Augsburger Allgemeine (Land West)

Am Boden zerstört

Bundesliga Der FC Augsburg erlebt in Wolfsburg ein historisch­es Debakel: Mit 1:8 geht die Mannschaft unter. Das Spiel demonstrie­rt, dass einstige Tugenden verloren gegangen sind

- VON JOHANNES GRAF

Wolfsburg Wer zwei Spieltage vor Saisonende den Klassenerh­alt bewerkstel­ligt hat, kann frühzeitig die kommende Spielzeit in der Bundesliga planen. Kann vorausblic­ken, über den künftigen Kader sprechen. Gerne hätten Augsburgs Trainer Martin Schmidt und Sportchef Stefan Reuter dies getan, doch die Spieler untergrube­n mit einem desolaten Auftritt derartige Vorhaben. Zum Ausklang zeigten sie ein weiteres Mal, dass ihnen in dieser Runde Zusammenha­lt, womöglich auch Charakters­tärke, fehlte. Das 1:8 gegen den VfL Wolfsburg war im negativen Sinn historisch, nie zuvor hatte der FC Augsburg sich in der Bundesliga derart vorführen lassen.

Ein fassungslo­ser Schmidt rang nach Worten, Derartiges war ihm als Trainer nie zuvor widerfahre­n. Er mühte sich um Erklärungs­versuche. „Ich muss mich entschuldi­gen, das war nicht akzeptabel. Wahrschein­lich waren einige Spieler vom Kopf her schon im Urlaub oder bei ihrem neuen Verein“, sagte der Schweizer. Ihm war fast peinlich, wie sich seine Spieler präsentier­t hatten. Ein weiteres Gegentor und der FCA hätte den Wolfsburge­rn sogar noch zu Platz fünf verholfen. „Was wir geboten haben, war nicht konkurrenz­fähig“, fügte Schmidt hinzu. In sechs Begegnunge­n betreute der 52-Jährige die Augsburger Mannschaft, der energiegel­adene Motivator trieb sie zu zwei Erfolgen gegen Frankfurt und Stuttgart und sicherte vorzeitig den Ligaverble­ib. Letztlich musste jedoch auch er erkennen, dass zum Klassenerh­alt großteils die Schwäche der anderen beigetrage­n hatte. 32 Punkte bedeuteten die niedrigste Ausbeute in der achtjährig­en Erstklassi­gkeit; und 71 Gegentreff­er zeugten davon, wie sehr den Augsburger­n die einstige Stärke abhanden gekommen ist: Nichts ist mehr übrig von einstiger defensiver Stabilität. In Bremen, in Freiburg, in Nürnberg und gegen Hoffenheim zeigte der FCA in der Rückserie Auflösungs­erscheinun­gen, den negativen Höhepunkt bildete das geschichts­trächtige Debakel in Wolfsburg. Dämme brachen, Mittel, Torfluten aufzuhalte­n, fehlten. Zwar verwiesen die Verantwort­lichen darauf, dass sie in der abschließe­nden Partie auf eine Reihe von Stammkräft­en verzichten mussten, Schmidt sprach vom „letzten Aufgebot“, zudem musste Gouweleeuw in der Pause verletzt passen.

Mit Finnbogaso­n, Khedira, Max, Stafylidis, Koo, Framberger, Jensen, Cordova und Götze fehlte tatsächlic­h nahezu eine Elf, den Mangel an Einstellun­g auf dem Platz rechtferti­gte dies aber nicht, wie Schmidt betonte. „Trotzdem darf uns nicht passieren, was heute passiert ist. Von der FCA-Mentalität war nichts zu sehen“, sagte er. Reuter pflichtete ihm bei. „Wir wollen wieder den FCA sehen, der als kompakte Einheit mit Leidenscha­ft und Gier auftritt“, sagte der Funktionär.

Die Aufarbeitu­ng der abgelaufen­en Runde wird mehr Zeit beanspruch­en als Reuter lieb sein dürfte. Vor einer Woche hatte er erklärt, den Kader punktuell zu verändern. Womöglich rückt er unter dem Eindruck der Wolfsburg-Klatsche ab. Zumindest deutete er dies an. „Es waren einige Spieler dabei, die mich sehr enttäuscht haben“, berichtete Reuter. Auch Trainer Schmidt hatte drei, vier Spieler gesehen, die mit der Saison, teils auch mit dem FCA, abgeschlos­sen hatten. Schmidt gestand eigene Fehler ein, manchen Spieler hätte er während der Trainingsw­oche besser gesehen als das Spiel gezeigt hätte. „Einen Teil der Schuld nehme ich auf mich.“Zum künftigen Personal äußerte sich Reuter nicht, weil es noch nichts Neues zu berichten gäbe, meinte er. Fest stehen bisher die Abgänge von Ji (Mainz), Stafylidis (Hoffenheim), Callsen-Bracker und Janker. Ungewiss ist die Zukunft von Koo und Torwart Kobel, andere Stammkräft­e wie Max, Finnbogaso­n oder Gregoritsc­h könnten den Markt sondieren und sich nach Alternativ­en zum FCA umsehen.

Reuter und Schmidt kündigten eine lückenlose Analyse an, viel Arbeit hätten sie vor sich, meinten sie. Die Mannschaft soll nicht nur ein anderes Gesicht zeigen, sie soll wohl auch ein anderes bekommen. An einem Satz, den Trainer Schmidt in Wolfsburg von sich gab, wird er sich messen lassen müssen. Wörtlich sagte er mit erhobener Stimme: „Wir kommen ganz anders zurück, das kann ich euch garantiere­n.“

VfL Wolfsburg: Pervan - William, Knoche, Tisserand, Roussillon (69. Brekalo) - Arnold - Gerhardt, Rexhbecaj (81. Klaus) - Mehmedi (56. Malli) - Ginczek, Weghorst FC Augsburg: Kobel - Asta, Gouweleeuw (46. Danso), Oxford, Schmid - Janker (46. Moravek), Baier - Hahn, Ji (60. Schieber) - M. Richter, Gregoritsc­h

Tore: 1:0 Weghorst (21.), 2:0 Weghorst (37.), 3:0 Knoche (41.), 4:0 Weghorst (55.), 5:0 Ginczek (57.), 6:0 Rexhbecaj (60.), 6:1 Schieber (82.), 7:1 Brekalo (85.), 8:1 Danso (89./Eigentor) Schiedsric­hter: Felix Zwayer (Berlin) - Zuschauer: 24486

 ?? Foto: Peter Steffen, dpa ?? FCA-Abwehrspie­ler Reece Oxford lieferte wie viele seiner Mitspieler in Wolfsburg eine desaströse Leistung ab. War die Defensive einst ein Augsburger Trumpf, ist davon nichts mehr übrig geblieben.
Foto: Peter Steffen, dpa FCA-Abwehrspie­ler Reece Oxford lieferte wie viele seiner Mitspieler in Wolfsburg eine desaströse Leistung ab. War die Defensive einst ein Augsburger Trumpf, ist davon nichts mehr übrig geblieben.

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