Augsburger Allgemeine (Land West)
Das Endspiel des Joe Kaeser
Hintergrund Tritt der Siemens-Chef 2021 ab oder hängt er noch zwei Jahre dran? Sein Kronprinz Roland Busch muss sich erst einmal auf der großen Bühne bewähren. Und Kaeser hat in seinen öffentlichen Äußerungen keine Scheu vor politisch eindeutigen Position
München Heute findet in München wieder die große Kaeser-Show statt. Der Siemens-Chef erläutert die Bilanz für das Jahr 2019. Der Niederbayer fühlt sich, anders als viele Manager, in Gegenwart von Journalisten pudelwohl. Es bereitet dem 62-Jährigen sichtlich Vergnügen, kritische Fragen zu parieren, ja, sie als Steilvorlage für die Erklärung eigener Einsichten in die Welt des Konzerns, oft der Welt als solches zu nehmen. Dabei wird der Stratege zunehmend philosophischer.
Der Unternehmens-Lenker hat im Magazin Harvard Business Manager einen interessanten Aufsatz veröffentlicht. Darin finden sich mehrere bemerkenswerte Sätze, unter anderem die Erkenntnis, Gewinne und Margen seien nicht das einzige Ziel. Wird Kaeser mit dem Alter zum Kritiker unseres Wirtschaftssystems? So weit geht er nicht. Aber der Siemens-Boss lässt doch ein hohes Maß an Selbstreflexion, sogar Anflüge von Selbstkritik erkennen, wenn er schreibt, Unternehmen fänden ihren tieferen Sinn dann, wenn sie nicht nur für Aktionäre, Mitarbeiter und Kunden, sondern auch für eine „integrierte Interessengemeinschaft“Werte schaffen. Aufgabe von Firmen sei es, der Gesellschaft zu dienen. Die hohe moralische Latte hat Siemens in Zeiten der Korruptionsaffäre gerissen.
In Kaesers Welt stehen Unternehmen hingegen für Weltoffenheit, fairen Wettbewerb und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein. Der oberste Siemensianer, der leidenschaftlich gegen ausländerfeindliche AfD-Sprüche und intolerantes Verhalten von US-Präsident Donald Trump twittert, träumt von einer solidarischeren Gesellschaft. Er schwärmt von einem „inklusiven Kapitalismus“, also einem Zustand, in dem Firmen Gewinne erzielen, sie aber in Menschen und Innovationen investieren. Kaeser will also wirklich Wohlstand für alle und den Raubtier-Kapitalismus bändigen.
Im gedanklichen Kosmos des Siemens-Chefs kommt es nicht darauf an, welche Hautfarbe und Religion oder welches Geschlecht ein Mensch hat, sondern auf welcher Wertebasis er sein Leben führt. Angesichts solcher für Manager von Dax-Konzernen sehr deutlich formulierten Einsichten wundert es nicht, dass die Gerüchte, Kaeser strebe nach seiner Ein großer Dank geht an unsere Partner für die gute Zusammenarbeit. Ihr Engagement macht die Benefizgala zu Gunsten der Kartei der Not erst möglich. als Siemens-Chef in die Politik, quicklebendig bleiben. Der NochManager dementiert derlei Spekulationen nicht entschieden, ja, lässt sie laufen, schmeicheln sie ihm doch. Ein Bundeswirtschaftsminister Joe Kaeser wäre sicher interessant.
Vielleicht wird der SiemensZampano auch – das sind die neuesten Gerüchte aus der Konzernzentrale am Wittelsbacherplatz in München – sein eigener Nachfolger. Dabei hieß es zuletzt, wesentliche Kräfte im Aufsichtsrat würden darauf drängen, dass Kaeser 2021 nach Auslaufen seines Vertrags mit dann noch 63 Jahren ausscheidet, gemäß einer entsprechenden Siemens-Geschäftsordnung. Für die Theorie spricht, dass die Anteilseigner dem Konzern-Chef einen Vize, also eine Art Kronprinz, zur Seite gestellt haben. Seit 1. Oktober darf sich Roland Busch, 54, in der Rolle des Anwärters auf den Königsstuhl bewähren. Der Physiker gilt vielen als bestens geeigneter Kaeser-Nachfolger, weil Siemens nach der Abspaltung der Gesundheits- und bald auch der Energiesparte dann noch ein Konzern vor allem mit Stärken in der digitalen Automatisierung ist.
Dafür scheint ein Techniker wie Busch, der sich mit Leidenschaft in Details hineinfuchsen kann, der perfekte Mann zu sein. Auch wenn das bei Siemens keiner offen ausspricht: Der Betriebswirt und FiZeit nanz-Experte Kaeser hat sich selbst durch seine Abspalteritis und Konzern-Schrumpfung überflüssig gemacht. Nun trifft es das Kraftwerksgeschäft. Den riesigen Bereich mit etwa 88000 der rund 380000 Mitarbeiter übernimmt der schon mal „Kaeser II“genannte Michael Sen, 50. Dass Letzterer mit dem Siemens-Übervater verglichen wird, liegt an der Leidenschaft beider für überaus selbstbewusste und geschickte Auftritte in der Öffentlichkeit. Weil nun Sen künftig statt Kaeser die Welt bereist, um Kraftwerk-Deals mit Politikern zu machen, steht dem Siemens-Chef die bisher für ihn so wichtige Bühne nicht mehr zur Verfügung.
Befindet er sich also mitten im Endspiel seiner spektakulären Karriere? Muss König Kaeser 2021 abtreten und Busch die Krone überreichen? Wer daran glaubt, könnte die Rechnung ohne den großen Meister gemacht haben, der bisher immer noch eine Hintertür kannte.
Sollte etwa Busch, dem zwar Erfolge im „Mikro-Management“zugestanden werden, bei großen Konzern-Aktionen strategisch schwächeln, könnte aus König Kaeser Kaiser Kaeser werden. Dann würden Bitt-Delegationen sein Büro aufsuchen, um ihn mit der Aussicht auf eine zweijährige Vertragsverlängerung zu umgarnen. Dass der Bayer den Titel des Siemens-Kaisers ablehnt, kann als unwahrscheinlich gelten. Schon heute sagt er verräterisch vielsagend und ironisch zu dem Thema: „Vertragslaufzeiten kann man verkürzen, einhalten oder verlängern. Jedenfalls würde ich spätestens dann aufhören, wenn ich glaubte, dass ich unersetzlich sei.“
Noch ist die Ära Kaeser nicht vorbei. Nach wie vor hält sich auch die Theorie, er könnte mit 63 als Vorstandschef abdanken und nach einer Anstandsfrist von zwei Jahren Aufsichtsrats-Boss des Unternehmens werden. An dem wichtigsten Kontrolleursposten hat aber Amtsinhaber Jim Hagemann-Snabe, 54, Gefallen gefunden. Ob der Däne und frühere SAP-Vorstand für Kaeser Platz macht, ist ungewiss, auch wenn er nicht müde wird, dessen Verdienste um Siemens zu preisen.
Noch ist der Ausgang des Personal-Endspiels offen. Kaeser ist ins Gewinnen verliebt. Und er behauptet sich gerne. Sein Kronprinz gilt bei aller Verbindlichkeit als ebenso energischer Typ. So soll er schon morgens um fünf im firmeneigenen
Kaeser ist ins Gewinnen verliebt
Fitnesscenter gesichtet worden sein und Rührei ohne Eigelb bevorzugen. Einstweilen übernimmt Asket Busch zusätzlich den Job des Arbeitsdirektors, also Personalchefs. Amtsinhaberin Janina Kugel, 49, scheidet Ende Januar aus. Beim einstigen Traum-Duo Kaeser-Kugel soll die Chemie nicht mehr gestimmt haben. Aus Headhunterkreisen heißt es, Siemens suche eine neue Frau für das wichtige Personalressort. Busch würde die Position nur vorübergehend ausüben.
Kaeser schreibt auf alle Fälle im Harvard Business Manager: „Wir wollen unseren Job so gut machen, dass er andere Unternehmen inspiriert.“Der Bayer dürfte sicher noch für einige inspirierende Dinge gut sein. Denn das Berechenbare an ihm ist die Unberechenbarkeit.