Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie militant darf Tierschutz sein?
Protest Seit 25 Jahren kämpft Peta in Deutschland gegen das Tierleid – teils mit enorm provokanten, verstörenden Methoden. Was Kritiker sagen und wie die Verantwortlichen das sehen
Stuttgart Viel nackte Haut. Viel Kunstblut. Unzählige Körper, aufeinandergestapelt zu einem menschlichen Fleischberg. Das Bild, das sich vor wenigen Tagen Passanten in Stuttgart darbot, könnte auch einem Horrorfilm entsprungen sein. Mit Popcornkino hat die verstörende Anmutung allerdings nichts zu tun. Sondern mit Tierschutz. Es ist eine Aktion der 1980 in den USA gegründeten Tierrechtsorganisation Peta, deren deutscher Ableger nun 25 Jahre alt wird.
Der menschliche Fleischberg ist, wenn man so will, ein Klassiker. In mehreren deutschen Städten legten sich schon nackte Menschen auf die Straßen und hielten Schilder mit Aufschriften wie „Fleisch tötet“oder „Tiere sind keine Lebensmittel“in den kunstblutverschmierten Händen. Mit derlei Protest will Peta auf die Zustände in der industriellen Massentierhaltung aufmerksam machen. Es ist aber nur eine von vielen provokanten Aktionen, die immer wieder dieselben Fragen aufflammen lassen: Wie militant, wie provokant darf Tierschutz eigentlich sein? Und wann sind die Grenzen des Erträglichen endgültig überschritten?
Harald Ullmann, Mitbegründer und zweiter Vorsitzender von Peta Deutschland, hat dazu eine ganz klare Meinung: „Wir müssen die Themen so gestalten, dass die Menschen darüber reden. Es ist wichtig, sich Gehör zu verschaffen. Lieber zu weit gehen als nicht weit genug.“Es dürfte nicht wenige Menschen geben, die die Sache anders sehen. Darunter auch Prominente. Die Moderatorin und engagierte Tierschützerin Sonja Zietlow etwa sagte einmal über Peta: „Die sind mir zu fanatisch, zu aggressiv, zu intolerant.“Hollywood-Größe Dustin Hoffman fand in einem Interview ähnliche Worte: „Für mich ist Peta eine radikale, faschistische Organisation.“
Besonders laut war der Protest vor 15 Jahren. Der Grund für die Aufregung war eine geplante Plakat-Aktion unter dem Motto „Der Holocaust auf Ihrem Teller“. Fotos von Schlachttieren waren neben Bildern noch lebender oder bereits toter KZ-Insassen abgebildet. Dagegen klagten – mit Erfolg – Mitglieder des Zentralrates der Juden – es waren Holocaust-Überlebende, die die Kampagne als Verletzung ihrer Menschenwürde betrachteten.
Peta-Vorsitzender Ullmann sah den Fall damals anders. „Wir sind diejenigen, die die Lektionen des Holocaust durch unsere Lebensweise direkt umsetzen, diese vorleben und nicht nur auf Geschichtsbücher verweisen“, sagte er. „Wir bitten all diejenigen, die den heutigen Holocaust an den Tieren leugnen, endlich die Augen zu öffnen und nicht so zu tun, als ob diese Gräueltaten in Schlachthöfen und Tierfabriken nicht stattfinden würden.“Auch heute bereut Ullmann die umstrittene und schließlich verbotene Kampagne nicht. Denn sie habe viel Aufmerksamkeit gebracht, den Fokus auf das Problem der Massentierhaltung geworfen. Ist das wirklich so? Wird durch derartige Kampagnen tatsächlich mehr über Tierleid gesprochen? Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen von der Uni Tübingen sieht das anders. Es sei damals weniger „über die Inhalte und Ziele der Organisation, sondern über die Moral der Kampagnenmacher diskutiert“worden.
Um Aufmerksamkeit zu erreichen, zeigt Peta auch oft Videos von gequälten Tieren. Die aber würden keine Peta-Mitglieder drehen, sagt Ullmann. Man breche nicht nachts heimlich in Schweineställe ein. Die Videos würden der Organisation zugespielt – und dann veröffentlicht. „Es ist wichtig, zu wissen, was in den Ställen vorgeht“, sagt Ullmann.
Und es gibt noch etwas, das Peta immer wieder höchst öffentlichkeitswirksam nutzt: schöne Frauen. Supermodel Naomi Campbell posierte in den USA schon für eine Anti-Pelz-Kampagne – auch wenn sie später wieder im Pelz über den Laufsteg ging. Zum 25. Jubiläum haben sich nun fünf Models in Deutschland ausgezogen. Und wieder gibt es Kritik: Junge, attraktive Frauen nackt auf Plakate bringen, ist das 2019 wirklich zeitgemäß? Oder nicht schlicht und ergreifend sexistisch? Ullman wiegelt ab: „Solange Sex sells, werden wir das auch machen.“