Augsburger Allgemeine (Land West)
Europapolitik mit einer Kiste am Bett
Wahl Markus Ferber hat Veränderungen auf dem Kontinent als Parlamentarier ganz nah miterlebt. Manches fasziniert ihn, anderes macht ihm Gänsehaut. Und zuletzt sei etwas schiefgelaufen. Das soll sich ändern
Markus Ferber hat Veränderungen als Parlamentarier ganz nah miterlebt. Manches fasziniert ihn, anderes macht Gänsehaut. »
Landkreis Augsburg Reden wir über den Stoff für schlechte Träume. Der Brexit, der Streit um die Flüchtlingspolitik, das Ringen der Mitgliedsstaaten um die Vorgehensweisen in der Europäischen Union in vielen Einzelfragen. Und dann kommen noch die Einwirkungen von Trump und Putin sowie der wachsende Einfluss Chinas in der Welt dazu. Kann ein Europapolitiker da noch ruhig schlafen? Markus Ferber sagt: Ja, er kann – mit einem Trick. „Gedanklich habe ich eine Kiste neben meinem Bett. Da stecke ich abends alles hinein bis zum nächsten Morgen.“NächtliThema ches Grübeln hilft ihm wenig, er sucht die klare Sicht. Seine Sicht auf Europa dürfte jedenfalls so intensiv sein wie bei keinem anderen im heimischen Raum.
Der heute 54-Jährige ist der einzige Europaabgeordnete aus dieser Region. Er wuchs in Langenneufnach und Bobingen auf und wohnt seit der Scheidung in Schwabmünchen. Mit seiner in Brüssel lebenden Partnerin hat er ein fünf Monate altes Kind. Die aktuelle Debatte über Impfpflicht geht ihm daher auch als Vater ganz nahe. Er ist dafür.
Markus Ferber war im Januar 1994 gerade 29 Jahre alt geworden und ein junger Diplomingenieur, der beruflich bereits einiges von der Welt gesehen hatte, als er als jüngstes Mitglied ins Europaparlament einzog. Damals gehörten nur zwölf Staaten zu EU. Die Herausforderungen resultierten vor allem aus dem Nord-Süd-Gefälle innerhalb Europas. Ferber wurde älter, und die EU ist gewachsen. Heute ist der CSU-Politiker 54, und 28 Staaten bestimmen den Kurs der EU.
Die 25 Jahre sind schnell vergangen, und Ferber hat viele Wandel erlebt. Es gehe nun mehr um OstWest-Themen, und die Diskussion sei weniger homogen, wie er sagt. Das sei aber gut so. Europa sei nämlich groß – mit mehr Regionen und mehr Herausforderungen. Da könne es keine Eintracht bei allen Lösungen geben. Wichtig sei, dass sie jedoch gefunden werden und Verbesserungen in die Wege geleitet werden.
Wie haben ihn 25 Jahre Europapolitik verändert, wie viel Begeisterung spürt er noch für Europa in sich? „Die Europa-Idee fasziniert mich“, bekräftigt Ferber. Tatsächlich kommt der Begriff Faszination in seinen Schilderungen öfter vor, wenn er von Einzelthemen spricht. Faszinierend sei es für ihn beispielsweise gewesen, wie er sich mit dem Hochwasserschutz in Europa beschäftigt habe und schließlich auf EU-Ebene Großes in Bewegung setzen konnte – was inzwischen auch in Schwaben Hochwasserschutzprojekte zu bezahlen half.
Faszinierend sei auch, was Europa seinen Menschen in vielen Details an Wohlstand und Frieden bringe. Anders als früher würden die Menschen heute öfter sehen, was alles an Förderung ihres Lebensraums mit Geldern und Merkmalen ermöglicht werde. Die Regionalentwicklung sei da nur ein Beispiel. Die starke Wirtschaft, die vom gemeinsamen Binnenmarkt profitiert, sei ein noch größeres Ergebnis der Europäischen Union.
Ein anderer Begriff in seinen Erzählungen lautet „Gänsehaut“. Es sind eher knifflige Situationen, die Ferber damit beschreibt. Zum Beispiel, als er bei einer Hochzeit nahe von London eingeladen war und andere Gäste ihm am Ende sagten, ihr Land verschwinde aus der EU und alles werde damit gut – für alle. Die Erinnerung lässt Ferbers Kopf kurz schütteln: „So viel Unverständnis über Europa hat mich erschreckt.“
Gänsehaut erlebte Ferber auch in Moskau. Ein Parlamentsabgeordneter, der Putin nahesteht, versuchte Ferber für einen diplomatischen Vorstoß zur Beilegung des internationalen Streits in der Krim-Krise zu gewinnen.
„Er schlug vor, die ganze Diskussion auf Eis zu legen. Er sagte: Lasst uns das Thema in den Kühlschrank legen, damit es einfriert. Ich sagte ihm: Der Kühlschrank ist doch schon längst voll“, erzählt Ferber. Zu viel hätten die Russen schon unter den Teppich kehren wollen. Eine Schrecksekunde sei gefolgt. Dann habe der Russe schallend zu lachen begonnen und zugegeben: Ja, im Kühlschrank sei tatsächlich schon viel drin. Durchaus kritisch kann Ferber auch die EU in Einzelaspekten betrachten. Sie habe sehr viel bewegt und erreicht, aber einige Dinge seien nicht vom Fleck gekommen. Damit meint er vor allem die gemeinsame Außenpolitik. Diese wäre aber wichtig, um den Frieden zu bewahren und die Mitgliedsstaaten vor schädlichem Einfluss auf ihren Wohlstand durch die Weltmächte zu bewahren. China sei beispielsweise in Afrika nur an den Rohstoffen interessiert, aber nicht an den Menschen. Europa sehe das anders. Die Bevölkerung wächst in Afrika rasch, doch die Menschen brauchen Arbeit und Sicherheit, um nicht zur Flucht gedrängt zu werden. Daran arbeite Deutschland. Auch Europa müsse dies in diesem Sinn tun. Und international müsse sich die EU stärker geschlossen behaupten. Das möchte er in seiner sechsten Amtsperiode erleben, wünscht sich Markus Ferber.
In seinen ersten fünf Jahren sei es in der EU vor allem um die EuroEinführung gegangen. In der zweiten Amtszeit um die Osterweiterung. Dann folgte eine Zeit der Stabilisierung. In der vierten Legislaturperiode sei die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise die große Aufgabe gewesen. Doch zu wenig Fortschritt habe das EU-Parlament in den jüngsten Jahren erzielt: „Es ging vor allem um die innere Stabilität. Wir haben uns in Europa viel mit uns selbst beschäftigt. Die Welt ist aber nicht stehen geblieben.“Die EU müsse mehr nach außen handeln, sagt Ferber: „Wir müssen mehr die globale Verantwortung in den Mittelpunkt stellen, uns nicht mit uns selbst beschäftigen.“
Darum könnte auch die nächste Amtsperiode für den schwäbischen Europaabgeordneten durchaus „faszinierend“werden.
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