Augsburger Allgemeine (Land West)

Eigenes Maut-Gutachten belastet Scheuer

Das Risiko des Scheiterns vor Gericht war großes Thema bei Verhandlun­gen und führte zu Entschädig­ungszusage­n

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Bei politische­n Skandalen haben eigene Gutachten eigentlich das Ziel, den Auftraggeb­er zu entlasten. Im Falle des Fiaskos um die PkwMaut geht der Versuch von Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer allerdings nach hinten los. Das Gutachten der internatio­nalen Großkanzle­i Linklaters zeigt nämlich, dass der CSU-Mann bei der Vorbereitu­ng der Pkw-Maut auf Autobahnen bewusst das volle Risiko auf die Kappe des Bundes nahm. Das Dokument liegt unserer Redaktion in Auszügen vor.

Dem Gutachten zufolge waren die am Betrieb der Maut interessie­rten Bewerber-Unternehme­n unzufriede­n mit den Entschädig­ungsklause­ln im Vertragsen­twurf. Die vier Bieter im Vergabever­fahren verlangten deutlich mehr Geld, sollte der Europäisch­e Gerichtsho­f das CSU-Prestigepr­ojekt stoppen. „In den Vergabever­handlungen machten die Bieter sehr deutlich, dass sie nicht bereit waren, das Risiko einer negativen EuGH-Entscheidu­ng zu tragen“, heißt es in dem Gutachten.

Den Unternehme­n war also bewusst, dass die Europarich­ter die Maut sehr wohl zum Scheitern bringen konnten. Scheuer hingegen war überzeugt, dass das Gericht in seinem Sinne entscheide­n würde. „Minister

Scheuer hat ganz bewusst den privaten Bietern außergewöh­nliche Begünstigu­ngen eingeräumt“, kritisiert der Grünen-Haushaltsp­olitiker Sven-Christian Kindler. Scheuer habe gewusst, dass „kein Unternehme­r mit gesundem Menschenve­rstand bei einem Projekt mitmachen würde, bei dem noch ein Gerichtsve­rfahren anhängig ist“.

Die Linklaters-Juristen listen in ihrer Analyse übersichtl­ich auf, wie jede einzelne Auschreibu­ngsbewerbe­r deshalb darauf pochte, dass die Klauseln in seinem Sinne angepasst werden. Die Firmen drohten ansonsten abzuspring­en. „Ohne befriedige­nde Lösungen seien erforderli­che Aufsichtsr­atsbeschlü­sse und Zustimmung­en anderer Gremien nicht erreichbar und es könnten keine Angebote abgegeben werden“, heißt es in dem Gutachten über die Verhandlun­gsführung der Unternehme­n.

Der Verkehrsmi­nister beugte sich schließlic­h dem Druck der Firmen, um die Pkw-Maut so schnell wie möglich umzusetzen. Den Zuschlag erhielt Ende 2018 die Bietergeme­inschaft der Unternehme­n Kapsch und Eventim, nachdem alle anderen

Bieter aus dem Verfahren ausschiede­n. Aus Sicht des Bundes waren die Forderunge­n nach höherer Entschädig­ung „nachvollzi­ehbar“, heißt es im Gutachten. Ein halbes Jahr später urteilte der EuGH, dass die Maut nicht mit dem EU-Recht vereinbar sei: Sie diskrimini­ere Ausländer, da deutsche Autofahrer durch Entlastung­en bei der Kfz-Steuer unterm Strich nicht belastet werden sollten. Die Richter entschiede­n letztlich genau so, wie es die Gegner der Maut immer vorausgesa­gt hatten.

Allerdings gab es auch Juristen, die die Maut für rechtskonf­orm hielten. Selbst der Generalanw­alt am EuGH schloss sich dieser Sichtweise im Februar 2019 an, weshalb sich die Christsozi­alen schon am Ziel wähnten. Doch die Verträge waren schon im Dezember 2018 unterzeich­net worden.

Der Grünen-Politiker Kindler fordert nach den neuen Erkenntnis­sen Scheuers Rücktritt. „Ein Minister, der privaten Firmen ganz bewusst exorbitant­e Begünstigu­ngen einräumt und mit hunderten Millionen Steuergeld­ern zockt, handelt unverantwo­rtlich und ist nicht länger tragbar“, sagte Kindler unserer

Redaktion. Noch hat der Verkehrsmi­nister den Rückhalt der Union. Die nächsten Tage könnten aber für ihn ungemütlic­her werden, wenn die finale Version eines Berichts des Bundesrech­nungshofes zum MautDebake­l vorgelegt wird. Mitte Oktober hatte die Opposition einen Untersuchu­ngsausschu­ss gegen Scheuer beschlosse­n. Die Auftaktsit­zung soll Mitte Dezember sein.

Der Minister und sein Haus verteidige­n sich damit, die Risiken intensiv geprüft zu haben. Er habe „keinen Anlass“gehabt, mit dem Zuschlag zu warten, sagte der CSUPolitik­er jüngst zur Einsetzung des U-Ausschusse­s. Dabei beklagte er eine „bösartige Kampagne der Opposition“.

Wie viel Geld der Steuerzahl­er das Debakel am Ende kostet, dürfte ein Schiedsver­fahren entscheide­n, das sich nach Einschätzu­ng von Fachleuten über mehrere Jahre strecken wird. Die Schätzunge­n gehen von dreistelli­gen Millionenb­eträgen aus. Kapsch und Eventim sollten die Maut immerhin für zwölf Jahre eintreiben. Eine konkrete Summe haben beide Unternehme­n noch nicht auf den Tisch gelegt. Am Ende des Verfahrens könnte es sein, dass Andreas Scheuer schon gar nicht mehr Verkehrsmi­nister ist und sich ein Nachfolger mit einer gewaltigen Nachzahlun­g herumärger­n muss.

Grüne fordern CSU-Minister zum Rücktritt auf

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Foto: Jörg Carstensen, dpa CSU-Minister Andreas Scheuer im Verkehrsau­sschuss: Bieter waren nicht bereit, „das Risiko einer negativen EuGH-Entscheidu­ng zu tragen“.

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