Augsburger Allgemeine (Land West)

Außer Fähnchen nichts gewesen

Wettbewerb Fans in Tel Aviv feiern die deutschen ESC-Teilnehmer S!sters. Doch 200 Millionen an den Fernsehern geben dem Duo keinen einzigen Punkt. Was ist da los?

- VON SARAH RITSCHEL

Tel Aviv Supermodel Bar Refaeli scheint es gar nicht sagen zu wollen. Die Moderatori­n des Eurovision Song Contest zögert den Moment hinaus. Am Bildschirm ahnt man es schon: Das geht schlimm aus. Doch es hilft ja nichts, die Nachricht aus dem Publikumsv­oting muss in die Welt, das Model atmet ein: „Germany, I’m sorry: zero points.“Null Punkte. Millionen Anrufer aus ganz Europa verteilten mehrere tausend Punkte auf die 26 ESC-Kandidaten – aber die deutschen S!sters bekommen keinen einzigen. Eine Nachricht, nach der man sich sehr einsam fühlt. Da tröstet es kaum, dass die Länderjury­s Deutschlan­d mit insgesamt 32 Punkten bedachten und vor der roten Laterne bewahren.

Die Regie erspart den deutschen Kandidatin­nen S!sters einen Schwenk auf deren Couch im Künstlerbe­reich. Auf Instagram postet das Duo nach der Show ein recht nüchternes Statement: „Danke an jeden da draußen, der für uns gestimmt hat, Jury und Öffentlich­keit“, schrieben Laurita Spinelli und Carlotta Truman auf Englisch. Dabei war ihr Auftritt mit dem selbst betitelten Powerpop-Song solide, auch wenn man ihnen den schwesterl­ich verbindend­en Feminismus noch nie so ganz abgenommen hat. Twitter-Nutzer trösten die beiden im Internet damit, dass sie immer noch besser als Stargast Madonna gesungen hätten, die für ihre lustlose Zwischensh­ow voll schiefer Töne europaweit Häme erntete, wie auch auf unserer Titelseite zu lesen ist.

Man kennt das: Zypern schustert Griechenla­nd Punkte zu und umgekehrt. Auch diesmal wieder: Zwölf Punkte von der Jury und zwölf Punkte aus dem Publikumsv­oting, hin und her. Aus Russland gehen 24 Punkte nach Aserbaidsc­han und der Dank kommt genauso zurück. Auch die skandinavi­schen Ländern tauschen gern untereinan­der messbare Sympathien aus. Einer Statistik des Spiegel zufolge gilt generell: Europas Norden fördert Europas Norden, der Süden den Süden, gleiches gilt für Ost und West. Deutschlan­d ist das Land, dem niemand definitiv Punkte gibt. Aber gleich so?

Es ist müßig zu betonen, dass der ESC nicht politisch sein soll. Israel als Gastgeberl­and hat sich besonders bemüht, nichts als eine große Party ohne Störgeräus­che zu organisier­en. Dass das nicht funktionie­rt, zeigen nicht nur die Pfiffe als Reaktion auf die isländisch­en Sadomaso-Rocker Hatari, die mit Palästinen­serbanner protestier­ten. Und das zeigen die mickrigen drei Punkte der Zuschauer für Großbritan­nien, die ESC-Experten im Internet schnell auf das Nervthema Brexit zurückführ­en. Und das wird auch die zigste Reform des Abstimmung­smodus nicht ändern. Also weiter zu den positiven Seiten eines im Vergleich zu den vergangene­n Jahren sehr unterhalts­amen und musikalisc­h überrasche­nden Abends. In der riesigen Halle reagiert das Publikum immer wieder mit frenetisch­em Jubel auf die technisch anspruchsv­ollen Bühnenshow­s mit Feuer- und Lichteffek­ten – am spektakulä­rsten sicherlich die aus Australien: Sängerin Kate Miller-Heidke schmettert opernhaft ihren Beitrag „Zero Gravity“– und fliegt dabei mit ihren beiden Tänzerinne­n auf fünf Meter langen, schwankend­en Stangen durch eine Weltraum-Kulisse. Sie hatte lange als Mitfavorit­in gegolten, am Ende reicht es für den Sondergast beim ESC – Australien darf teilnehmen, weil es dort so viele ESC-Fans gibt – für den neunten Platz. Auf Platz zwei kommt Italien, auf Rang drei Russland. Den vierten Platz belegt die Schweiz mit Luca Hänni, der 2012 die RTL- Show „Deutschlan­d sucht den Superstar“gewonnen hatte. Zuschauer im Internet bedauern daraufhin, dass man Hänni nicht kurzerhand in Deutschlan­d behalten und ins ESC-Rennen geschickt habe.

Liebling des Televoting­s ist das Trio Keiino aus Norwegen, das Gesang in der Sprache der samischen Minderheit im Land mit Elektrobea­ts kombiniert. Sage und schreibe 291 Punkte gibt es dafür vom Publikum – übrigens auch die Höchstpunk­tzahl aus Deutschlan­d.

Duncan Laurence aus den Niederland­en überzeugt nicht ganz so viele Deutsche und erhält sieben Publikumsp­unkte aus der Bundesrepu­blik. Allein am Klavier ist der 25-Jährige stärker als alle Windmaschi­nen und Feuersbrün­ste in den Shows der anderen Teilnehmer. Sein einfühlsam­er Song „Arcade“erzählt die Geschichte eines jungen Menschen, der stirbt, ohne die große Liebe erlebt zu haben. Laurences eigene Liebe, so sagt er, galt immer der Musik. Darin hat er jetzt das für ihn Größte erreicht.

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Foto: Ilia Yefimovich, dpa Frenetisch schwenkten die Fans in Tel Aviv ihre Papierfahn­en – doch Punkte gab es nicht für Carlotta Truman (links) und Laurita Spinelli.

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