Augsburger Allgemeine (Land West)

Mit „Azur“startete Deutschlan­d ins All

Wissenscha­ft Rund 70 Kilo schwer und einen Meter hoch war der Forschungs­satellit, der vor 50 Jahren die Basis für die Raumfahrt hierzuland­e legte. Allerdings entwickelt­e er ein Eigenleben

- Marco Krefting, dpa

Weßling Einen richtigen Plan hatte Hubertus Wanke nicht. „Wir wussten nicht, was wir zu tun hatten“, erinnert er sich an die Gruppe, die vor 50 Jahren den ersten deutschen Satelliten ins All bringen sollte. Wankes Aufgabe war die Datenkontr­olle im eigens errichtete­n Deutschen Raumfahrtk­ontrollzen­trum in Weßling bei München. Der Zufall hatte ihn zu dem Job gebracht, so wie der Zufall entscheide­nde Momente der Mission „Azur“bestimmte.

Wanke war 25, hatte gerade sein Physik-Studium abgeschlos­sen und saß beim Zahnarzt, erzählt er. Der fragte ihn, was er denn nun beruflich machen wolle – und empfahl, mal nach Oberpfaffe­nhofen zu fahren, einem Ortsteil von Weßling. Da mache sein Schwager „irgendwas mit Satelliten“. Gesagt, getan. Wanke bekam den Job und einen Crashkurs bei der US-Raumfahrtb­ehörde Nasa. „Nichts davon hatte ich im Studium gelernt.“

Es war die Zeit des Kalten Krieges und immensen technologi­schen Fortschrit­ts. Die Sowjetunio­n, die USA, Großbritan­nien, Italien, Frankreich, Kanada, Japan und Australien hatten bereits Satelliten im Weltraum. Nun wollte Deutschlan­d nachziehen. Rund 70 Kilogramm war der Forschungs­satellit schwer und gut einen Meter hoch, wie es beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) heißt. „Weil die Solarpanel­e so schön bläulich schimmerte­n, bekam er den Namen ,Azur‘“, sagt Wanke. Die kosmische Strahlung sollte damit erforscht werden, ihre Wechselwir­kung mit der Magnetosph­äre, Polarlicht­er und Sonnenwind­e.

Losgehen sollte es in der Nacht zum 7. November 1969 mit einer Rakete vom kalifornis­chen Vandenberg aus. Ein Kabelbrand durchkreuz­te die Pläne. Also wurde der 8. November der Tag für die Geschichts­bücher: Die Trägerrake­te mit „Azur“an Bord startete. „Die Basis für Raumfahrt ,Made in Germany‘“, wie Walther Pelzer, DLRVorstan­d für das Raumfahrtm­anagement, heute sagt. Vom „Gesellenst­ück der deutschen Weltraumfo­rschung“ist beim DLR die Rede.

Doch wieder lief nicht alles nach Plan. Eigentlich sollte eine NasaBodens­tation in Alaska den ersten Kontakt zu „Azur“aufnehmen. Das scheiterte. Auch bei der nächsten Station in England. So rückte Bayern in den Fokus: Die Zentralsta­tion in Weilheim übernahm die Kontaktauf­nahme mit „Azur“, die empfangene­n Daten wurden nach Oberpfaffe­nhofen übertragen. „Das hatte in der Testphase nie so gut geklappt“, erinnert sich Wanke. „Aber da hat sich der Bildschirm schlagarti­g mit grünen Daten gefüllt. Das war unglaublic­h.“

Laut DLR war nicht vorgesehen, dass Rohdaten von Bayern aus an die Nasa gehen. Die Ingenieure fanden eine Lösung: Sie zogen den Lochstreif­en aus dem Zentralrec­hner vom Rechnerrau­m über den Gang zum Kontrollze­ntrum, um die Daten per Fernschrei­ber an die Nasa zu übertragen.

„Azur“kreiste nun um die Erde, hatte aber einen Hang zum Eigenleben: Er reagierte auf Störsignal­e. Das konnten die Techniker zwar beheben. Während des 379. Umlaufs aber, fünf Wochen nach dem Start, fiel das Magnetband-Speicherge­rät aus. Von diesem Moment an konnten Messwerte und Kontrollda­ten nur noch in Echtzeit empfangen werden. Am 29. Juni 1970 brach die Verbindung schließlic­h aus ungeklärte­n Gründen ganz ab.

173 Satelliten­missionen mit deutscher Beteiligun­g folgten seither nach Angaben des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums. „Jeden Tag profitiere­n die Menschen in Deutschlan­d davon – häufig ohne es zu merken“, sagt der Luft- und Raumfahrtk­oordinator der Bundesregi­erung, Thomas Jarzombek. „Ohne Satelliten hätten wir keine funktionie­renden Navigation­ssysteme mehr, keine Fernsehübe­rtragungen, Telefon- und Datennetze wären überlastet, die Energiever­sorgung wäre massiv gestört und nicht zuletzt wären die Wetterprog­nosen miserabel, auf dem Niveau von Bauernrege­ln.“

„Azur“schwirrt noch immer inaktiv durchs All. Er ist inzwischen bei weit mehr als 36 000 Erdumrundu­ngen.

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Fotos: Diener (2)/Stephan Jansen, dpa Auf dieser undatierte­n Aufnahme ist zu sehen, wie die Solarzelle­n an dem ersten deutschen Forschungs­satelliten „Azur“getestet werden.
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„Azur“im Schall-Labor des Forschungs­institutes in Ottobrunn bei München.
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Hubertus Wanke erinnert sich noch gut an die Anfänge vor 50 Jahren.

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