten: „Um ähnliche Ergebnisse wie zuletzt zu erreichen, muss man schon auch gemäßigte Wähler ansprechen, und die werden sich nun abwenden.“Zudem habe die FPÖ mit der Kronen Zeitung ihren Hauptverbündeten grob verärgert. Die auflagenstärkste Boulevardzeitung des Landes titelte am Samstag „FPÖ am Ende!“. Strache selbst nutzte seine Rücktrittserklärung, in der er sein Verhalten als „alkoholbedingtes Macho-Gehabe“bezeichnete, zur Gegenoffensive. Dass ihm eine Falle gestellt wurde, bezeichnete er als „gezieltes politisches Attentat“und forderte die Herausgabe des gesamten Films, in dem er offenbar auch schmutzige Gerüchte über Kurz und den damaligen Kanzler Christian Kern verbreitet. Darüber, wer das Video, das Süddeutsche Zeitung und Spiegel öffentlich machten, arrangiert hat, wird nun viel spekuliert. Auch die Rolle des deutschen Satirikers Jan Böhmermann, der das Material vorab kannte, ist unklar.
Warum Kurz die Koalition mit der FPÖ beenden musste, erklärt Michael Stifter im Die irren Tage in Österreich erzählen Mariele Schulze Berndt und Rudi Wais auf der nach.
„Der erste richtige Kratzer in der perfekten Karriere von Sebastian Kurz.“
Kathrin Stainer-Hämmerle