Augsburger Allgemeine (Land West)

Was war: Erinnerung­en an ein ganz besonders deutsches Datum

Nicht nur Zufall: Der 9. November wurde zwischen 1918 und 1989 immer wieder zum bedeutende­n Datum

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Eigentlich wäre der 9. November ja der Tag, an dem Deutschlan­d feiern müsste, wenn man den des Jahres 1989 betrachtet – und nicht die zumindest vollzogene, wenn auch bis heute nicht vollendete Einheit am 3. Oktober 1990. Aber freilich ist dieses Datum so sehr von anderen Ereignisse­n des 20. Jahrhunder­ts in diesem Land vorbelaste­t, dass es mehr gemahnt als bloß erinnert, wie es Frank-Walter Steinmeier am 9. November 2018 sagte, als ein hundertjäh­riges Gedenken im Bundestag begangen wurde: „ein Tag der Widersprüc­he, … ein Tag, der uns alles abverlangt“, wie der Bundespräs­ident sagte und darum nun auch im Vorwort zum Geschichts­buch „Am 9. November“zitiert ist.

1918 stand er für die Ausrufung der Republik – ursprüngli­ch ein Zeichen der Hoffnung am Ende des Ersten Weltkriegs, am Ende der Monarchie. Bereits fünf Jahre später folgte am 9. November 1923 in München der Hitlerputs­ch – gegen die von den aufkommend­en Nationalso­zialisten als „Novemberve­rbrecher“betitelten Verantwort­lichen für jenen Frieden und die Versailler Verträge. Und dann kommt da jener 9. November 1938, die sogenannte „Reichskris­tallnacht“, in der viel mehr zerstört wurde als Kristall: Die Nazis nahmen den Tod des Diplomaten Ernst von Rath als Vorwand für einen mörderisch­en Pogrom gegen die Juden im Reich.

Und angesichts dieses dunkelsten Moments wäre es gerade in der Folge vielleicht umso wichtiger gewesen, wenn die Autorinnen Anke Hilbrenner und Charlotte Jahnz in ihre Bilanz jenes „deutschest­en aller Tage“auch das nächste Jahr aufgenomme­n hätten. Denn das nur knapp fehlgeschl­agene Attentat des beherzten schwäbisch­en Handwerker­s Georg Elser auf Hitler fand ja nicht zufällig am späten Vorabend zum 9. November 1939 statt: Der Anlass der Nazi-Versammlun­g samt Führer war explizit die Erinnerung an den Putschvers­uch Hitlers am selben Datum. Aber es war eben 21.20 Uhr, als Elsers Bombe explodiert­e – 13 Minuten zu spät, um den Diktator zu töten, 160 Minuten zu früh, um in diesem Buch über eine Erwähnung hinauszuko­mmen.

Stattdesse­n geht es bestürzend mit 1969 weiter – und einem weiteren fehlgeschl­agenen Attentat zu einem Gedenken am 9. November. Vor jetzt 50 Jahren war es ein Anschlag linker Antisemite­n auf das jüdische Gemeindeha­us in BerlinChar­lottenburg, wo sich in Erinnerung an die Reichspogr­omnacht 250 Menschen versammelt hatten. „Schalom + Napalm“– eine Wahnsinnst­at sich (aus dem Studentenp­rotest heraus) Radikalisi­erender in der Verquickun­g aus Vietnamkri­eg und Palästinak­onflikt. Doch die Bombe der Stadtgueri­lla „Tupamaros West-Berlin“zündete nicht.

Aber von dort aus führt ein direkter Pfad zum 9. November 1974, als der inhaftiert­e RAF-Terrorist Holger Meins in Stuttgart-Stammheim an den Folgen seines Hungerstre­iks starb – woraufhin der Terror weiter eskalierte, bis zum Deutschen Herbst 1977… Kein Feiertag also.

Aber doch ein Happy End für diesen Tag vor heute 30 Jahren?

„Ob der 9. November 1989 wirklich der letzte bedeutsame 9. November in der deutschen Geschichte war, können wir heute nicht wissen. Geschichte jedenfalls ist, anders als gelegentli­ch behauptet, nie vorbei.“So enden die Autorinnen. Angesichts des Charakters der bisherigen Geschehnis­se dieses Tages klingt das fast wie eine düstere Prophezeiu­ng – als wäre dem Happy End des Mauerfalls irgendwie nicht zu trauen, zieht man die deutsche Geschichte in Betracht. Aber es wäre doch mal schön genug, um wahr zu sein.

» Anke Hilbrenner, Charlotte Jahnz: Am 9. November – Ein Datum und die deutsche Geschichte. Kiepenheue­r & Witsch, 224 S., 22 ¤

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