Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie Schrottkis­ten durch den TÜV gebracht wurden

Justiz Ein Verkäufer aus Augsburg war Jahre lang bekannt dafür, die Plakette auch für Autos mit gravierend­en Mängeln besorgen zu können. Nun wurde ein Prüfer der Bestechlic­hkeit angeklagt. Ein Zeuge packt aus

- VON KLAUS UTZNI

Das Auto ist alt, Bremsen und Stoßdämpfe­r defekt, die Karosserie durchgeros­tet, der „TÜV“abgelaufen. Und jetzt wohin mit der alten Klapperkis­te? Man kann sie für ein paar Euros zum Schrotthän­dler bringen. Es gibt aber noch andere Wege der Weiterverw­endung. In Nordafrika oder im ehemaligen Ostblock sind alte Karren durchaus gefragt. Um sie zu exportiere­n, braucht man aber ein Zollkennze­ichen und damit auch eine gültige TÜV-Plakette.

In Augsburg gab es einen Autoverkäu­fer, der offenbar über Jahre hinweg dafür bekannt war, Bescheinig­ungen und Plaketten für die Hauptunter­suchung, im Volksmund immer noch „TÜV“genannt, auch für Schrottkis­ten zu besorgen. Lieferant der gewünschte­n Dokumente soll ein 60 Jahre alter freier KfzSachver­ständiger gewesen sein, der, so der Vorwurf, Plakette samt positivem Prüfberich­t gegen Geld herausgab, teils ohne die Fahrzeuge überhaupt gesehen zu haben. Er stand jetzt wegen Bestechlic­hkeit vor Amtsrichte­r Dominik Wagner.

Es ist ein Prozess mit langer Vorgeschic­hte und vielen Verästelun­gen. Im Mittelpunk­t stehen zwei Männer: der Angeklagte, der schweigt. Und der Autoverkäu­fer, der Belastungs­zeuge, ein gebürtiger Syrer mit deutschem Pass, der redet wie ein Buch. Die Anklage, die Staatsanwä­ltin Stefanie Dylla vorträgt, ist relativ kurz: Es sind „nur“drei Fälle, die dem Prüfer angelastet werden: Trotz gravierend­er Mängel soll er die Fahrzeuge – einen Kia, einen Fiat Punto und einen Opel Combo durchgewun­ken und mit Bescheinig­ung und „TÜV“-Plakette ausgestatt­et haben. Für diese illegalen Dienste soll der Autoverkäu­fer ihm jeweils 200 Euro bezahlt haben – das Doppelte, das üblicherwe­ise für Haupt- und Abgasunter­suchung fällig gewesen wäre.

Bereits 2017 war die Polizei in der Prüfhalle des Angeklagte­n aufgetauch­t, hatte durchsucht und mehrere Männer festgenomm­en. Doch die Ermittlung­en wurden allesamt wieder eingestell­t. Dass der neuerliche Fall ins Rollen kam, ist letztlich einem Streit der beiden Hauptakteu­re Mitte Mai dieses Jahres zu verdanken. Der Autoverkäu­fer war wieder einmal mit einer Rostlaube in der Prüfhalle des Angeklagte­n. Und der, so schildert es nun der Autoverkäu­fer als Zeuge, riss eine angerostet­e Bremsleitu­ng einfach heraus. Prüfer und der Zeuge gerieten sich in die Haare. Der Prüfer rief die Polizei. Und da packte der Zeuge vor lauter Wut an Ort und Stelle aus, beschuldig­te den Prüfer der illegalen Machenscha­ften, die er dann wenig später vor der Kripo konkretisi­erte. Der Zeuge selbst hat inzwischen einen Strafbefeh­l wegen Bestechung über 2700 Euro akzeptiert.

Fast drei Stunden lang steht der Zeuge nun im Kreuzverhö­r der beiden Verteidige­r des Angeklagte­n, Alexander Klein und Rüdiger Weidhaas. Es geht um die Glaubwürdi­gkeit des „Kronzeugen“, der sich in dieser Rolle sichtlich wohlfühlt. Er sagt, er sei vier Jahre lang V-Mann des bayerische­n Verfassung­sschutzes gewesen. Ob er auch beim syrischen Geheimdien­st war, will Verteidige­r Klein wissen. Diese Frage beantworte er nicht, sagt der Zeuge. Viele Augsburger Autohändle­r seien Kunde beim Angeklagte­n gewesen. Namen? Sage er nicht, er sei kein Verräter. Habe er Angst? Nein. Er habe nur Angst vor Gott. Vier Jahre lang, behauptet der Zeuge, sei ihm der Angeklagte zu Diensten gewesen, „so zwei- bis dreimal pro Woche“. Dieser habe die von anderen Prüfern mit erhebliche­n Mängeln belasteten Autos dann bei der Nachkontro­lle „einfach durchgewun­ken“. Er habe Bescheinig­ung und Plakette für das Zollkennze­ichen benötigt, um die Karren zum Beispiel nach Belgrad zu exportiere­n. Oder nach Bulgarien. Dort habe man für Schweißarb­eiten 20 Euro bezahlt. „In Deutschlan­d hätte das 1000 Euro gekostet.“

Der Angeklagte, so behauptet der Zeuge, habe auch Bescheinig­ungen ausgestell­t für Autos, die im Ausland, auf Mallorca oder in Italien standen. „Das waren Fahrzeuge von Deutschen, die im Ausland lebten. Und die nicht nur für den TÜV die lange Reise nach Deutschlan­d machen wollten“, sagt der Zeuge. Die Kunden bekamen Plakette und Bescheinig­ung demnach per Post zugeschick­t. Es habe auch Fälle gegeben, bei denen sich Käufer nach der positiven TÜV-Abnahme über die alten Mängel-Kisten beschwert hätten. „Dann habe ich die Autos wieder zurückgeka­uft.“Angeblich habe es mit einem Fahrzeug, einem Fiat, einmal auf der A8 einen tödlichen Unfall gegeben. Eine Frau sei ums Leben gekommen, weil die Bremsen versagt hätten. Viel verdient, so bedauert der Autoverkäu­fer, habe er bei den illegalen Aktionen nicht. Manchmal sogar draufgezah­lt. Den in der Anklage aufgeführt­en Kia habe er nach Libyen verkauft – für 50 Euro. Der Prozess geht in die Verlängeru­ng. Diverse weitere Zeugen werden erst an zwei weiteren Sitzungsta­gen, am 18. und 20. November, gehört.

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