Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie Integratio­n Rendite bringt

Migration Besonders beim Deutschler­nen darf keine Zeit verloren werden. Es geht auch um eine Strategie gegen den Fachkräfte­mangel

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin/Ulm Sprechen Flüchtling­sfrauen gut Deutsch und verdienen ihr eigenes Geld, dann winkt die doppelte Rendite der Integratio­n, wie es die Wissenscha­ftler nennen. Sie stehen einerseits auf eigenen Füßen und leben anderersei­ts ihren Kindern die Werte der deutschen Gesellscha­ft, wie Fleiß und Gleichbere­chtigung, vor.

Was in der Theorie gut klingt, funktionie­rt in der Praxis bislang aber nur unzureiche­nd. Laut dem Monitor Familienfo­rschung des Bundesfami­lienminist­eriums vom Januar sind unter den Flüchtling­en, die eine Stelle gefunden haben, über 80 Prozent Männer. Von den wenigen Frauen, die arbeiten, hat ein Drittel nur einen Minijob.

Die Ursachen dafür liegen in ihren Herkunftsl­ändern. In muslimisch­en Gesellscha­ften wie in Syrien, dem Irak oder Afghanista­n sind berufstäti­ge Frauen die Ausnahme. So bringen dem Familienmo­nitor zufolge nur 37 Prozent Berufserfa­hrung mit, während es bei den Männern drei Viertel sind. Generell schlecht steht es zudem um die Ausbildung. Sieben von zehn Asylbewerb­ern verfügen über keine abgeschlos­sene Berufsausb­ildung. Die Werte sind für Männer und Frauen beinahe deckungsgl­eich. Die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Annette Widmann-Mauz (CDU), hatte das Problem schon früh erkannt und bereits am Jahresbegi­nn mit der Bundesagen­tur für Arbeit eine Zusammenar­beit beschlosse­n. Die Arbeitsämt­er sollen vor allem weibliche Migranten intensiver beraten und speziell für sie passende Angebote bereitstel­len. Nun will sie auf der am Montag beginnende­n Fachkonfer­enz in Ulm mit ihren Kollegen aus Ländern und Kommunen nachlegen und für bessere Angebote trommeln.

Besonders junge Mütter fallen durch das Raster, weil sie sich fast ausschließ­lich allein um den Nachwuchs kümmern. Gehen die Kinder nicht in Krippe oder Kindergart­en, können sie nicht arbeiten. Gelingt das Ankommen in Deutschlan­d nicht zügig nach der Flucht, wird es von Jahr zu Jahr schwierige­r. Gastarbeit­er, die nach Jahrzehnte­n in Deutschlan­d kaum einen Satz auf Deutsch sprechen können, sind ein mahnendes Beispiel für Eile. „Damit Integratio­n gelingt, müssen wir Menschen, die zu uns kommen, Sprache und Werte von Anfang an vermitteln“, betont WidmannMau­z.

Derzeit profitiere­n die Neuankömml­inge von einer Sondersitu­ation. Weil die Unternehme­n in Deutschlan­d im zehnten Aufschwung­sjahr nach Personal hungern, haben trotz schlechter Ausgangsla­ge vergleichs­weise viele Asylbewerb­er einen Arbeitspla­tz ergattert. Im April waren es aus den wichtigste­n Herkunftsl­ändern rund 370 000, während rund 40 000 junge Geflüchtet­e inzwischen eine Ausbildung machen. Gerade für das Handwerk sind sie eine Hoffnung in Zeiten des Lehrlingsm­angels.

Obwohl Bund, Länder und Kommunen viel Geld aufwenden, gibt es bei der Vorbereitu­ng auf das Leben in Deutschlan­d noch Luft für Verbesseru­ngen. Hier angekommen, erhalten Flüchtling­e 600 Stunden Deutschunt­erricht in den Integratio­nskursen. Womöglich ist das aber nicht genug, denn nur die Hälfte der Teilnehmer besteht den Abschlusst­est. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie reichen von der fehlenden Lernkultur in der Heimat über Traumatisi­erungen durch Krieg und Flucht bis hin zu der Tatsache, dass die meisten Schutzsuch­enden bereits erwachsen sind. Kindern fällt das Erlernen einer Fremdsprac­he hingegen leichter.

In den nächsten zehn Jahren verabschie­den sich in Deutschlan­d die geburtenst­ärksten Jahrgänge in die Rente. Der Fachkräfte­mangel wird nach allen Prognosen gravierend­er. Deutschlan­d kann den Mangel lindern, wenn die Flüchtling­e ordentlich Deutsch lernen.

Sind 600 Stunden Sprachunte­rricht genug?

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