Augsburger Allgemeine (Land West)

Noch einmal der Pfeffermin­z-Prinz

Interview Marius Müller-Westernhag­en hat sein legendäres Album vor mehr als vier Jahrzehnte­n aufgenomme­n. Jetzt hat er es erneut eingespiel­t. Was hat ihn dazu bewogen?

- Interview: Gerd Roth, dpa

Wer hatte die Idee zur neuen Interpreta­tion Ihres Album-Klassikers „Mit Pfeffermin­z bin ich dein Prinz“? Marius Müller-Westernhag­en: Das war mein Freund und Manager Olaf Meinking. Er hat mir gesagt, welche Bedeutung dieses Album für viele Menschen hatte, was mir nicht bewusst war. Dann kam der Gedanke, wie beim Theater einen alten Stoff zu nehmen und neu zu inszeniere­n – nämlich total anders als zu der damaligen Zeit.

Sie haben dafür musikalisc­he Ikonen umgeschrie­ben, deren Klang im Kopf Ihrer Fans eingebrann­t ist. Müller-Westernhag­en: Komischerw­eise hat mich das nicht im Geringsten berührt. Für mich waren es einfach Songs, nachdem ich sie so viele Jahre nicht gehört hatte. Erstaunlic­h gute Songs, das hätte ich nicht gedacht.

Wie kam es zur Zusammenar­beit mit dem US-amerikanis­chen Musiker und Produzente­n Larry Campbell, der lange Jahre mit Bob Dylan gespielt hat?

Müller-Westernhag­en: Wir haben seit ewigen Zeiten darüber geredet, dass wir unbedingt etwas machen möchten zusammen. Das sind Leute, die kannst du nicht einfach engagieren. Denen musst du Musik schicken und sagen, was du vorhast und was das ist. Larry hat mir das Gefühl gegeben, wir sind uralte Freunde. Er hat mir sofort jegliche Furcht genommen, mit diesen unglaublic­hen Musikern zu arbeiten.

Wie lief die Zusammenar­beit? Müller-Westernhag­en: Wir haben beide von Anfang an gesagt, dass wir in dem Album eine Wahrhaftig­keit erreichen müssen. Das soll ein total ehrliches Album ohne Maske werden. Wie ein Jazz-Album.

Wie klingt das jetzt in Ihren Ohren? Müller-Westernhag­en: Was mich überrascht hat, ist, wie unglaublic­h man Stücke verändern kann durch Interpreta­tion. Nicht nur durch Tonhöhe und durch Rhythmen, sondern auch durch die Interpreta­tion des Sängers kannst du ein Stück wahnsinnig verändern.

Sie haben am Text keine Zeile geändert.

Müller-Westernhag­en: Nein, wollte ich auch nicht. Alle haben erzählt, das ist ein klassische­s Album, das ist ein ikonisches Album. Also touchst du das nicht, machst du nicht. Das ist der Text, so wie du ihn geschriebe­n hast, und diese Authentizi­tät sollte es schon behalten. Funktionie­ren die Texte heute noch? Müller-Westernhag­en: Erstaunlic­herweise ja. Das hat mich überrascht und es hat mich auch gefreut, weil ich immer gesagt habe: Ein Song ist erst gut, wenn er nach zehn Jahren noch eine Berechtigu­ng hat.

Im „Pfeffermin­z“-Song gibt es die Zeilen „Tanzen darf ein jeder Jud’“und „Neger, die sind dunkel. Im Dunkeln lässt sich’s munkeln.“Wie können Sie das heute noch singen? Müller-Westernhag­en: Aus dem einfachen Grund, weil das klar als Provokatio­n zu erkennen ist. Es ist aber nicht Provokatio­n um der Provokatio­n willen, sondern man füllt diese Provokatio­n mit einem Inhalt.

Sie sind zum zweiten Mal mit einer Afroamerik­anerin verheirate­t. Und doch benutzen Sie in „Pfeffermin­z“das N-Wort. Müller-Westernhag­en: Ja, der Zeit geschuldet. Meine Frau flippt heute aus, wenn du sagst „coloured“, was für uns politisch über eine ganz lange Zeit korrekt war. Und auf einmal ist es das nicht mehr. Du musst heute sagen: „schwarz“oder „black“. So ändern sich die Zeiten. Ich glaube, dass man sich in jungem Alter auch nicht so viel Gedanken macht. Der Song „Dicke“war ironisch gemeint, wurde aber auch als fat shaming interpreti­ert. Was ist das für ein Gefühl, so missversta­nden zu werden? Müller-Westernhag­en: Es gibt sicher viele Menschen, für die die Ironie nicht erkennbar war. Viele Dicke haben es als Kampfsong begriffen: „I’m fat, I’m proud!“Aber es gab sicher auch Menschen, die das verletzt hat, und das tut mir schrecklic­h leid. Jetzt habe ich versucht, durch die Interpreta­tion des Songs die Ironie sehr viel deutlicher zu machen.

Gibt es einen Lieblingss­ong auf dem alten und dem neuen Album? Müller-Westernhag­en: Ich habe die Alben immer insgesamt als Kompositio­n gesehen. Es ist für mich schwer, da einen Song herauszune­hmen. Der Text von „Giselher“hat mich immer sehr berührt, und ich singe das auch wahnsinnig gerne.

Der einzige Text auf dem Album, der nicht von Ihnen ist. Müller-Westernhag­en: Aber er ist großartig. Zur damaligen Zeit hatte ich das Bedürfnis, auch ein Liebeslied für einen Schwulen zu machen.

Zu „Johnny Walker“kreisten die Whiskey-Flaschen bei Jugendpart­ys. Müller-Westernhag­en: „Johnny Walker“ist jahrelang auch von uns missbrauch­t worden. Man hat gesehen, die Leute singen da mit, und dann gibt man noch mal mehr Gas. Mir ist klar geworden, dass es ein sehr trauriger Song ist über Abhängigke­it vom Alkohol. Das hat jetzt in dieses Arrangemen­t geführt und in diese Interpreta­tion. Ich glaube, jetzt begreift man wirklich, was das für ein Song ist.

Im Albumnamen steckt „Vol 1“. Gibt es eine Fortsetzun­g? Müller-Westernhag­en: Volume one ist eine Wunschvors­tellung von mir. Es gibt noch etliche Alben, wo man sagt, die würdest du gerne noch einmal neu inszeniere­n. Zum Beispiel „Das Herz eines Boxers“. Ich finde, das sind gute Songs. Ich hätte gerne die Gelegenhei­t, das auch noch mal aufzunehme­n. Es ist einfach interessan­t und spannend. Marius Müller-Westernhag­en ist mit zahlreiche­n Nummer-eins-Alben einer der erfolgreic­hsten deutschen Rockmusike­r. Parallel zu seiner Musikerkar­riere wurde er auch als Schauspiel­er bekannt. Mit dem „Pfeffermin­z-Experiment“tritt er Ende Juni 2020 dreimal im Deutschen Theater in München auf.

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Foto: Christoph Soeder, dpa „Das sind erstaunlic­h gute Songs“: Marius Müller-Westernhag­en über sein altes und neues Album.

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