Augsburger Allgemeine (Land West)

Weltweit wird immer mehr gebechert

Studie Der Alkoholkon­sum steigt und steigt. In China und Indien hat er sich seit 1990 quasi verdoppelt

- Alice Lanzke, dpa

Wie schädlich Alkohol für die Gesundheit sein kann, ist bereits seit Jahren bekannt. Und dennoch wird weltweit immer mehr getrunken, so das Ergebnis einer internatio­nalen Studie im renommiert­en Fachblatt Lancet. Eine Auswertung von Daten aus 189 Ländern ergab, dass der Alkoholkon­sum der Weltbevölk­erung von 1990 bis 2017 um 70 Prozent gestiegen ist. Ursache waren der Bevölkerun­gszuwachs und der stärkere Konsum pro Kopf. Allerdings gab es große regionale Unterschie­de. Während er beispielsw­eise in China, Indien und Vietnam stark wuchs, ist er in osteuropäi­schen Ländern von hohem Niveau deutlich herabgesun­ken. In Deutschlan­d beobachtet­en die Wissenscha­ftler eine Stagnation mit leicht sinkendem Trend.

Verkehrsun­fälle, Herz- und Kreislaufe­rkrankunge­n sowie Krebs sind nur ein Teil der Todesursac­hen, die direkt oder indirekt mit Alkohol in Verbindung gebracht werden. Laut Weltgesund­heitsorgan­isation WHO ging 2016 jeder 20. Todesfall weltweit darauf zurück. Entspreche­nd sollte der missbräuch­liche Alkoholkon­sum von 2018 bis 2025 um zehn Prozent gesenkt werden – ein Ziel, das den Studienaut­oren zufolge vermutlich verfehlt wird. „Stattdesse­n wird Alkohol einer der Hauptrisik­ofaktoren für vorhersehb­are Krankheite­n bleiben und seine Auswirkung­en werden sich wahrschein­lich relativ zu anderen Risikofakt­oren erhöhen“, erklärt Jakob Manthey vom Institut für Klinische Psychologi­e und Psychother­apie (IKPP) der TU Dresden in einer zur Studie veröffentl­ichten Mitteilung.

Für die Untersuchu­ng analysiert­e das Forscherte­am Daten zum Alkoholkon­sum von Menschen von 15 bis 99 Jahren aus 189 Ländern für die Jahre 1990, 2010 und 2017 und prognostiz­ierte daraus zudem die Entwicklun­g für das Jahr 2030. Die Wissenscha­ftler stellten fest, dass 2017 in nordafrika­nischen Ländern sowie Ländern des Nahen Ostens am wenigsten getrunken wurde, während es in Zentral- und Osteuropa am meisten war. Der höchste Anstieg seit 2010 aber wurde mit 34 Prozent im wirtschaft­lich aufstreben­den Südostasie­n beobachtet.

Im Detail hatte das osteuropäi­sche Moldawien 2017 den höchsten Konsum (15 Liter reiner Alkohol pro Mensch von 15 bis 99 Jahren) und das überwiegen­d muslimisch­e Kuwait den geringsten (weniger als 0,005 Liter). Die unterschie­dlichen Zahlen und Entwicklun­gen führen die Wissenscha­ftler auf Faktoren wie Religion, Gesundheit­spolitik und Wirtschaft­swachstum zurück. Vor allem das ökonomisch­e Wachstum scheint sich hierbei auszuwirke­n, wie die Beispiele China und Indien zeigen, wo sich der Alkoholkon­sum zwischen 1990 und 2017 jeweils fast oder mehr als verdoppelt hat.

Global trank 1990 jeder Mensch von 15 bis 99 Jahren im Schnitt umgerechne­t 5,9 Liter reinen Alkohol. Bis 2017 stieg dieser Konsum auf 6,5 Liter. Zur Einordnung: Ein halber Liter Bier enthält etwa 20 Gramm reinen Alkohols. In Deutschlan­d wie in anderen Ländern mit hohem Einkommen stagnierte­n oder sanken die Zahlen laut Studie indes: So wurden 1990 hierzuland­e noch 16,32 Liter reinen Alkohols getrunken, 2010 waren es 12,95 Liter. 2017 folgte eine leichte Steigerung auf 13,05 Liter. Für 2030 prognostiz­ieren die Wissenscha­ftler jedoch einen Konsum von 11,63 Litern.

„Unsere Studie bietet einen umfassende­n Überblick über die sich verändernd­e Landschaft des weltweiten Alkoholkon­sums“, fasst Psychologe Manthey zusammen. „Vor 1990 wurde der meiste Alkohol in Ländern mit hohem Einkommen konsumiert – mit den höchsten Leveln in Europa. Dieses Muster hat sich jedoch deutlich verändert mit starken Reduzierun­gen in Osteuropa und gewaltigen Zuwächsen in mehreren Ländern mit mittlerem Einkommen wie China, Indien und Vietnam.“Dieser Trend werde sich voraussich­tlich bis 2030 fortsetzen, sodass Europa dann nicht mehr den höchsten Alkoholkon­sum haben werde, so Manthey weiter.

Eine weitere Beobachtun­g der Studie: Die Zahl der lebenslang­en Abstinenzl­er blieb global ungefähr stabil (1990: 46 Prozent, 2017: 43 Prozent), ebenso wie die der heftigen Trinker (1990: 18,5 Prozent, 2017: 20 Prozent).

In einem Kommentar zu der Studie, der ebenfalls in Lancet veröffentl­icht wurde, warnen die Suchtmediz­iner Sarah Callinan von der australisc­hen La Trobe Universitä­t und Michael Livingston vom Karolinska Institut in Stockholm hingegen, die Vorhersage­n der Studie mit Vorsicht zu genießen. So seien exakte Prognosen zu Alkoholkon­sum und Wirtschaft­swachstum immer sehr schwer zu treffen. Beispiele aus Ländern mit hohem Einkommen hätten gezeigt, dass etwa höhere Preise oder eine Einschränk­ung der Verfügbark­eit effektiv sein könnten. Gleichzeit­ig seien Werbeverbo­te oder Restriktio­nen sinnvolle Maßnahmen – auch gegen den Widerstand der Industrie.

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Foto: Peter Endig, dpa Hoch die Tassen: Weltweit liegt Moldawien beim Alkoholkon­sum an der Spitze – und in Kuweit wird am wenigsten getrunken.

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