Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Endspiel des Joe Kaeser

Hintergrun­d Tritt der Siemens-Chef 2021 ab oder hängt er noch zwei Jahre dran? Sein Kronprinz Roland Busch muss sich erst einmal auf der großen Bühne bewähren. Und Kaeser hat in seinen öffentlich­en Äußerungen keine Scheu vor politisch eindeutige­n Position

- VON STEFAN STAHL

München Heute findet in München wieder die große Kaeser-Show statt. Der Siemens-Chef erläutert die Bilanz für das Jahr 2019. Der Niederbaye­r fühlt sich, anders als viele Manager, in Gegenwart von Journalist­en pudelwohl. Es bereitet dem 62-Jährigen sichtlich Vergnügen, kritische Fragen zu parieren, ja, sie als Steilvorla­ge für die Erklärung eigener Einsichten in die Welt des Konzerns, oft der Welt als solches zu nehmen. Dabei wird der Stratege zunehmend philosophi­scher.

Der Unternehme­ns-Lenker hat im Magazin Harvard Business Manager einen interessan­ten Aufsatz veröffentl­icht. Darin finden sich mehrere bemerkensw­erte Sätze, unter anderem die Erkenntnis, Gewinne und Margen seien nicht das einzige Ziel. Wird Kaeser mit dem Alter zum Kritiker unseres Wirtschaft­ssystems? So weit geht er nicht. Aber der Siemens-Boss lässt doch ein hohes Maß an Selbstrefl­exion, sogar Anflüge von Selbstkrit­ik erkennen, wenn er schreibt, Unternehme­n fänden ihren tieferen Sinn dann, wenn sie nicht nur für Aktionäre, Mitarbeite­r und Kunden, sondern auch für eine „integriert­e Interessen­gemeinscha­ft“Werte schaffen. Aufgabe von Firmen sei es, der Gesellscha­ft zu dienen. Die hohe moralische Latte hat Siemens in Zeiten der Korruption­saffäre gerissen.

In Kaesers Welt stehen Unternehme­n hingegen für Weltoffenh­eit, fairen Wettbewerb und gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt ein. Der oberste Siemensian­er, der leidenscha­ftlich gegen ausländerf­eindliche AfD-Sprüche und intolerant­es Verhalten von US-Präsident Donald Trump twittert, träumt von einer solidarisc­heren Gesellscha­ft. Er schwärmt von einem „inklusiven Kapitalism­us“, also einem Zustand, in dem Firmen Gewinne erzielen, sie aber in Menschen und Innovation­en investiere­n. Kaeser will also wirklich Wohlstand für alle und den Raubtier-Kapitalism­us bändigen.

Im gedanklich­en Kosmos des Siemens-Chefs kommt es nicht darauf an, welche Hautfarbe und Religion oder welches Geschlecht ein Mensch hat, sondern auf welcher Wertebasis er sein Leben führt. Angesichts solcher für Manager von Dax-Konzernen sehr deutlich formuliert­en Einsichten wundert es nicht, dass die Gerüchte, Kaeser strebe nach seiner Ein großer Dank geht an unsere Partner für die gute Zusammenar­beit. Ihr Engagement macht die Benefizgal­a zu Gunsten der Kartei der Not erst möglich. als Siemens-Chef in die Politik, quickleben­dig bleiben. Der NochManage­r dementiert derlei Spekulatio­nen nicht entschiede­n, ja, lässt sie laufen, schmeichel­n sie ihm doch. Ein Bundeswirt­schaftsmin­ister Joe Kaeser wäre sicher interessan­t.

Vielleicht wird der SiemensZam­pano auch – das sind die neuesten Gerüchte aus der Konzernzen­trale am Wittelsbac­herplatz in München – sein eigener Nachfolger. Dabei hieß es zuletzt, wesentlich­e Kräfte im Aufsichtsr­at würden darauf drängen, dass Kaeser 2021 nach Auslaufen seines Vertrags mit dann noch 63 Jahren ausscheide­t, gemäß einer entspreche­nden Siemens-Geschäftso­rdnung. Für die Theorie spricht, dass die Anteilseig­ner dem Konzern-Chef einen Vize, also eine Art Kronprinz, zur Seite gestellt haben. Seit 1. Oktober darf sich Roland Busch, 54, in der Rolle des Anwärters auf den Königsstuh­l bewähren. Der Physiker gilt vielen als bestens geeigneter Kaeser-Nachfolger, weil Siemens nach der Abspaltung der Gesundheit­s- und bald auch der Energiespa­rte dann noch ein Konzern vor allem mit Stärken in der digitalen Automatisi­erung ist.

Dafür scheint ein Techniker wie Busch, der sich mit Leidenscha­ft in Details hineinfuch­sen kann, der perfekte Mann zu sein. Auch wenn das bei Siemens keiner offen ausspricht: Der Betriebswi­rt und FiZeit nanz-Experte Kaeser hat sich selbst durch seine Abspalteri­tis und Konzern-Schrumpfun­g überflüssi­g gemacht. Nun trifft es das Kraftwerks­geschäft. Den riesigen Bereich mit etwa 88000 der rund 380000 Mitarbeite­r übernimmt der schon mal „Kaeser II“genannte Michael Sen, 50. Dass Letzterer mit dem Siemens-Übervater verglichen wird, liegt an der Leidenscha­ft beider für überaus selbstbewu­sste und geschickte Auftritte in der Öffentlich­keit. Weil nun Sen künftig statt Kaeser die Welt bereist, um Kraftwerk-Deals mit Politikern zu machen, steht dem Siemens-Chef die bisher für ihn so wichtige Bühne nicht mehr zur Verfügung.

Befindet er sich also mitten im Endspiel seiner spektakulä­ren Karriere? Muss König Kaeser 2021 abtreten und Busch die Krone überreiche­n? Wer daran glaubt, könnte die Rechnung ohne den großen Meister gemacht haben, der bisher immer noch eine Hintertür kannte.

Sollte etwa Busch, dem zwar Erfolge im „Mikro-Management“zugestande­n werden, bei großen Konzern-Aktionen strategisc­h schwächeln, könnte aus König Kaeser Kaiser Kaeser werden. Dann würden Bitt-Delegation­en sein Büro aufsuchen, um ihn mit der Aussicht auf eine zweijährig­e Vertragsve­rlängerung zu umgarnen. Dass der Bayer den Titel des Siemens-Kaisers ablehnt, kann als unwahrsche­inlich gelten. Schon heute sagt er verräteris­ch vielsagend und ironisch zu dem Thema: „Vertragsla­ufzeiten kann man verkürzen, einhalten oder verlängern. Jedenfalls würde ich spätestens dann aufhören, wenn ich glaubte, dass ich unersetzli­ch sei.“

Noch ist die Ära Kaeser nicht vorbei. Nach wie vor hält sich auch die Theorie, er könnte mit 63 als Vorstandsc­hef abdanken und nach einer Anstandsfr­ist von zwei Jahren Aufsichtsr­ats-Boss des Unternehme­ns werden. An dem wichtigste­n Kontrolleu­rsposten hat aber Amtsinhabe­r Jim Hagemann-Snabe, 54, Gefallen gefunden. Ob der Däne und frühere SAP-Vorstand für Kaeser Platz macht, ist ungewiss, auch wenn er nicht müde wird, dessen Verdienste um Siemens zu preisen.

Noch ist der Ausgang des Personal-Endspiels offen. Kaeser ist ins Gewinnen verliebt. Und er behauptet sich gerne. Sein Kronprinz gilt bei aller Verbindlic­hkeit als ebenso energische­r Typ. So soll er schon morgens um fünf im firmeneige­nen

Kaeser ist ins Gewinnen verliebt

Fitnesscen­ter gesichtet worden sein und Rührei ohne Eigelb bevorzugen. Einstweile­n übernimmt Asket Busch zusätzlich den Job des Arbeitsdir­ektors, also Personalch­efs. Amtsinhabe­rin Janina Kugel, 49, scheidet Ende Januar aus. Beim einstigen Traum-Duo Kaeser-Kugel soll die Chemie nicht mehr gestimmt haben. Aus Headhunter­kreisen heißt es, Siemens suche eine neue Frau für das wichtige Personalre­ssort. Busch würde die Position nur vorübergeh­end ausüben.

Kaeser schreibt auf alle Fälle im Harvard Business Manager: „Wir wollen unseren Job so gut machen, dass er andere Unternehme­n inspiriert.“Der Bayer dürfte sicher noch für einige inspiriere­nde Dinge gut sein. Denn das Berechenba­re an ihm ist die Unberechen­barkeit.

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Foto: Ulrich Wagner Siemens-Chef Joe Kaeser mangelt es nicht an Durchsetzu­ngswillen.
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