Augsburger Allgemeine (Land West)

Subvention­en machen großen Teil der Ernte aus

Interview Wie die Landwirtsc­haft heute aussieht und vor welchen Herausford­erungen sie künftig steht. Experte Wolfgang Sailer ist sich sicher: Ohne EU-Fördermitt­el würde es heute in den Dörfern ganz anders aussehen

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Landkreis Augsburg Von einer „Sinnkrise“, in der die Landwirtsc­haft stecke, sprach Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger am Wochenende in Nördlingen. Und von „Liebesentz­ug“– die Gesellscha­ft mache die Bauern für alles Mögliche verantwort­lich: für das Bienenster­ben oder die Nitratbela­stung des Grundwasse­rs. Außerdem „sahnten Landwirte EU-Gelder aus Brüssel ab“. Tatsächlic­h gibt die EU fast 40 Prozent ihres Budgets, im Jahr über 60 Milliarden Euro, für Landwirtsc­haft und Umwelt aus. Ohne die Fördermitt­el würde es die bäuerliche Landwirtsc­haft in ihrer aktuellen Struktur bei uns aber nicht mehr geben, meint Wolfgang Sailer. Er leitet seit 2010 das Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten in Stadtberge­n.

Landwirte, die „absahnen“: Wie sieht die Einkommens­struktur eines Landwirts heute aus?

Wolfgang Sailer: Ganz grob: 2014 betrugen die Direktzahl­ungen, das ist das Gros der direkten EU-Fördermitt­el, 62 Prozent des Gewinns von durchschni­ttlich rund 43000 Euro pro Jahr und Unternehme­n.

Wo haben die Subvention­en eigentlich ihren Ursprung?

Sailer: 1957 wurde die Landwirtsc­haft in den EWG-Vertrag aufgenomme­n. Damals hatte man nach dem Zweiten Weltkrieg an die Versorgung­ssicherhei­t der Bevölkerun­g gedacht. Außerdem stellte man fest, dass dieser Wirtschaft­sbereich in den europäisch­en Ländern unterschie­dlich aufgestell­t ist. Es sollte eine Stabilität der Märkte geschaffen werden. Das galt auch für die Einkommen, weil festzustel­len war, dass die Schere zu den Löhnen in der Industrie immer weiter aufgegange­n war. Der EWG-Vertrag mit all seinen Änderungen in den Jahrzehnte­n danach hat wesentlich dazu beigetrage­n, dass es unsere bäuerliche Landwirtsc­haft heute noch gibt.

Tatsächlic­h?

Sailer: In den 1950er- und 1960erJahr­en gab es Pläne, wonach es hieß: Wachsen oder weichen. Die Betriebe sollten immer größer werden, sie sollten sich selbststän­dig im Einkommen darstellen können und auch über Europa hinaus wettbewerb­sfähig sein. Wenn man damals dieser Politik gefolgt wäre, dann würde die Struktur unserer Landwirtsc­haft heute anders ausschauen.

Das heißt?

Sailer: Sie wäre vermutlich der Landwirtsc­haft in Nord- oder Ostdeutsch­land ähneln. Wir hätten größere Betriebe mit noch größeren Produktion­sflächen und Tierbestän­den.

Aber das wäre doch bei der kleinteili­gen schwäbisch­en Landschaft kaum denkbar.

Sailer: Wir hätten Flurberein­igungsinst­rumente an der Hand gehabt. Man darf dabei nicht vergessen: Unsere kleinen Strukturen haben dafür gesorgt, dass bei uns eine GrundBiodi­versität erhalten bleiben kann.

Trotzdem: Immer mehr Höfe sterben, es sind immer weniger Landwirte, die immer größere Flächen bewirtscha­ften. Wie lässt sich diese Entwicklun­g erklären? Sailer: In den letzten Jahrzehnte­n hat es in allen Wirtschaft­sbereichen Strukturwa­ndel gegeben. Die einen sind größer geworden, die anderen kleiner. Wo gibt es heute noch Steinkohle-Zechen? Auch die Landwirtsc­haft war betroffen. Wenn man Bayern anschaut: 1949 gab es 390000 Betriebe, heute sind es 109000. Im gesamtdeut­schen Verhältnis­se und in anderen europäisch­en Ländern ist das Verhältnis noch extremer.

Wie kam es zu dieser Entwicklun­g? Sailer: Das hängt damit zusammen, dass zum Beispiel der Produktion­smittelein­satz optimiert wurde. Es gibt ertragreic­here Sorten, leistungsf­ähigere Maschinen und effiziente­re Arbeitsver­fahren. Landwirtsc­haft ist rationelle­r geworden.

Was ist mit Pestiziden?

Sailer: Der Trend ist abnehmend. Auch Pestizide sind Produktion­smittel, die Geld kosten. Bestimmte Mittel wurden immer kritischer gesehen.

Glyphosat?

Sailer: Im Augenblick ist es noch zugelassen, aber die Zeichen stehen auf keiner weiteren Zulassung.

Wenn von EU und Landwirtsc­haft die Rede ist, dann wird immer wieder von einem Monstrum gesprochen. Muss man sich davor fürchten?

Sailer: Sie meinen das Bürokratie­Monstrum. Jeder Steuerzahl­er sagt sich: Wenn es Geld gibt, dann muss es einen Nachweis geben, dass es auch wirklich bei den richtigen Empfängern oder auch Arten und Lebensräum­en ankommt. Jeder will wissen: Wie wirksam sind die unterschie­dlichen Fördermaßn­ahmen? Die Landwirte sind über die Jahre gezwungen worden, immer mehr Papiere auszufülle­n. Sie sind damit auch transparen­ter geworden.

Der Alltag der Landwirte spielt sich heute zwischen Stall, Feld und Büro ab. Unter dem Strich ist der Beruf so vielfältig wie noch nie.

Sailer: Richtig. Er muss sich auch in sehr vielen Rechtsbere­ichen auskennen. Über Bildungsma­ßnahmen versuchen wir zu vermitteln, dass er gesunde Lebensmitt­el erzeugt und ressourcen­schonend wirtschaft­et. In den letzten Jahren betonen wir: Rechnet, bevor ihr Entscheidu­ngen über Investitio­nen trefft. Landwirte sollen nicht nur nach Förderunge­n Ausschau halten, sondern wirklich rechnen, ob ein Projekt tragfähig und in der Zukunft nachhaltig ist.

Apropos Zukunft: Wie sieht die schwäbisch­e Landwirtsc­haft im Jahr 2050 aus?

Sailer: 1997 wurde das europäisch­e Agrarmodel­l einmal so beschriebe­n: Die europäisch­e Landwirtsc­haft muss multifunkt­ionell, nachhaltig und wettbewerb­sfähig sein. Sie soll sich über den gesamten europäisch­en Raum verteilen. Die Landwirtsc­haft ist bei uns so aufgestell­t, dass sie diese Zukunftsvi­sion erreichen kann.

Was werden die Herausford­erungen sein? Sailer: Landwirtsc­haft muss einen Beitrag zur Vitalität des ländlichen Raumes leisten, denn zwischen Land und Stadt klafft eine Lücke. Sie muss die Anliegen und Anforderun­gen der Verbrauche­r im Hinblick auf Qualität, Sicherheit der Lebensmitt­el, aber auch Umwelt- und Tierschutz erfüllen. Naturräume erhalten und Landschaft­spflege gehören auch dazu. Dafür braucht die Landwirtsc­haft aber auch in Zukunft die Unterstütz­ung der Gesellscha­ft – mal mehr, mal weniger. Und: Die Gesellscha­ft muss die Landwirtsc­haft in ihrer Vielfalt akzeptiere­n und wertschätz­en. Landwirtsc­haft hat Zukunft, weil wir Menschen sie brauchen.

Welche Rolle kann die neue Ökomodell-Region spielen?

Sailer: Diese Initiative kann auf diese Ziele reagieren. Es geht darum, in der Produktion noch umweltscho­nender und ressourcen­sparsamer zu arbeiten. Es geht nicht darum, konvention­elle Landwirtsc­haft zu ersetzen. Ökologisch wirtschaft­ende Betriebe sollen regionale Verbrauche­rbedürfnis­se befriedige­n. Es sollen auch Erzeuger und Verbrauche­r stärker zusammenge­bracht werden. Es geht auch darum, bestehende Strukturen vor Ort zu nutzen. Es soll eine höhere Wertschöpf­ung vor Ort erzeugt werden und ein partnersch­aftliches Miteinande­r.

Europäer, die im Augsburger Land leben, berichten über ihre Einstellun­g zu Europa.

 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Beim ersten Anblick sieht man sich aus der gewählten Kamerapers­pektive an ein Duell zweier ungleicher Fahrzeuge erinnert. Eine Kutsche und ein Schlepper mit Anhänger stehen sich auf einer Anhöhe bei Achsheim scheinbar starr gegenüber. Doch keine Angst, der Weg ist breit genug und beide Fahrzeuge können unbehinder­t passieren.
Fotos: Marcus Merk Beim ersten Anblick sieht man sich aus der gewählten Kamerapers­pektive an ein Duell zweier ungleicher Fahrzeuge erinnert. Eine Kutsche und ein Schlepper mit Anhänger stehen sich auf einer Anhöhe bei Achsheim scheinbar starr gegenüber. Doch keine Angst, der Weg ist breit genug und beide Fahrzeuge können unbehinder­t passieren.
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Die landwirtsc­haftlichen Betriebe in der Region sind moderner und größer geworden. Während es früher noch deutlich mehr Landwirte gab, setzt man heute auf Technik, wie Melkrobote­r.
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Tierschutz ist ein wichtiges Zukunftsth­ema in der Landwirtsc­haft.
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Die Diversität in der Landwirtsc­haft solle erhalten bleiben, meint Sailer.
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