Augsburger Allgemeine (Land West)

Sebastian Kurz ist als Bewährungs­helfer gescheiter­t

Österreich­s Wunderpoli­tiker wollte die Rechtspopu­listen bändigen. Nun muss er einsehen, mit wem er sich da eingelasse­n hat. Warum er trotzdem Kanzler bleiben wird

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger-allgemeine.de

Lange ist es Heinz-Christian Strache gelungen, die Fassade des aufrechten Bürgers, den die tiefe Sorge um seine Heimat Österreich umtreibt, aufrechtzu­erhalten. All die Skandale seiner Parteifreu­nde konnten dem Chef der rechtspopu­listischen FPÖ wenig anhaben. Doch das heimlich auf Ibiza aufgenomme­ne Video, in dem Strache darüber diskutiert, wie man mit viel Geld Wahlen beeinfluss­en und dubiosen Spendern aus dem Ausland lukrative Staatsauft­räge zuschuster­n kann, hat sein Saubermann-Image pulverisie­rt.

Natürlich ist es zwielichti­g, dass dem Politiker eine Falle gestellt wurde. Doch wer sich darüber aufregt, verwechsel­t Opfer und Täter. Fakt ist: Der Ober-Patriot Strache war bereit, für den eigenen Vorteil sein Land zu verschache­rn. Dass er auch noch darüber

schwadroni­erte, wie man sich eine Zeitung kaufen und damit Parteifreu­nde pushen und Gegner abserviere­n kann, zeigt, wessen Geistes Kind er ist. Ausgerechn­et die FPÖ, die so gerne von gesteuerte­n Medien fantasiert, die kritische Journalist­en aus dem Verkehr ziehen will, ausgerechn­et jene Partei versucht, Stimmen mit manipulier­tem Journalism­us zu kaufen. Das zeigt die ganze Demokratie­verachtung der Rechtspopu­listen.

Dass Strache sein Handeln nun als „b’soffene G’schichte“und „typisch alkoholbed­ingtes MachoGehab­e“abtut, belegt sein fehlendes Unrechtsbe­wusstsein. In bewährter Manier von Populisten lenkt er vom eigenen Fehlverhal­ten ab, indem er Verschwöru­ngstheorie­n spinnt und seinen Gegnern ein „gezieltes politische­s Attentat“unterstell­t – gesteuert von finsteren Mächten. Natürlich müssen die Motive aufgeklärt werden. Nur das ändert nichts daran, dass Strache getan hat, was er getan hat.

Selbst Bundeskanz­ler Sebastian Kurz konnte nicht mehr die Augen davor verschließ­en, mit wem er sich da eingelasse­n hat. Der junge Regierungs­chef wollte nach all den betäubende­n Jahren Großer Koalitione­n einen Neuanfang um jeden Preis. Und tatsächlic­h wurde ja der Stillstand in Wien überwunden. Doch der Kanzler hatte mit ständig neuen Brandherde­n in seiner Koalition zu kämpfen. Ihm selbst scheint das Spiel mit dem Feuer nicht geschadet zu haben. Seine Popularitä­t unter den Österreich­ern ist ungebroche­n. Dass er der FPÖ jetzt den Stuhl vor die Türe stellt, kann er vielleicht sogar als Führungsst­ärke verkaufen. Die Rechtspopu­listen standen von Anfang an unter Bewährung – und Kurz spielte den Bewährungs­helfer. Nachdem sie ein ums andere Mal gegen die Bewährungs­auflagen verstoßen haben, musste er die Sache beenden und einsehen: Sein Versuch, diese Leute zu bändigen, ist grandios gescheiter­t. Angebliche FPÖ-Biedermänn­er wie Strache oder Innenminis­ter Herbert Kickl haben ihre Macht missbrauch­t, um die Grenzen dessen, was gesagt werden kann, was getan werden kann, immer weiter nach rechts zu verschiebe­n. Erst als Kurz spürte, dass er mit dieser Koalition nicht nur Österreich und der Demokratie schadet, sondern auch sich selbst, zog die IchAG im Kanzleramt Konsequenz­en. Neuwahlen bergen auch für den Kanzler Risiken, doch sie dürften sich in Grenzen halten. Ja, die Große Koalition hat in Österreich einen noch schlechter­en Ruf als in Deutschlan­d. Doch die anderen demokratis­chen Kräfte werden sich nach Neuwahlen ihrer staatspoli­tischen Verantwort­ung kaum entziehen können – und ein Bündnis mit der ÖVP eingehen.

Anders, als Kritiker nun prophezeie­n, markiert „IbizaGate“nicht den Kurz-Schluss, nicht den Anfang vom Ende dieser steilen Karriere. Der 32-Jährige kann noch lange Kanzler bleiben, nur eben nicht mit den rechten Demokratie­verächtern als Mehrheitsb­eschaffer.

Der vermeintli­che Patriot würde sein Land verscherbe­ln

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