Augsburger Allgemeine (Land West)

Digitaler Unterricht? Mangelhaft

Bildung Die Bundesländ­er pumpen Geld in Schulen, um sie aus der digitalen Steinzeit zu holen. Skandinavi­sche Nationen sind Vorbild – zeigen aber auch, welche Fehler vermieden werden sollten

- VON SARAH RITSCHEL

Åkersberga/München Tatjana Schwarz gilt an ihrer Schule als Revoluzzer­in. Die Lehrerin arbeitet an der Grundschul­e im ostschwedi­schen Åkersberga hin und wieder mit gedruckten Büchern, obwohl das nicht mehr vorgesehen ist. Schwedisch­e Schüler sollen am Tablet lernen. Seit dem vergangene­n Schuljahr sind digitale Medien in allen Fächern Pflicht. In Mathematik lernen die Schüler Programmie­ren, in Deutsch führen sie virtuelle Gespräche.

Tatjana Schwarz kennt es aus Deutschlan­d ganz anders. 2015 ist die Augsburger Mittelschu­llehrerin nach Schweden ausgewande­rt, vorher hatte sie unter anderem an der St.-Georg-Mittelschu­le in der Augsburger Innenstadt unterricht­et. „Wir hatten zum Beispiel jahrelang keine Fernbedien­ung für den Beamer. Es gab einfach keine Möglichkei­t, eine Verbindung mit dem PC herzustell­en“, erzählt sie. Dass Schulen in der Bundesrepu­blik digital noch immer schlecht ausgestatt­et sind, hat diese Woche die Internatio­nale Computer- und Informatio­nsstudie (Icils) gezeigt. Entspreche­nd unterentwi­ckelt sind die Kompetenze­n der Schüler: Jeder dritte Achtklässl­er habe nur „rudimentär­e“Computerke­nntnisse, scheitert etwa daran, Bilder zu bearbeiten oder Internetre­cherchen durchzufüh­ren. Nur an 26 Prozent der Schulen steht Schülern und Lehrern permanent WLAN zur Verfügung. Zwei Drittel der Schüler berichten, dass in den Kernfächer­n Deutsch, Mathematik und in Fremdsprac­hen keine digitalen Medien genutzt werden. Sieger unter den europäisch­en Teilnehmer­n der Studie ist Dänemark. Dort nutzen 70 Prozent der Lehrer jeden Tag digitale Technik im Klassenzim­mer.

Skandinavi­en gilt bei der Digitalaus­stattung als Pionier in ganz Europa. Wenn Peter Karlberg, Direktor für Erziehung beim schwedisch­en Schulwerk, über die digitale Revolution berichtet, nennt er stolz eine Statistik nach der anderen: 40 Prozent der Kinder in den Jahrgangss­tufen vier bis sechs würden schon in allen oder fast allen Fächern digital lernen. Und in der Oberstufe bekommt jeder Schüler ein Tablet, auch für zu Hause.

Um die deutschen Schüler aus der Kreidezeit zu holen, pumpt die Bundesregi­erung in den nächsten fünf Jahren fünf Milliarden Euro in die Schulen – etwa für interaktiv­e Tafeln, VR-Brillen oder eben Tablets. 778 Millionen aus dem sogenannte­n Digitalpak­t kommen Bayern zugute. Doch statt Freude kamen bei den Empfängern schnell Bedenken auf. Die Gemeinden fragen sich, wer für die Wartung der IT-Technik bezahlt. Lehrer fürchten, mit der neuen Aufgabe alleingela­ssen zu werden. Und Experten wie der Augsburger Didaktikpr­ofessor Klaus Zierer sind überzeugt: „Schlechter Unterricht wird mit digitalen Medien nicht besser.“Entscheide­nd sei der Lehrer.

Ob die Schüler in Schweden bessere Leistungen bringen, lässt sich so kurz nach der Einführung des digitalen Lehrplans im Schuljahr 2018/2019 noch nicht messen. Und an der neuesten Icils-Studie hat das Land nicht teilgenomm­en. Dass auch in Skandinavi­en nicht alles perfekt ist, erlebt Lehrerin Tatjana Schwarz regelmäßig. Am meisten bemängelt sie, dass Schulen für ihre Digitalaus­stattung andere Investitio­nen vernachläs­sigen und dass Lehrer sich den Umgang mit der Technik meist selbst beibringen müssen. Wenn sie deutschen Bildungspo­litikern eins empfehlen könnte, dann wäre es, „dass Lehrer qualifizie­rte Schulungen bekommen, bevor sie digitale Lehrmittel anwenden“. Bayerns Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler)versichert, ein Gesamtkonz­ept zu haben: „Technik und Pädagogik gehen bei uns Hand in Hand“, sagt er unserer Redaktion. Daher gebe es eine „große bayernweit­e Fortbildun­gsoffensiv­e“. In Zahlen: 73000 der mehr als 150000 Lehrer im Freistaat nahmen im Jahr 2018 an 2400 Seminaren teil, in denen sie lernen sollten, wie man digitale Medien effektiv einsetzt. Ein wichtiges Element sind nach Angaben des Kultusmini­steriums fünf OnlineSelb­stlernkurs­e. Bayerns Digitalmin­isterin Judith Gerlach (CSU) forderte am Mittwoch dennoch mehr „digitale Basisbildu­ng“und einen „Digitalbot­schafter“pro Schule.

Lehrerin Tatjana Schwarz in Schweden nennt dann doch noch einen großen Vorteil im digitalen Arbeiten: Schwarz kann am Laptop nicht nur die Arbeit der Schüler nachverfol­gen, sondern auch den Eltern direkt aus dem „virtuellen Klassenzim­mer“eine Nachricht schicken. Sie sind online immer informiert über den Lehrplan – so wie auch die Schüler genau sehen, welche Themen Schwarz als Nächstes behandelt und welche Inhalte in Proben abgefragt werden. „Theoretisc­h könnten sie sich also schon jetzt darauf vorbereite­n“, erklärt die Lehrerin. „Ob sie es tun, ist eine andere Frage.“Ihre Bücher jedenfalls will sie weiter griffberei­t haben.

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Foto: Ulrich Wagner Im Vergleich zu anderen Ländern sind die Schulen in Deutschlan­d absolut unterdigit­alisiert. Vor allem in Skandinavi­en ist das anders. Aber auch dort haben die Lehrer oft mit der Technik zu kämpfen.
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