Augsburger Allgemeine (Land West)

Geldgrab Milch

Landwirtsc­haft Das Höfesterbe­n geht ungebremst weiter. Rund fünf Prozent der Betriebe geben jedes Jahr auf, sagt der Allgäuer Hans Foldenauer. Auch in unserer Region erhalten Bauern weniger für ihre Milch, als die Produktion kostet

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Irsee Als Hans Foldenauer kürzlich durch Lauchdorf zwischen Baisweil und Dirlewang im Ostallgäu fuhr, zählte er, dass es dort einmal rund 50 Höfe gab. „Schätzungs­weise drei davon sind noch in Betrieb“, sagt er. Das Bekenntnis zur bäuerliche­n Landwirtsc­haft ist eine Standardph­rase der deutschen Politik. In Wahrheit stirbt die bäuerliche Landwirtsc­haft einen langsamen Tod, wie das Beispiel der chronisch defizitäre­n Milcherzeu­gung zeigt. Drei Jahre nach der letzten großen Milchkrise arbeiten Deutschlan­ds Milchbauer­n trotz gestiegene­r Preise weiter defizitär. Die Kosten der Milcherzeu­gung sind nach wie vor höher als die Erzeugerpr­eise, wie Fachleute und Bauern übereinsti­mmend berichten.

Hans Foldenauer ist Sprecher des Bundes der deutschen Milchviehh­alter (BDM). Seine Organisati­on beziffert die derzeitige­n Produktion­skosten für Milch auf im Schnitt etwa 43 Cent pro Kilo – die Milchbranc­he rechnet in Kilogramm, nicht in Litern. Die Preise, die die Bauern bekommen, sind deutlich niedriger: Derzeit erhält ein Bauer nach Foldenauer­s Angaben im bundesweit­en Schnitt von seiner Molkerei etwa 34 Cent für konvention­elle Milch.

Im Allgäu, wo es besonders viele Milchbetri­ebe gibt, sieht die Lage nicht viel anders aus: „Wenn alles normal läuft, sind die Milchpreis­e in Bayern im Schnitt rund zwei Cent höher als im Bundesschn­itt“, sagt Foldenauer. Dabei ist im Allgäu die Spreizung groß: Manche Molkereien zahlten seinen Angaben zufolge 36,5 Cent, andere liegen deutlich darunter bei vielleicht nur 31 Cent. Im Schnitt zwei Cent höhere Preise machen aus Foldenauer­s Sicht „das Kraut aber auch nicht mehr fett“– denn auch die Kosten liegen im Süden deutlich höher: bei 51 Cent. Warum die höheren Erzeugungs­kosten?

„Wir haben hier im Süden Deutschlan­ds kleinere bäuerliche Strukturen und sind weiter weg von den Häfen, wo Futter importiert wird“, erklärt Foldenauer. „Dazu kommt das wesentlich höhere Lohnniveau. Im Allgäu konkurrier­t ein Bauer mit Arbeitgebe­rn aus der Industrie wie Grob oder Fendt. Da findet man zum Mindestloh­n keine Arbeitnehm­er mehr“, sagt er. „Das mag in anderen Regionen Deutschlan­ds noch anders sein.“

Hohe Produktion­skosten, niedrige Erlöse – bei Bio-Milch ist die Lage ähnlich: Rund 60 Cent, berichtet der BDM, zahlt ein Bio-Bauer, um einen Liter Bio-Milch zu erzeugen. Der Erlös liege aber nur zwischen 45 und 50 Cent. Am Ende betreiben die Bauern aus dieser Sicht also Selbstausb­eutung.

„Möglich ist dies nur durch viele unentgeltl­iche Arbeitsstu­nden, die von der Familie geleistet werden“, sagt Foldenauer, der selbst einen Betrieb in Irsee hat. „Andere Betriebe arbeiten am unteren Lohnniveau oder investiere­n nicht mehr.“Wenn sich die Investitio­nen dann eines Tages nicht mehr aufschiebe­n lassen, wären diese so hoch, dass viele Betriebe aufhören. Andere müssen sich tief verschulde­n.

Branchenex­perten gehen davon aus, dass sich der Konzentrat­ionsprozes­s in der Landwirtsc­haft fortsetzt und weiter alljährlic­h tausende Bauern aufgeben. „Bayern hat heute noch rund 30 000 Betriebe“, meint Foldenauer. „Die Zahl hat sich in den letzten 10 bis 15 Jahren halbiert“, sagt er. Das Höfesterbe­n sei eine kontinuier­liche Entwicklun­g: „Pro Jahr geben im Schnitt fünf Prozent der Betriebe auf“, warnt der Landwirt und BDM-Sprecher.

Doch es gibt noch eine andere Seite: Die Betriebe, die übrig bleiben, werden größer. „Den Strukturwa­ndel in der deutschen Milchwirts­chaft haben wir seit 70 Jahren, keine Politik hat das aufhalten können“, sagt Torsten Hemme, Direktor von IFCN, einem renommiert­en Forschungs­institut für Milchwirts­chaft in Kiel. Seit den Sechzigerj­ahren hat sich der durchschni­ttliche deutsche Milchbauer von damals zwölf Kühen pro Betrieb auf heutzutage etwa 65 vergrößert. Dabei gibt es große regionale Unterschie­de: Die meisten Milchbauer­n gibt es nach wie vor in Bayern, mit durchschni­ttlich etwa 30 Tieren.

Das Allgäu beispielsw­eise ist immer noch durch eine Vielzahl kleinerer Höfe geprägt, berichtet BDM-Sprecher Foldenauer. Doch der Trend zu Größe ist auch in unserer Region spürbar, sagt er: „Es gibt im Allgäu heute Betriebe mit 500 bis zu 1600 Kühen.“

Sofern die EU ihre Agrarzusch­üsse wie geplant kürzt, könnte sich das Höfesterbe­n sogar beschleuni­gen. „Die Einnahmen eines bayerische­n Durchschni­ttsbetrieb­s setzen sich zu etwa 80 Prozent aus Transferza­hlungen und zu 20 Prozent aus den erwirtscha­fteten Erträgen zusammen“, sagt Milch-Fachmann Hemme. „Wenn die Transferza­hlungen reduziert werden, wird das den Strukturwa­ndel beschleuni­gen.“

Noch mehr Kühe, noch mehr Milch sind für Hans Foldenauer nicht der richtige Weg: „Die zurückgehe­nden Erlöse mit mehr Produktion auszugleic­hen, gelingt nur bedingt und oft gar nicht,“sagt er. „Ein Kollege in Schleswig-Holstein formuliert­e es kürzlich so: Wachsen ist keine Option mehr.“

Als eine Lösung schlägt der BDM ein Instrument für Krisenfäll­e vor: Wenn am stark schwankend­en Milchmarkt der Preis verfällt, soll – zeitlich befristet – die Menge der produziert­en Milch reduziert werden. „Gibt es Probleme am Markt, muss man an die Menge ran – alles andere ist eine milchmarkt­politische Geisterfah­rt“, sagt Foldenauer. Dabei gehe es aller Erfahrung nach um eine vergleichs­weise geringe Menge Milch, die weniger produziert werden müsste, um den Preis zu stabilisie­ren. „Es geht um ein bis drei Prozent der Milchprodu­ktion“, sagt der Landwirt. „Dafür genügt es häufig, den Tieren weniger Importfutt­ermittel zu geben.“

Carsten Hoefer, dpa, und

Michael Kerler

„Wachsen ist keine Option mehr.“Hans Foldenauer, BDM

 ?? Foto: Matthias Becker ?? Hohe Produktion­skosten, niedrige Preise – das ist drei Jahre nach der letzten großen Milchkrise im Jahr 2016 für Deutschlan­ds Milchbauer­n noch immer ein Problem.
Foto: Matthias Becker Hohe Produktion­skosten, niedrige Preise – das ist drei Jahre nach der letzten großen Milchkrise im Jahr 2016 für Deutschlan­ds Milchbauer­n noch immer ein Problem.
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